Viel Verkehr über dem Atlantik: Allein im vergangenen Jahr tauschten die USA und die EU Waren und Dienstleistungen im Wert von über 800 Milliarden Euro aus. Da geht noch mehr, finden die Staatschefs. Sie verhandeln derzeit über eine transatlantische Freihandelszone. Hat das Vorhaben Erfolg, gäbe es bald einen gigantischen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit mehr als 800 Millionen Verbrauchern und der Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Gute Idee oder höchst bedenklich? Ein Meinungsduell von Ilias Stampoulis und Hannah Sanders.
(Teaserfoto: Lupo/pixelio.de)
pro
Was war der politische Aufschrei groß, als herauskam, dass auch das Handy der deutschen Staatsmutter Angela Merkel abgehört wurde! Plötzlich präsentierten sich Politiker als resolute Volksvertreter und bellten laut über den Teich – gegen ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Vom Aussetzen der noch jungen Gespräche, gar vom endgültigen Stopp der Verhandlungen war die Rede. Gespräche aussetzen? – überzogen! Selbstverständlich darf Washington für seine äußerst fragwürdigen Geheimdienst-Machenschaften und seine geradezu impertinente Informationspolitik nicht so einfach davonkommen. Um der europäischen Position Nachdruck zu verleihen gibt es aber auch Möglichkeiten, die keinen wirtschaftlichen Schaden bedeuten. Man könnte dem Votum des Europaparlaments folgen, und das für die Amerikaner so wichtige SWIFT-Abkommen zum Austausch von Bankdaten aussetzen. Freier Handel mit viel Potenzial
Schon jetzt sind die USA volumenstärkster Importeur europäischer Güter. Die Grundlagen für einen Handel sind also schon da. Es wäre die größte und umfangreichste Freihandelszone der Welt. Damit hätten andere Nationen einen Anreiz, ebenfalls beizutreten – unter Regeln, die maßgeblich von den Europäern mitbestimmt werden. Kein Protektionismus mehr
Denkt man die Idee des freien Handels noch weiter, könnte auch ein Austausch von Menschen stattfinden. Junge Arbeitskräfte hätten die Chance, ihren persönlichen und beruflichen Horizont zu erweitern und so für Innovationen zu sorgen. Diese Mobilität könnte schon im Studium durch Visa und Auslandsstipendien gefördert werden. Fachkräfte müssten ihr Glück nicht mehr im Loswahnsinn der amerikanischen Greencard-Lotterie versuchen. Trotz all der schönen Marktliberalisierung sollten aber einige Waren aus dem Freihandel ausgeschlossen bleiben. So sind in den USA verbreitete Genmaissorten und Biotech-Patente auf Lebensmittel mit dem europäischen Grundkonsens bisher unvereinbar. |
contra
Wie weit es in den USA mit Datenschutz her ist, haben die Ausspähskandale der vergangenen Monate gezeigt: Die NSA lässt grüßen. Vertrauensbruch hin oder her, jetzt sitzen Amerikaner und Europäer wieder am Verhandlungstisch. Gesprochen wird aber keineswegs darüber, wie man sich „unter Freunden“ verhält. Sondern darüber, wie man die Handelsbeziehungen weiter vertiefen kann. Viele Versprechen – wenig dahinter? In zwei Jahren soll das Freihandelsabkommen unterschriftsreif sein. Davon erhoffen sich EU-Kommission und die USA Wirtschaftswachstum für beide Seiten, Bürokratie-Abbau und mehr Arbeitsplätze. Diese Versprechungen klingen gut. Es profitieren die Großkonzerne Von einem Freihandelsabkommen dürften vor allem die großen Fische beiderseits des Atlantiks profitieren, nicht die mittelständischen Unternehmen. Die Industrie-Giganten haben beim Gedanken an das Sparpotential schon Dollar-Zeichen in den Augen. Verbraucherschutz? Sicherheitsstandards? Umweltschutz? Höchstens zweitrangig in diesen Überlegungen. Verbraucherschutz bleibt auf der Strecke Solche Normen sind aber nicht so einfach vergleichbar. Beispielsweise funktioniert die amerikanische Lebensmittelaufsicht nicht, wie in Europa üblich, nach dem Vorsorgeprinzip. Daher gelten etwa genmanipulierte Pflanzen solange als ungefährlich, bis das Gegenteil bewiesen ist. Die Produkte werden also erst hinterher aus den Regalen genommen – wenn der Schaden schon angerichtet ist. Gen-Mais und hormonbehandeltes Fleisch aus Amerika? Guten Appetit. |
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Foto: stockxchng/bizior, Montage: Steinborn/Schweigmann