Wenn ich groß bin, will ich Soldat werden

San Diego, USA: Kurz vor der Killerwalshow im Sea World erschallt tosender Applaus. Denn die US-Amerikaner huldigen ihren persönlichen Helden: Den Armed Forces, dem Militär. Sie bedanken sich dafür, dass die Soldatinnen und Soldaten täglich ihr Leben für sie riskieren. Hoch leben die Soldaten! Dabei hat die Vorstellung im Freizeitpark nichts mit dem Militär zu tun. In den USA wird jedoch gerade bei Spaßveranstaltungen gerne an die gefährliche Arbeit von Soldaten erinnert. Denn diese ermöglicht alle anderen US-Amerikanern eine friedliche Freizeitgestaltung.

Deutsche Flagge. Foto: Marco Barnebeck  / pixelio.de

Stolz sein aufs Militär? In Deutschland für viele undenkbar. Foto: Marco Barnebeck / pixelio.de

In Deutschland wäre diese Ehrung undenkbar. Soldaten wird hier oft mit Skepsis begegnet. Dominik F., Offiziersanwärter, kennt das – besonders wenn er in Uniform unterwegs ist: „Am Bahnhof wird man oft dumm angesehen. Viele denken, dass es bei der Bundeswehr ums Menschen Töten geht.“ Der 23-Jährige hat sich direkt nach der Schule dafür entschieden, die militärische Laufbahn einzuschlagen. Seine Beweggründe: Abenteuer und gute Aufstiegschancen. Das kam aber nicht bei allen Freunden und Bekannten gut an: „Die Reaktionen waren geteilt – von positiv bis zu sehr negativ.“ Dominik war der einzige aus seinem Freundeskreis, der sich verpflichtete.

Ähnliche Erfahrungen machte Jean R., als er sich für den Freiwilligen Wehrdienst entschied: „Bei meinen Freunden stieß ich auf sehr geteilte Meinungen. Da sich heutzutage kaum jemand wirklich für die Bundeswehr interessiert, haben viele ein falsches Bild und vergleichen sie mit dem Knast und fragen Sachen wie ´Darfst du da auch raus oder telefonieren?´“ Zusammen mit drei Freunden trat er den Dienst an, doch nur er beendete die 23 Monate Freiwilligen Wehrdienst. Danach entschied er sich dann aber doch erst einmal dafür, sich nach einer zivilen Ausbildungsstelle umzuschauen, am liebsten als Mechatroniker. Denn in diesem Bereich absolviert er gerade ein Praktikum.

Deutsche Soldaten. Foto: "german Bundeswehr officer saltuing" by Andreas Nowak/v3 Media is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 - unveränderte Version

Deutsche Soldaten. Foto: „german Bundeswehr officer saltuing“ by Andreas Nowak/v3 Media is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 – unveränderte Version auf flickr.com

In Deutschland wird die Bundeswehr kleiner. Gab es 2012 noch 198.000 aktive Soldaten, waren es im letzten Jahr nur noch etwa 185.000. Nach Angaben der Bundeswehr konnte 2013 der Bedarf an Streitkräften zu 87 Prozent gedeckt wurden. 13.900 der offenen 16.000 Stellen konnten besetzt werden. „Dennoch kann die Lage der militärischen Personalgewinnung sowohl rückblickend für das Jahr 2013 als auch vorausschauend für 2014 als gut und stabil bezeichnet werden“, so die Bundeswehr.

Personalsorgen sind dem US-Militär fremd. Freiwillige gibt es hier genug. Schon seit 1973 wird in den Vereinigten Staaten niemand mehr zwangseingezogen. Stattdessen plant die Regierung sogar die Entlassung von Army- Angehörigen. Nach Informationen des britischen Senders BBC will die Regierung die Anzahl der Army-Streitkräfte von 520.000 auf etwa 440.000 reduzieren. Damit dienen alleine in der US-Army immer noch mehr als doppelt so viele Soldaten wie in der gesamten deutschen Bundeswehr. Hinzu kommen noch die Soldaten der Air Force, Marine, Navy und Coast Guard.

Der US-amerikanische Soldat Terry mit einem Kollegen. Foto: Terry

Der US-amerikanische Soldat Terry mit einem Kollegen. Foto: Terry

Terry S. gehört zu den US-amerikanischen Streitkräften – er ist Marine Corp. Seine Erfahrungen sind ganz anders als Dominiks und Jeans. Viele Leute danken ihm, wenn sie von seinem Beruf erfahren: „Die meisten Menschen sind darüber einfach glücklich.“ Für Terry stand schon mit fünf Jahren fest, was er einmal werden wollte: Soldat, genau wie sein Stiefvater. Denn Terry kommt aus einer Militärfamilie. Bruder, Vater und drei Onkel waren oder sind noch Soldaten. Terry wuchs mit dem Militär auf. Und das ist in den USA keine Seltenheit. Viele US-Amerikaner haben Soldaten in ihrem Bekanntenkreis: „Jeder kennt jemanden, der beim Militär arbeitet“, so Terry.

Vielleicht trägt das zu dem allgemein eher positiven Militärbild in den USA bei, denn auch ein weiterer US-amerikanischer Soldat der Navy, Deandre R., berichtet von freudigen Reaktionen, wenn er auf Zivilisten trifft: „Sie danken mir für meinen Dienst und sind normalerweise nett zu mir“. Außerdem würden sie ihm oft die Hand schütteln. „Viele Menschen sind stolz auf das Militär“, denkt der 23-Jährige. Er verpflichtete sich 2012, als seine Großmutter erkrankte. Eine Karriere bei der Navy ermöglicht es ihm, sich finanziell um seine Liebsten zu kümmern, auch wenn er sie so nur selten sehen kann: „Ein Nachteil der Berufes ist, dass du während des Einsatzes von deiner Familie getrennt bist“.

Amerikanische Flagge. Foto: Tüch

Patriotismus ist in Amerika weit verbreitet. Foto: Tüch

Laut dem aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten geht es in zehn Prozent der Beschwerden der deutschen Soldatinnen und Soldaten um die Themen Familie und Beruf. Überhaupt ist die Unzufriedenheit in der deutschen Bundeswehr so hoch wie nie zuvor seit ihrer Gründung. Die Beschwerden sind im Vergleich zu 2012 um 20 Prozent gestiegen. Kürzlich kündigte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen an, die Vereinbarkeit von Beruf und Karriere bei der Bundeswehr verbessern zu wollen. Dominik begrüßt die Pläne der Verteidigungsministerin, sieht aber andere Baustellen als vorrangig an, etwa eine bessere Ausrüstung für Kampfeinsätze.

Wie wichtig den US-Amerikanern ihr Militär ist, wird auch an den Ausgaben der Regierung deutlich: Die USA investieren weltweit mit weitem Abstand das meiste Geld in Verteidigung. Alleine 2013 flossen 600,4 Milliarden Dollar (etwa 438,3 Milliarden Euro) in das Verteidigungsbudget. Zum Vergleich: Russland investierte etwa 68 Milliarden Dollar (49,6 Milliarden Euro) und Deutschland gerade mal 44,2 Milliarden Dollar (32,3 Milliarden Euro).

Nach Berichten der Zeitung „Welt“ hat die Bundeswehr ein akutes Nachwuchsproblem. Denn die Bewerbungen für den Freiwilligen Wehrdienst gingen 2013 deutlich zurück. Während sich im April 2012 noch 1.460 Freiwillige beworben hätten, seien es ein Jahr später nur noch 615 gewesen. Gleichzeitig würden bis zu 30 Prozent der Freiwillig Wehrdienstleistenden (FWDLer) innerhalb der ersten drei Monate kündigen, so der ehemalige Leiter des Planungsstabes des Verteidigungsministeriums, Hans Rühle, in der „Welt“. Er sprach sich sogar dafür aus, die Freiwilligkeit wieder abzuschaffen. Gegenüber der „Zeit“ gab daraufhin ein Sprecher der Bundeswehr an, dass diese mit 5.000 Freiwillig Wehdienstleistenden einsatzfähig sei. Demnach müsste die Bundeswehr mit den Bewerberzahlen des letzten Jahres zufrieden sein: Es bewarben sich rund 19.000 junge Menschen als FWDLer. Gleichzeitig verpflichteten sich 2.700 FWDLer, die ihren Dienst beendeten, anschließend als Zeitsoldaten.

Ein Werbeplakat der Bundeswehr. Foto: Bundeswehr - Werbeplakat / Ad for German Army by tellmewhat2 is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 flickr.com

Ein Werbeplakat der Bundeswehr. Foto: Bundeswehr – Werbeplakat / Ad for German Army by tellmewhat2 is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 auf flickr.com – unveränderte Version

Die Bundeswehr versucht immer stärker, junge Menschen über das Internet zu erreichen. Etwa über soziale Netzwerke wie Facebook. Daneben gibt es sogar eine Bundeswehr Community im Internet. Sie richtet sich an jungen Menschen zwischen 14 und 21, die hier zum Beispiel mit Experten chatten können. Auch Wallpaper, Stundenpläne und Kalender gibt es zum Download. Zusätzlich informiert die Bundeswehr auf Karrieremessen, tourt mit einem Infotruck durch Deutschland und besucht auch Schulen. In NRW gibt es zum Beispiel seit 2008 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Schulministerium und der Bundeswehr. Sie ermöglicht Jugendoffizieren Lehrer aus- und fortzubilden und Schüler über das Militär zu informieren. Das ist nicht unumstritten. Das Bündnis Schule ohne Bundeswehr NRW – ein Zusammenschluss aus Friedensgruppen – fordert die Kündigung der Vereinbarung und krtisiert die Besuche als Werbung fürs Töten und Sterben. Die Schule solle zur Friedensgesinnung erziehen, wie im Schulgesetz festgelegt. Einige Schulen haben per Schulkonferenzbeschluss beschlossen, die Bundeswehr nicht an ihre Schulen einzuladen. Im letzten Jahr wurden zwei davon stellvertretend mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. 

Proteste gegen das Werben für den Beruf des Soldatens. Foto: Protest: Kein Werben fürs Sterben! vor dem JobCenter Mitte by UweHiksch is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 auf flickr.com

Proteste gegen das Werbung für den Beruf des Soldatens. Foto: Protest: Kein Werben fürs Sterben! vor dem JobCenter Mitte by UweHiksch is licensed under CC BY-NC-SA 2.0 auf flickr.com – unveränderte Version

Die Bundeswehr produziert zusätzlich Fernsehwerbung, um Nachwuchs anzusprechen. Dabei verfehlen die Videos allerdings manchmal ihr Ziel. Statt Anerkennung, ernten sie Spott. Fernsehwerbung würde auch bei den US-Amerikanern Terry und Deandre in den USA eher schlecht ankommen: „Es ist ehrlicher und weniger irreführend, wenn du von jemandem aus dem Militär, denn du kennst, anstelle von Werbung, Anzeigen und Artikeln über das Militär informiert wirst“, so Terry. Deandre ergänzt: „Die Freiwilligen werden keine Motivation haben. Sie werden sich nur bewerben, weil sie die Werbung und Dollarzeichnen gesehen haben. Die Entscheidung wird nicht vom Herzen kommen.“

Als Vorteile des Militärdienstes nennt Deandre unter anderem das regelmäßige Gehalt und eine gute Krankenversicherung. Zusätzlich könnten junge Freiwillige hier viele Kontakte knüpfen und Neues ausprobieren. In den USA können Soldaten außerdem gleichzeitig Berufserfahrung sammeln. Deandre möchte später eine Karriere in „culinary arts“ (Kochkunst) verfolgen und bekocht momentan seine Crew. So sammelt er Praxiserfahrung in seinem Wunschberuf. Er hat sich für insgesamt acht Jahre verpflichtet. Auch Terry besucht während seines Dienstes Elektronikkurse. Jeden Tag bis drei Uhr nachmittags wird er hier zum Elektroniker ausgebildet: „Wenn ich meinen Dienst beendet habe, werde ich eine Möglichkeit haben, trotzdem erfolgreich zu sein.“ Außerdem erklärt er, dass das US-Militär Soldaten nach Abschluss ihres Dienstes bis zu 50.000 Dollar (etwa 36.500 Euro) für eine Collegeausbildung und Unterkunft zur Verfügung stellt. Damit spielt er auf das GI Bill genannte Gesetz an, demzufolge Soldaten je nach Dauer des Dienstes Geld für ihre Collegeausbildung erhalten. Deandre betont: „Das Militär kümmert sich viel um Bildung“. Als Army Soldat kann man zum Beispiel parallel zum Dienst mit dem Programm EARMYU weiterstudieren, indem man Onlinekurse belegt.

Auch in Deutschland entscheiden sich manche jungen Menschen wegen eines Studiums für die Bundeswehr – an den Bundeswehr-Unis in Hamburg und München. Hier können die angehenden Offiziere zum Beispiel Luft- und Raumfahrttechnik, Psychologie oder Staatswissenschaft studieren. Offiziersanwärter Dominik nennt als Vorteile des Militärdienstes, die Möglichkeit auf ein bezahltes Studium und Aufstiegschancen. Jean, der sich vorerst gegen eine längere Verpflichtung und für eine zivile Ausbildung entschieden hat, hat ebenfalls keine Probleme, viele positive Aspekte am Wehrdienst aufzuzählen. Neben dem sicheren Gehalt, bezieht er sich vor allem auf die charakterliche Bildung mit Eigenschaften wie Teamwork, Disziplin, Belastbarkeit und Selbstbewusstsein. Zusätzlich würden Soldaten lernen, auch kleine Dinge wie „eine Kerze bei minus 30 Grad“ zu schätzen. Ein großes Plus sei natürlich auch, dass Soldaten die Möglichkeit hätten, während der Arbeit Sport zu treiben.

Der dennoch eher schlechte Ruf der Bundeswehr liegt vermutlich auch an der deutschen Militärgeschichte. Zwei Weltkriege haben die Menschen geprägt. In den USA jedenfalls muss sich das Militär keine Sorgen um Nachwuchs machen. „Es gibt viel zu viele Freiwillige“, so Deandre.

Anm.: Für diesen Artikel wurden die Umrechnungskurse vom 2. April 2014 verwendet. Die Zahlen in Euro sind daher nur ungefähre Angaben.

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