Stiche für die Ewigkeit

Schrecklich oder schick? (Foto: Anne Schubert)

Schrecklich oder schick? (Foto: Anne Schubert)

Die 20. Internationale Tattoo- und Piercing-Convention „DoCon“ in der Westfalenhalle in Dortmund: Hier trifft sich die große Tattoo- und Piercingszene. Vor lauter Tätowierern und begeisterten Fans dieses Körperschmucks kann man leicht den Überblick verlieren. Doch mit ihren roten Haaren und großen Tattoos ist mir Anne Langemann direkt aufgefallen. Die 25-Jährige ist das erste Mal auf der großen Messe. Ich habe mich mit der jungen Tätowiererin an ihrem Stand zusammengesetzt und mit ihr über die für mich fremde Tattoo-Szene gesprochen. [mega-slider id=“186472″/]

Dein Körper ist voll von ganz unterschiedlichen Tätowierungen. Was beudeuten denn Tattoos für dich, Anne?

Viele Leute denken ja, dass sie durch ein Tattoo cooler werden – das halte ich für falsch. Ich finde, dass Tätowierungen einen immer unterstützen, einem quasi den Rücken stützen sollten. Ich brauche nicht hinter jedem Tattoo eine Bedeutung, ein Tattoo muss nicht zwingend für die Oma oder den verstorbenen Hamster stehen. Ich bin generell der Meinung, dass Tattoos einen schmücken sollen und sie immer ein bisschen was von einem erzählen, ob man will oder nicht.

Jeder Tätowierer bringt oft eine sehr eigene Geschichte mit sich. Wie bist du denn in die Szene reingerutscht?

Zuerst habe ich was ganz Anständiges und Ordentliches gelernt – nämlich Grafikdesign. Doch in dem Job wurde ich nicht glücklich. Stattdessen habe ich mein Abi nachgeholt und wollte dann anfangen, Kunst zu studieren. Parallel habe ich mich aber heimlich in ganz Deutschland in Tattoo-Studios beworben, da das Tätowieren ein Kindheitstraum von mir war. So bin ich dann mit meiner Mappe von Tattoo-Studio zu Tattoo-Studio gereist. Und in Nürtingen, in der Nähe von Stuttgart, wurde ich dann im „Old Rabbit Tattoos“ aufgenommen, wo ich eine klassische Lehre gemacht habe und seit Anfang 2012 arbeite. 

Seit 2012 arbeitet die 25-jährige Anne Langemann als Tätowiererin. (Foto: Anne Schubert)

Seit 2012 arbeitet die 25-jährige Anne Langemann als Tätowiererin. (Foto: Anne Schubert)

Warum musstest du dich heimlich bewerben? Waren deine Eltern gegen deinen Wunsch, als Tätowiererin zu arbeiten?

Ja genau. Ich komme aus einem guten Elternhaus. Dementsprechend konnten meine Eltern am Anfang mit meinem Wunsch gar nicht leben. Zunächst haben sie mir lustigerweise immer noch Stellenanzeigen zur Grafikdesignerin gezeigt, aber sie konnten mich nicht von meinem eingeschlagenen Weg abbringen. Mittlerweile unterstützen sie mich und sind stolz auf meine Arbeit, da sie sehen, dass ich gut davon leben kann und nicht in Drogen oder Ähnliches abrutsche. Sondern ich stattdessen ordentlich meinen Job mache und härter arbeite als manch anderer.

Wann hast du dir dein erstes Tattoo stechen lassen? Und was war das für ein Tattoo?

Ich hab mir direkt mit 18 mein erstes Tattoo stechen lassen. Natürlich wollte ich auch schon vorher eins haben, aber meine Mama hat mir gedroht, dass sie dann den Tätowierer verklagen würde. Und das wollte ich auf keinen Fall, denn ich kann zwar gut mit einer Strafe leben, wenn ich selber Mist gebaut habe, aber ich finde es blöd, wenn jemand anderes für meine Tat die Schuld tragen muss. Also habe ich ganz brav gewartet und hab mir dann den Schriftzug „Freiheiten“ auf den Fuß tätowieren lassen, weil ich mit meinen Füßen in die Freiheit laufen kann.

Was macht ein gutes Tattoo für dich aus?

Ein gutes Tattoo fängt beim Design an, das nicht zu klein sein sollte. Ein gutes Tattoo sollte auch noch in 20 Jahren gut aussehen. Vorraussetzung dafür ist eine klare Linienführung, die dann nämlich noch zu erkennen sein sollte.

Das Design spielt also eine große Rolle. Wie würdest du denn deinen eigenen Stil beschreiben?

Ich bin immer noch in der Findungsphase, mein Stil ändert sich immer noch. Ich habe aber definitiv einen Drang zu traditionellen Motiven, die weiblicher sind. Der typische Mädchenkram wie Blumen, das liegt mir schon sehr.

Konntest du schon immer gut zeichnen oder hast du das erst durch die Lehre zur Tätowiererin erlernt?

Ich habe schon immer gerne gezeichnet. Meine Zeichnungen von früher haben allerdings so gar nichts mit dem Tattoo-Zeichnen gemeinsam. Damals habe ich sehr realistische Sachen gezeichnet. Auch durch meine Ausbildung zur Grafikdesignerin. Mit dem typischen Tattoo-Zeichnen habe ich erst durch das Tätowieren angefangen.

Anne im Gespräch mit einer Kundin auf der DoCon. (Foto: Anne Schubert)

Anne im Gespräch mit einer Kundin auf der DoCon. (Foto: Anne Schubert)

Woher bekommst du neue Ideen? Hast du irgendeine Inspirationsquelle?

Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal ist es einfach so, dass ich durch die Straßen laufe und dann stehen bleibe und denke: Das ist ja toll, das will ich mal zeichnen. Das kann ich mir gut vorstellen. Aber ich orientiere mich genauso an alten traditionellen Motiven, die ich dann mit meiner eigenen Note erweitere.

Wie stehst du zu Tattoo-Entferungen?

Ich biete keine Entfernungen an. Generell stehe ich in diesem Punkt in einem Zwiespalt mit mir selber. Einerseits sind Tattoo-Entfernungen gar nicht so blöd. Aus dem einfachen Grund, dass man leichter etwas anderes drüber tätowieren kann, wenn man es vorher aufhellt. Andererseits sage ich, dass ich Tattoos stechen will, die für immer sind. Dementsprechend möchte ich gar nicht erst anbieten, etwas entfernen zu lassen.

Hast du einen Tipp, wie ein Laie den optimalen Tätowierer für sich findet?

Das ist immer ziemlich schwierig. Ich kann absolut nachvollziehen, wenn Leute nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Zunächst ist es deshalb wichtig, sich zu überlegen, welches Motiv und welchen Stil man haben möchte. Der Kunde sollte schon eine Grundidee mitbringen. Der Tätowierer sollte aber auch so fair sein und sagen, wenn er zum Beispiel einen Stil nicht gut kann. Ich bin nicht gut darin, realistische Tattoos zu stechen. Dann schicke ich den Kunden lieber zu anderen Tätowierern, die das besser können.

Es liegt an der Persönlichkeit, ob der eine eher metzgert und der andere ein bisschen sanfter ist.

Jeder Tätowierer hat also seinen eigenen Stil und seine eigenen Stärken und Schwächen. Gibt es denn auch Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Tätowierern?

Im Vergleich mit Kollegen sehe ich, dass ich anders zeichne und schon beim Entwurf auf andere Dinge achte. Aber bei der Technik und wie jemand tätowiert, liegt nicht daran, ob man eine Frau oder ein Mann ist. Sondern ich denke, dass es an der Persönlichkeit liegt, ob der eine eher metzgert und der andere ein bisschen sanfter ist.

Blicken wir ein bisschen in die Zukunft: Du arbeitest seit drei Jahren in dem Studio „Old Rabbit Tattoos“. Wäre auch die Selbstständigkeit was für dich?

Im Moment wäre das noch gar nichts für mich. Ich schätze es sehr mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten und brauche das auch. Ich finde es sehr wichtig einfach nochmal über alles reden zu können, andere Einflüsse und neuen Input zu bekommen. Ich fühle mich auch noch nicht alt genug, um in die Selbstständigkeit zu gehen. Und ich glaube dafür habe ich auch noch nicht genug Arbeitserfahrung.

 

Zum Abschluss: Was war denn das krasseste oder witzigste Tattoo, das ein Kunde von dir haben wollte?

Das krasseste Tattoo kann ich jetzt gar nicht so genau nennen. Aber ein junger Mann wollte sich sein früheres Kuscheltier, ein kleiner Affe, tätowieren lassen – und zwar auf seinen Allerwertesten. Das war schon sehr witzig.

Jubiläumsmesse
Die internationale Tattoo und Piercing Convention „DoCon“ findet vom 12. bis 14. Juni in der Dortmunder Westfalenhalle statt und feiert dieses Jahr Jubiläum – die größte Tattoo-Messe der Welt wird 20. Auf über 10.500 Quadratmetern können sich Besucher beraten und tätowieren oder piercen lassen. 2014 besuchten rund 40.000 Menschen die Messe. Die Trendthemen in diesem Jahr: Tattooentfernungen, Förderung eines positiven Selbstbilds durch Piercings und „Omas Grabstein“ tätowieren lassen. Bei dem neuesten Trend wird der Grabstein eines geliebten Menschen mit allen Daten tätowiert – auf dass man sie niemals vergessen wird. Parallel zu den Ständen sorgen Bands wie Haudegen, Judith van Hel  oder Rapper Dark Dust für Stimmung auf der Bühne. Die Tageskarten kosten 20 Euro. Schüler, Studenten und Behinderte zahlen 17 Euro.

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert