Wohnen im Problembezirk: Ein Jahr Borsigplatz und zurück

„2-3 Straßen“ heißt das Ruhr.2010-Projekt, bei dem 78 Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt ein Jahr lang mietfrei in kulturellen Problemvierteln in Mühlheim, Duisburg und am Dortmunder Borsigplatz leben. Im Gegenzug verfasst jeder Mieter eine tägliche Tagebuchnotiz seiner Alltagserlebnisse.

 

Multikultureller Borsigplatz: Hier treffen Künstler, Kreative und Migranten aufeinander. Alle Fotos: Caroline Biallas

Multikultureller Borsigplatz: Hier treffen Künstler, Kreative und Migranten aufeinander. Alle Fotos: Caroline Biallas

In wildem Tempo kreisen die Autos um den Borsigplatz. BVB-Flaggen wehen aus den etwas verwahrlosten Jugendstil-Häusern, unten reihen sich Dönerbuden, Pizzerien und Frisörläden nebeneinander.

Der Borsigplatz rangiert ganz oben auf der Liste von Dortmunds sozialen Brennpunkten – hier treffen Künstler, Musiker und Kreative auf Armut, Drogenhandel und Alkoholismus.

Alltagserlebnisse inspirieren zum Schreiben

Mislav Stambuk ist 30 Jahre alt, studiert in Dortmund Bauingenieurwesen. Er hat sich dazu entschieden, für ein Jahr seine Heimatstadt Bochum zu verlassen und dafür mietfrei an den Borsigplatz zu ziehen. Zahlen muss er nur die Nebenkosten – und dafür täglich einen freien Text schreiben. Mal sind es nur ein paar Sätze, an anderen Tagen nimmt er sich eine ganze Stunde dafür Zeit. Unterschiedlich sind auch die Themen, die Mislav Stambuk auswählt: „Manchmal schreibe ich einfach nur meine Beobachtungen über das Projekt auf“, erklärt er. „Oder aber ich greife einige gesellschaftliche und politische Themen auf, die mich gerade beschäftigen.“

Täglich verfasst Mislav Stambuk einen Text - über Alltagserlebnisse oder gesellschaftliche Gedanken.

Täglich verfasst Mislav Stambuk einen Text - über Alltagserlebnisse oder politische Themen.

 

 

 

Seit Anfang des Jahres lebt Mislav Stambuk in einer hellen Altbauwohnung am Borsigplatz. Inzwischen hat er sich gut eingelebt und Kontakte zu anderen Projektteilnehmern geknüpft. So zum Beispiel zu dem Künstler „Purio“, der ursprünglich aus Berlin kommt, dort als Schriftsteller und Filmemacher gearbeitet hat und im Januar ebenfalls für ein Jahr an den Borsigplatz gezogen ist. Ab und zu gehen die beiden Männer ein Bier trinken, schauen Fußball oder tauschen sich über das Leben am Borsigplatz aus.

 

 

Trotz des Alkohol- und Drogenkonsums auf offener Straße kann Mislav Stambuk dem Dortmunder Problembezirk auch positive Seiten abgewinnen: „Das Leben findet draußen statt, man kommt unheimlich schnell mit den Leuten ins Gespräch.“ Zudem lebe hier ein gewisser Schlag von Menschen – viele Kreative, Künstler und Musiker. Mit den Alteingesessenen sollen die Übergangsmieter – so die Idealvorstellung des Projektes – im Laufe des Jahres in Kontakt kommen

 

Für sein Projekt „2-3 Straßen“ hat sich der aus Berlin stammende und inzwischen in Irland lebende Künstler Jochen Gerz ganz bewusst für ein soziales Problemviertel entschieden. „Ich möchte sehen, ob all die Kultur des Ruhrgebiets mit der integrativen Gesellschaft dort klarkommt“, sagt er. Das Ganze soll über das Schrift und Sprache transportiert werden: „Jeder soll seine Erlebnisse in seiner eigenen Sprache niederschreiben – und am Ende ist jeder Text so bunt wie die Gesellschaft dort.“

 

Künstlerin Anna Wiesinger aus Österreich, Schriftsteller "Purio" aus Berlin und Student Mislav Stambuk aus Bochum (von links) leben ein Jahr am Borsigplatz.

Künstlerin Anna Wiesinger aus Österreich, Schriftsteller "Purio" aus Berlin und Student Mislav Stambuk aus Bochum (von links) leben für ein Jahr am Borsigplatz.

Bewerber aus Russland und Argentinien

Um passende  Projektteilnehmer zu finden, hat Jochen Gerz weltweit Anzeigen geschaltet. Fast 1.500 Leute haben sich daraufhin beworben – nicht nur aus Europa, sondern auch aus Argentinien oder Russland. Aus Bewerbern wurden 78 Teilnehmer ausgewählt, von denen 31 in der Schlosser-, Dürener- oder Oesterholzstraße in Dortmund leben. Die restlichen 47 wohnen für ein Jahr in vergleichbaren Stadtteilen in Mühlheim und Duisburg.

 

Nach dem Kulturhauptstadtjahr will Gerz die Texte, Gedanken und Erinnerungen in einem Buch festhalten, das 2011 herauskommen soll.

 

2 Comments

  • Anja Willner sagt:

    Hallo Marlies,

    das Projekt läuft zwar schon, aber jeder kann Kontakt zu den Projektteilnehmern aufnehmen. So wie ich das verstanden habe, ist das sogar erwünscht. Nähere Infos gibt es unter http://www.2-3strassen.eu/dortmund.html – dort steht, dass Sabitha Saul (saul@2-3strassen.eu) für den Kontakt zu den Bewohnern zuständig ist. Viel Spaß!

    anja willner (Redaktion)

  • Clemens, Marlies sagt:

    Hallo,
    ich lebe seit fast 20 Jahren hier am Borsigplatz, immer auf dem Sprung, bleibe dann aber doch… warum auch immer. Würde mich gern an dem Projekt beteiligen, weiß aber nicht wie. Gruß Marlies Clemens

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert