„Traurigkeit ist sehr nützlich, um Musik zu machen“

Als „Kasseler Komet“ und „Klangsensation“ wird Milky Chance derzeit von den Medien gefeiert. Dahinter steckt der 20-jährige Clemens aus Kassel, unterstützt von Philipp, ebenfalls 20 Jahre alt und ein Freund von Clemens aus Schulzeiten. Zusammen machen sie Singer/Songwriter-Pop mit Elektro-Einflüssen. Clemens schreibt die Texte, spielt Gitarre und singt. Philipp unterlegt das mit minimalistischen Beats. Bekannt wurde Milky Chance über Youtube. Um sich selbst zu vermarkten, haben die beiden zusammen mit drei weiteren Freunden ihr eigenes Label „Lichtdicht-Records“ gegründet. Pflichtlektüre-Redakteurin Saskia Gerhard traf die Multitalente vor ihrem Konzert in der Zeche in Bochum. Ein Gespräch über Medienrummel, Traurigkeit und Berlin.

Milky Chance beim Konzert am 12.09.2013 in der Zeche in Bochum. Foto: Saskia Gerhard/Teaserbild: Saskia Gerhard

Milky Chance beim Konzert am 12.09.2013 in der Zeche in Bochum. Foto: Saskia Gerhard/Teaserbild: Lichtdicht Records

Seit einem Jahr geht es bei euch richtig zur Sache. Ihr seid eine dieser „Youtube-Sensationen“ – wie man so schön sagt. Aber ihr macht ja nicht erst seit einem Jahr Musik?

Clemens: Nein, das nicht, aber Milky Chance gibt es erst seit einem Jahr. Davor haben wir zusammen in einer Band gespielt, da war ich aber nur Bassist, kein Sänger und Philipp hat Gitarre gespielt.

Ihr habt die Tour zusammen mit Freunden auf die Beine gestellt und auch ein eigenes Label „Lichtdicht Records“ gegründet, unter dem ihr euch sozusagen selbst unter Vertrag habt. Da fällt ja viel mehr Arbeit an als nur die Musik. Hattet ihr oder der Rest vom Team schon vor „Lichtdicht Records“ Erfahrung mit solcher Label-Arbeit?

Philipp: Am Anfang waren da Clemens, unser Freund Moritz und ich. Wir kennen uns schon lange. Und zu uns dreien sind dann noch zwei Brüder gestoßen, Tobias und Philipp, von denen einer schon Erfahrung mit Booking, Künstlerbetreuung und sowas hatte. Aber Label-Arbeit oder Verträge waren schon ziemliches Neuland für uns. Wir sind da reingewachsen, aber von null auf hundert.

Wie chaotisch war das?

Philipp: Ziemlich chaotisch war das am Anfang, aber es wird immer strukturierter.

Clemens: Wir hatten Glück, dass wir alle sehr gut miteinander kommunizieren können. Das klappt ganz gut. Und wir können uns aufeinander verlassen, was echt wichtig ist, wenn man so eine kleine Firma ist.

Das Cover des ersten Albums "Sadnecessary"

Das Cover des ersten Albums "Sadnecessary" Foto: Lichtdicht Records

Ist das Albumcover (Foto) auch in Eigenregie entstanden?

Philipp: Ja genau, das hat Moritz gemalt.

Clemens: Moritz ist sehr kunstinteressiert und malt auch selbst. Als ich vor einem Jahr meine Musik bei Youtube online gestellt habe, brauchte ich halt ein Bild, denn ein Foto von mir wollte ich nicht nehmen. Ich feier die Bilder von Moritz total und habe dieses eine dann für alle Lieder genommen. Für die Platte haben wir das beibehalten. Und für eine neue Platte nehmen wir vielleicht ein neues Bild von ihm.

Hat das Bild einen Namen?

Clemens: Nein, aber wir haben vor ein paar Wochen erst erfahren, was es ist. Eine Mohnblume auf einer grünen Wiese.

Philipp: Moritz kümmert sich übrigens beim Label jetzt auch um Design und Artwork.

Vom Cover zum Titel: Das Album heißt „Sadnecessary“. Kann man das wörtlich nehmen? Ist Traurigkeit notwendig, um die Musik zu schreiben?

Clemens: Auf jeden Fall! Für mich ist Traurigkeit sehr nützlich, um Musik zu machen und um das Gute zu erkennen. Das taucht auch immer wieder in den Liedern auf.

Generell wird ja die Singer/Songwriter-Musik als sehr authentisch und emotional beschrieben. Clemens, würdest du sagen, dass du viele Gefühle und viel selbst Erlebtes in deinen Texten verarbeitest?

Clemens: Ja, fast nur. Gerade bei dem Album ist das alles extrem privat.

Ist es nicht auch ein Wagnis, wenn man so viel von sich preisgibt?

Clemens: Ich finde, dass ich meine Texte so schreibe, dass es ein Außenstehender nicht unbedingt versteht, was hinter dem Text wirklich steckt. Deshalb finde ich das auch nicht schlimm. Das kann jeder für sich interpretieren. Ich finde aber nicht, dass ich mit meiner Musik einen Seelenstriptease hinlege. Aber ich habe mir darüber auch noch nie wirklich Gedanken gemacht, fällt mir gerade auf. (lacht)

Interessiert es dich, wie andere Leute eure Musik interpretieren?

Clemens: Ich finde es sehr interessant, was Leute dabei fühlen, wenn sie die Musik hören. Ab und zu schreibt auch mal jemand, was ihm das eine oder andere Lied gebracht hat. Das interessiert mich schon. Also, wenn mir jemand von seinen Interpretationen erzählen möchte, kann er das gerne tun. (lacht)

Wie überzeugt wart ihr von eurer Musik, als ihr euch entschlossen habt, ein großes Projekt daraus zu machen? Konntet ihr schon abschätzen, dass ihr gut ankommen würdet oder wurdet ihr eher von Freunden bestärkt?

Philipp: Es waren eigentlich die Leute in unserem Umfeld, die uns gesagt haben, dass wir was daraus machen sollen. Uns ging es in erster Linie um’s Musik machen. Das war die oberste Priorität. Auch das Label ist nicht entstanden, weil wir dachten, dass die Musik hundertprozentig einschlagen wird und wir ein Label brauchen. Wir hatten auch einfach nach der Schule erstmal nichts zu tun und Lust in die Label-Arbeit zu gehen. Das war ein Selbstversuch.

Clemens: Oder ein selbst besorgtes Praktikum.

Nun geht auch der Medienrummel um euch los. Das ist am Anfang sicher ungewohnt. Wie geht ihr damit um?

Clemens: Absolutes Neuland für uns, aber schon cool. Es ist auf jeden Fall spannend und natürlich auch ein Kompliment. Aber wir haben manchmal ein Problem mit dem ganzen Lob von außen – da hat man Angst dem nicht gerecht zu werden.

Würdet ihr euch manchmal wünschen, dass es mehr um die Musik geht als um euch als Personen?

Clemens: Manchmal ja, aber wir verstehen ja auch, dass die Leute wissen wollen, wer hinter der Musik steckt.

Philipp: Manche Fragen sind halt einfach bescheuert. Wenn wir zum Beispiel gefragt werden, was wir in unserer Freizeit machen. Was sollen wir da groß erzählen? Wir sind 20 Jahre alt, gehen feiern und machen eben, was man mit 20 so macht.

Über euch liest man Schlagzeilen wie „Klingt wie London, kommt aus Kassel“. Ist das eher eine Beleidigung oder ein Kompliment?

Clemens: Es soll wahrscheinlich ein Kompliment sein. Aus London kommen immerhin viele Weltstars. Vielleicht ist das aber viel zu sehr auf die Stadt oder bestimmte Städte fixiert. Viele wollen ja auch unbedingt nach Berlin, wenn sie Kunst machen. Ich würde aber nie nach Berlin gehen, da würde ich einfach untergehen. Moritz hat neulich etwas interessantes gesagt: Er glaubt, dass in es Berlin so viel Kunst und Kreatives gibt, dass man sehr darauf aus ist, sich dort von der sowieso schon sehr kreativen Masse abzuheben, damit man eben gehört oder gesehen wird. In einer Stadt wie Kassel bist du viel mehr für dich und hast eher die Not, dich selber ausprobieren zu müssen, weil aus deinem Umfeld nicht so viel Input kommt. Es ist in Kassel eher der Freundeskreis, in dem einfach viele Leute Musik machen.

Philipp: Und die Musikszene in Kassel ist zwar klein, aber dafür echt cool und auch vielfältig.

Haben die Musiker und Freunde aus eurem Umfeld auch Einfluss auf eure Musik oder ist da jeder in seiner Blase und macht sein Ding?

Philipp: Ich glaube, es ist eine Mischung. Aber unser Umfeld beeinflusst uns eher durch Rückmeldungen und Meinungen zu unserer Musik und weniger dadurch, dass wir uns musikalisch beeinflussen lassen.

Was würdet ihr tun, wenn ein großes Label daherkommt und euch aus eurer kleinen Plattenfirma für viel Geld herauskaufen möchte?

Clemens: Das ist schon passiert. Aber das wollten wir nicht. Wir haben jetzt alle Freiheit, die wir wollen und wir lernen unheimlich viel in dieser Zeit. Das wollen wir nicht aufgeben.

Aber es ist ja auch ein anstrengendes Projekt. Belastet das nicht die Freundschaft?

Philipp: Nein, würde ich nicht sagen. Wir sind ja ein gut eingespieltes Team.

Clemens: Sehe ich genauso. Bis jetzt ist alles beim Alten. Einfach Schön. (lacht)

Das aktuelle Album „Sadnecessary“ von Milky Chance wurde am 1. Juni 2013 veröffentlicht. Seit April sind die Jungs auf Tour durch ganz Deutschland. In NRW spielen sie noch zweimal: am 13. September im Gramatikoff in Duisburg und am 30. Oktober im Gebäude 9 in Köln. Wer das Album noch nicht kennt, kann es sich auf der Homepage von Lichtdicht Records im Stream anhören.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert