Wie kann ein Staat pleitegehen?

Eine Staatspleite ist immer eine komplizierte Baustelle. Foto: Valentin Dornis

Es schwebt wie ein Gespenst über allen Nachrichten zur Griechenland-Krise: das Wort „Staatsbankrott“. Aber wie kann es sein, dass ein Staat pleitegeht? pflichtlektüre gibt einen Überblick über Ablauf und Regeln einer solchen Staatspleite und zeigt, dass diese kein neues Phänomen ist.

Wenn eine Firma pleitegeht, ist das ihr Ende. Doch wie ist das bei einem Staat? Das weiß vorher niemand genau, denn es gibt dafür keine verbindlichen Regeln – obwohl Staaten erstaunlich häufig pleitegehen.

Von einer Staatspleite spricht man, wenn ein Land seine Zahlungsunfähigkeit erklärt, also seine Verpflichtungen zu Zahlungen – zum Beispiel von Zinsen – nicht mehr erfüllen kann. Die Gläubiger bleiben also vorerst auf ihren Forderungen sitzen.

Das Problem: Im Gegensatz zur Insolvenz bei Unternehmen lässt sich ein Staatsbankrott nicht einfach abwickeln. Denn so verlockend der Vergleich zwischen einer Firma und einem Staat ist, so falsch ist er. Ein Land, das insolvent ist, ist noch lange nicht am Ende – ein funktionierender Staat wird nämlich nicht über seine Zahlungsfähigkeit definiert, sondern in erster Linie über ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt. Diese „Drei-Elemente-Lehre“ des Staatsrechtlers Georg Jellinek gilt als Standard, die finanzielle Lage des Staates spielt dabei erst einmal keine Rolle.

„Zum einen kann ein Land mit eigener Währung immer Zahlungsmittel drucken und sich so zumindest im Inland liquide halten. Zum anderen ist die Überschuldung nicht frei von politischem Ermessen feststellbar“, ergänzt Wolfram Richter, Professor für öffentliche Finanzen an der TU Dortmund. Den Schulden eines Staates müsse man immer seine Vermögenswerte gegenüberstellen. Doch wie will man den exakten Wert zum Beispiel von Straßen messen? Die Tatbestände „Zahlungsunfähigkeit“ und „Überschuldung“, wie man sie aus dem privaten Insolvenzrecht kennt, könne man also nicht ohne weiteres auf Staaten anwenden, erklärt Richter.

Macht eine Insolvenzordnung für Staaten dann überhaupt Sinn?

Ökonomen fordern daher schon seit langem eine internationale Insolvenzordnung, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) wird diese Idee seit den 2000er Jahren immer wieder aufgeworfen. Auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler, selbst ehemaliger IWF-Direktor, forderte 2010 die Einführung einer solchen Insolvenzordnung. Im Juni dieses Jahres meldete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, Finanzminister Wolfgang Schäuble habe im Ministerium konkrete Planungen zu einer Insolvenzordnung für die Staaten in der Eurozone angestoßen.

Wolfram F. Richter - Grafik/Bearbeitung: Valentin Dornis; Originalfoto: Jürgen Huhn/TU Dortmund (CC BY-SA 4.0).

Wolfram F. Richter – Grafik/Bearbeitung: Valentin Dornis; Originalfoto: Jürgen Huhn/TU Dortmund

Doch bisher scheiterten solche Überlegungen vor allem an einer Frage: Wie weit darf man in die Souveränität der Staaten und ihrer Gläubiger eingreifen? Eine internationale Insolvenzordnung würde nämlich bedeuten, dass eine supranationale Instanz zwischen Staat und Gläubigern vermitteln müsste, und dabei beide Seiten zu harten Einschnitten auffordern könnte. Außerdem haben Staaten oft eine unüberschaubare Anzahl von Gläubigern, die zum Beispiel Staatsanleihen halten. Zumindest dieses Problem könnte eine so genannte „collective action clause“ lösen, nach der eine Umstrukturierung der Staatsschulden mit der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit aller Gläubiger möglich wäre.

Wolfram Richter vermutet deshalb, dass es zwei zentrale Gründe gibt, die bisher eine internationale Insolvenzordnung für Staaten verhindern: „Erstens ist es immer schwierig, internationale Regeln zu vereinbaren. Zweitens hat in dieser Welt alles seinen Preis.“ Denn wenn sich Staaten leichter entschulden könnten, werde die Refinanzierung am Kapitalmarkt für sie schwieriger. „Private Kapitalgeber werden sich mit einer Kreditgewährung eher zurückhalten, wenn sie befürchten müssen, dass die Forderungen mit qualifizierter Mehrheit gestrichen werden könnten“, sagt Richter. Das könnte zur Folge haben, dass der Staat sich weniger Geld leihen kann – oder nur zu einem hohen Preis, sprich: hohen Zinsen.

Was passiert denn dann bei einer Staatspleite?

Weil es keine offiziellen Regeln gibt, beginnt bei jeder Staatspleite das Spiel aus komplizierten Verhandlungen, Forderungen und Einschnitten von vorne. Ein Staat, der die an ihn gestellten Forderungen nicht bedienen kann, kann sich an den Internationalen Währungsfonds wenden. Der vergibt seine Notkredite allerdings, wie im aktuellen Beispiel Griechenlands, nur in Verbindung mit strengen Auflagen.

Ein Staat, der pleite ist, muss deshalb mit seinen Gläubigern über den Abbau der Verbindlichkeiten verhandeln. So bietet er zum Beispiel an, zumindest einen Teil der Schulden zu zahlen, um die Last auf die Volkswirtschaft zu mindern und wieder besser wachsen zu können. Das kann funktionieren, wenn die Gläubiger lieber wenig Geld zurückbekommen, als überhaupt keines. Einen solchen teilweisen Verzicht auf Forderungen nennt man dann einen Schuldenschnitt. Neben einem Schuldenschnitt ist außerdem (zum Beispiel als Folge hoher Inflation) eine Währungsreform denkbar, nach der Schuldverschreibungen, Hypotheken sowie andere Forderungen und Verpflichtungen oft zum Vorteil des Staates umgestellt werden.

Das größte Problem des Staates ist in allen Fällen die Glaubwürdigkeit. Denn ein Land, das einmal Pleite gegangen ist, muss sich das Vertrauen der Anleger erst einmal wieder erarbeiten. Das macht es noch zusätzlich schwierig, nach einer Staatspleite dauerhaft aus der Krise zu kommen.

Welche Beispiele gibt es für Staatspleiten?

Obwohl es beim Thema Staatsbankrott immer darum geht, dass es große wirtschaftliche Unsicherheiten gibt und bisher keine Regeln: Das Phänomen ist alles andere als neu, in der Geschichte der vergangenen Jahrhunderte taucht es mit verlässlicher Regelmäßigkeit auf. Deutschland, England, Frankreich, Spanien, Griechenland, Russland, die USA: All diese Staaten waren seit dem 13. Jahrhundert schon pleite, oft mehrfach. Gründe dafür waren häufig Kriege, die immense Kosten verursachten, oder zu starke Abhängigkeiten von bestimmten Produkten oder Wirtschaftssektoren.

Nicht nur eine Privatinsolvenz kann schlimme Folgen haben. Von einer Staatspleite sind oft die Ärmsten zu erst betroffen. Foto: Robert Couse-Baker/flickr.com (CC BY 2.0)

Nicht nur eine Privatinsolvenz kann schlimme Folgen haben. Von einer Staatspleite sind oft die Ärmsten zu erst betroffen. Foto: Robert Couse-Baker/flickr.com

Das aktuellste und deshalb wohl prominenteste Beispiel ist die Staatspleite Argentiniens in den Jahren 2001 und 2002. Während mehrerer Wirtschaftskrisen in Süd- und Mittelamerika in den 1990er Jahren, unter anderem in Brasilien und Mexiko, hatte Argentinien immer wieder mit hohen Auslandsschulden und Inflation zu kämpfen. Ab 1998 ging es stark bergab, das Land geriet in eine handfeste Finanzkrise. Am 1. Dezember 2001 wurden Sparkonten eingefroren, Bargeld wurde kaum noch ausgegeben. Es entwickelten sich große Schwarzmärkte, da zunächst vor allem ärmere Bevölkerungsschichten von der Krise betroffen waren, immer häufiger gab es daher Plünderungen. Übergangspräsident Adolfo Rodríguez Saá erklärte Argentinien schließlich für zahlungsunfähig, eine massive Abwertung des Peso und eine Umschuldung waren die Folge.

Nach dieser Krise erlebte das Land, unter anderem dank billiger Währung und einer großen Nachfrage nach Rohstoffen, eine Boomphase, die weltweit als vorbildlich gelobt wurde. Doch auch das ist schon wieder überholt: Im Juli 2014 wurde Argentinien nach einem US-amerikanischen Gerichtsurteil zu Rückzahlung der Schulden an bestimmte Gläubiger erneut für teilweise zahlungsunfähig erklärt, eine Spätfolge der Krise. Das Land wollte gegen dieses Urteil vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag klagen, doch für ein Verfahren hätten die USA das Gericht anerkennen müssen – was sie nur in seltenen Fällen tun. Der Peso-Kurs rutschte während dieser Auseinandersetzungen in den Keller, die Kaufkraft sinkt im internationalen Vergleich und die Staatsschulden sind wieder stark gewachsen.

In der aktuellen Debatte wird Argentinien gerne als Beispiel für Griechenland herangezogen. Von den Befürwortern einer griechischen Staatspleite wegen der argentinischen Boom-Phase nach der Pleite – und von ihren Gegnern wegen der aktuellen Entwicklung zu einer neuen Krise.

Teaserfoto: Valentin Dornis

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