70, graue Haare, Student

Sie sind unter uns: Ob im Hörsaal, in der Bibliothek oder in der Mensa – Die Senioren haben den Campus für sich entdeckt, lebenslanges Lernen heißt der Trend. An der TU Dortmund absolvieren die Studenten im Alter ein spezielles Programm.

Während sie an vielen Unis „Gasthörer“ heißen und ohne festen Plan mal hier, mal da im Hörsaal vorbeischauen, müssen Seniorenstudenten an der TU nochmal richtig etwas leisten. 24 Scheine, ein Praktikum und eine Abschlussarbeit in fünf Semestern sind Pflicht, sonst gibt es kein Zertifikat. „Bei uns wird man echt gefordert“, sagt Dr. Eva Gösken, Geschäftsführerin des weiterbildenden Studiums.

Auf dem Campus unter jungen Leuten: "Wir Senioren müssen auf die Studenten zugehen", sagt Ulrich Kloda. Foto: Alexander Greven

Auf dem Campus unter jungen Leuten: "Wir Senioren müssen auf die Studenten zugehen", sagt Ulrich Kloda. Foto: Alexander Greven

Ulrich Kloda (65) hat sich davon nicht abschrecken lassen. „Hier musste ich noch wieder richtig bei Null anfangen“, sagt der pensionierte Pflegedienstleiter. 30 erfolgreiche Jahre im Job – an der Uni waren die plötzlich nichts mehr wert. Statt alltäglichem Automatismus stand analytisches Denken auf dem Programm. Klodas Lieblingsfächer: Psychologie und Soziologie. „Allein die Sprache an der Uni! Da konnte ich erst einmal Vokabeln lernen.“ Das hat ihn gereizt, Kolda braucht seine Aufgaben. „Ich war im Job immer aktiv, jetzt halte ich mich an der Uni fit, davon bin ich überzeugt“, sagt er.

Frisch in Rente – und zum ersten Mal an der Uni

Dr. Eva Gösken, Geschäftsführerin des Weiterbildenden Studiums, sorgt dafür, dass alle Teilnehmer "geistig fit" bleiben. Foto: Alexander Greven

Dr. Eva Gösken, Geschäftsführerin des Weiterbildenden Studiums, sorgt dafür, dass alle Teilnehmer geistig fit bleiben. Foto: Alexander Greven

Ulrich Kloda hat für das Seniorenstudium zum ersten Mal in seinem Leben die Universität betreten. „Das ist gar kein Problem“, sagt Eva Gösken, die das Programm koordiniert. Man wolle an der TU kein „Eliteprogramm“ für Senioren, die ohnehin schon Akademiker seien. Einzige Voraussetzung für das Seniorenstudium, das jährlich im Wintersemester startet: 100 Euro Semesterbeitrag und ein bisschen Mut. Außerdem ist das Angebot auf 60 Plätze beschränkt. Damit möchte Gösken allen Seniorenstudenten eine optimale Betreuung bieten. Denn auch wenn sie von Soziologie über Erziehungswissenschaften bis hin zu Philosophie und Theologie ganz individuelle Schwerpunkte setzen – am Donnerstag kommen alle Studenten zum Kolloquium zusammen. Hier werden die Senioren in wissenschaftlichem Arbeiten und Gruppenfindung geschult. Nur im Kolloquium treffen die Senioren nicht auf Studenten. „In allen anderen Kursen sitzen auch junge Menschen, wir wollen hier schließlich kein Senioren-Ghetto“, sagt Eva Gösken.

Von wegen Herumlümmeln

Genau das macht den Reiz für Ursula Vogel (54) aus. Vor dem Seniorenstudium habe sie auch die Altenakademie besucht, erzählt die pensionierte Lehrerin. „Aber da sind ja nur die Alten, das fand ich nicht gut.“ Denen habe auch die Ernsthaftigkeit gefehlt. An der Uni hingegen müsse man schon Zeit und Eifer mitbringen. Denn im Schnitt belegen die Senioren sechs Veranstaltungen pro Woche. Herumlümmeln sieht anders aus:  „Mit dem Zertifikat hat man ja stets ein Ziel vor Augen und lernt nicht in den blauen Dunst“, sagt sie.

Mit dem Rollator bis vor den Hörsaal? Der durchschnittliche Seniorenstudent ist etwa 59 Jahre alt. Drei Viertel der Seniorenstudenten sind keine Akademiker. Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Invasion der Alten? Nicht mehr lange, und ein Großteil der Studenten kommt mit dem Rollator zum Hörsaal vorgefahren. Zur Info: Das ist ein Klischee. Der durchschnittliche Seniorenstudent ist etwa 59 Jahre alt. Drei Viertel der Seniorenstudenten sind keine Akademiker. Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Im Gegenteil, das Team rund ums Studium im Alter will den Spätstudenten eine langfristige Perspektive weit über die Zeit auf dem Campus hinaus aufzeigen: „Studium und Zertifikat zielen darauf ab, anschließend ein Ehrenamt auszuüben“, erklärt Eva Gösken. Statt ein reines Fachstudium zu absolvieren, ziele an der TU alles auf bürgerschaftliches Engagement ab. Deswegen hat Ulrich Kloda sein Praktikum bei der sozialen Straßenzeitung bodo absolviert; Ursula Vogel hat in der Kontaktstelle der Diakonie Menschen mit psychischen Problemen zugehört.

Auch Rentner wollen beschäftigt sein

Als junge Studentin war die Uni vor allem Pflichtprogramm für Ursula Vogel. "Jetzt belege ich nur noch Kurse, die mir richtig Spaß machen", sagte die 54-Jährige. Foto: Alexander Greven

Als junge Studentin war die Uni vor allem Pflichtprogramm für Ursula Vogel. "Jetzt belege ich nur noch Kurse, die mir richtig Spaß machen", sagte die 54-Jährige. Foto: Alexander Greven

„Seit den 80er-Jahren haben Politik und Gesellschaft erkannt, dass man Senioren in ihrem Lebensabschnitt nicht sich selbst überlassen kann“, sagt Eva Gösken. Mit der Nachkriegsgeneration habe eine vitale Gruppe die Rente angetreten, fit, vergleichsweise gut finanziell ausgestattet – und mit viel Zeit. Die Idee des lebenslangen Lernens und der Begegnung von Jung und Alt außerhalb familiärer Bezugspunkte kam auf. Gösken: „Heute liegt aktives Altern völlig im Trend.“

Auf dem Dortmunder Campus fühlt sich die Generation 50 Plus wohl. An manchen Unis gibt es Streit, weil Senioren den jungen Studenten im überfüllten Hörsaal die Plätze wegnehmen und mit ihren neunmalklugen Anekdoten nerven. Zumindest das Platzproblem umgeht das Dortmunder Programm mit dem Limit von 60 Plätzen. „Wir gehören hier dazu“, sagt Ulrich Kloda und freut sich. Ob im Copy-Shop, der Bibliothek oder im Sonnendeck, auch außerhalb des Hörsaals fühle er sich stets willkommen. „Wenn ich merke, der Saal ist zu voll, gehe ich natürlich auch“, sagt seine Kommilitonin Ursula Vogel. Die jungen Leute hätten da Vorrang. Und neunmalkluge Besserwisser? „Die gibt es schon unter uns Senioren“, sagt Kloda, und zieht die Augenbrauen hoch. „Die nerven mich aber selbst.“

3 Comments

  • Alexander Greven sagt:

    Liebe Frau Vogel,

    vielen Dank für Ihre Rückmeldung und Ihren Kommentar. Es tut mir leid, dass Sie sich so geärgert und falsch wiedergegeben gefühlt haben. Ich freue mich, dass wir den Ärger im persönlichen E-Mail-Kontakt haben klären können, bedanke mich noch einmal für das gute Interview mit Ihnen und verbleibe

    mit freundlichem Gruß

    Alexander Greven

  • Ursula Vogel sagt:

    Als eine der Interviewten muss ich mit Befremden feststellen, dass mir ein wörtliches Zitat zugeschrieben wird, das ich so nicht gesagt habe und eine Aussage inhaltlich falsch wiedergegeben wird.
    Ich habe gesagt, dass ich vor Aufnahme des Seniorenstudiums Kurse an der Altenakademie besucht habe, es mir aber an der Uni aufgrund der gemischten Kurse besser gefällt als an der Altenakademie, wo nur Ältere (nicht „die Alten“) Kurse besuchen.
    Ich habe den Besuchern der Altenakademie nicht die Ernsthaftigkeit abgesprochen, sondern gesagt, dass mir dort die Zielsetzung gefehlt hat, wohingegen das Seniorenstudium ein 5-semestriges Studium mit Abschluss zur Vorbereitung auf eine nachberufliche ehrenamtliche Tätigkeit beinhaltet.

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