Schlaflos – Wenn nachts der Kummer kommt

Wenig sagen, lange zuhören: Seit einem halben Jahrhundert helfen und trösten die Mitarbeiter der Telefonseelsorge Dortmund die Anrufer. Die meisten Seelsorger arbeiten ehrenamtlich – auch nachts. Warum gerade das manchmal ein Problem ist und wie die Mitarbeiter selbst belastende Gespräche verarbeiten, erzählt Pfarrerin Ingrid Behrendt-Fuchs im Interview mit Victor Fritzen.

Frau Behrendt-Fuchs, die Dortmunder Telefonseelsorge wird im kommenden Jahr 50. Was hat sich im Laufe der Jahre verändert?

Ingrid Behrendt-Fuchs: Wir blicken momentan viel zurück, und es hat sich eklatant viel verändert – vor allem die Technik und damit verbunden die Zahl der Anrufer. Seitdem die Nummer kostenlos ist, werden auch die Scherzanrufe mehr. Das ist ärgerlich, aber technisch derzeit noch nicht zu ändern. Die wirklichen Probleme, mit denen die Menschen anrufen, sind nach meiner Einschätzung die gleichen geblieben. Beziehungsprobleme, Einsamkeit, Krankheit – das hat es alles immer schon gegeben. Auffällig ist allerdings, dass immer mehr Menschen mit psychischen Problemen anrufen, die noch in der Psychiatrie oder in einem Krisenzentrum sind und wissen, dass sie uns anrufen können. Wir beraten sie natürlich sehr gerne. Dementsprechend müssen wir aber auch unsere Mitarbeiter noch mehr ausbilden als vor einigen Jahren.

Es gibt nicht viele Menschen, die gerne nachts arbeiten. Wie schwer ist es, die arbeitnehmer-unfreundlichen Dienste zu besetzen?

Behrendt-Fuchs: Der Wille, so spät zu arbeiten, ist eigentlich bei vielen unserer Mitarbeiter da. Aber trotzdem ist die Besetzung nicht immer ganz leicht. Wir müssen manchmal schon mehr als nachhaken. Bei uns arbeiten fast alle ehrenamtlich, viele haben noch einen „normalen“ Job, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Die können eigentlich nur am Wochenende bei uns sein. Wenn sie am nächsten Tag um 9 Uhr bei ihrer eigentlichen Arbeit sein müssen, können sie nicht bis 8 Uhr Telefonseelsorge machen. Für manche ist es aber auch ein gesundheitliches Problem. Diese Mitarbeiter machen dann nur halbe Schichten, müssen aber entsprechend öfter hier sein. Bei manchen geht es soweit, dass sie sich von ihrem Nachtdienst beurlauben lassen müssen – wofür ich viel Verständnis habe. Aber wir haben eben auch eine Verpflichtung, in der Nacht für die Menschen da zu sein.

Pfarrerin Ingrid Behrendt-Fuchs ist Leiterin der Telefonseelsorge Dortmund. Foto: Telefonseelsorge Dortmund

Pfarrerin Ingrid Behrendt-Fuchs ist Leiterin der Telefonseelsorge Dortmund. Foto: Telefonseelsorge Dortmund / Teaserfoto: Konstantin Gastmann/pixelio.de

Wie werden Ihre Mitarbeiter auf die nicht immer einfachen und belastenden Gespräche vorbereitet?

Behrendt-Fuchs: Der Dienst in der Telefonseelsorge führt so manchen mitunter an die Grenzen der psychischen Belastung. Bevor unsere Mitarbeiter jemanden am Telefon beraten dürfen, werden sie in mehr als 150 Ausbildungsstunden über ein Jahr lang geschult. Das ist die Grundausbildung. Danach gibt es regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen.

Wer tröstet die Seelsorger, wie verarbeiten ihre Mitarbeiter belastende und heikle Gespräche?

Behrendt-Fuchs: Wer bei uns am Telefon sitzt, muss bereit sein, alle zwei bis drei Wochen an der so genannten Supervision teilzunehmen. Das ist eine Gesprächsgruppe mit etwa sieben bis zehn Personen und zwei Supervisoren. Die Teilnehmer, also unsere Telefonisten erzählen, welche Gespräche ihnen besonders nahe gegangen sind, und reflektieren ihre Arbeit. Das dient nicht nur der psychischen Entlastung, sondern auch der Qualitätssicherung.

Welche Voraussetzungen müssen angehende Telefonseelsorger mitbringen?

Behrendt-Fuchs: Sie müssen mindestens 25 Jahre alt sein. Außerdem sind sie verpflichtet, eine Mindestanzahl an Diensten zu machen – neun in drei Monaten. Dabei zählt der Nachtdienst doppelt, vier pro Jahr müssen nachgewiesen werden. Hinzu kommen Fortbildungen, für die es sogar Wartelisten gibt.

Wie wichtig ist Anonymität – sowohl für Ihre Mitarbeiter als auch für die Anrufer?

Behrendt-Fuchs: Für unsere Mitarbeiter ist es vor allem ein wichtiger Schutz. Wir denken allerdings gerade darüber nach, ob es klug ist, dass die Anrufe auch weiterhin anonym und kostenlos sind. Vor allem, weil die missbräuchlichen Anrufe immer mehr werden. Das sind aber ganz schwierige Überlegungen, die vor allem auf Bundesebene stattfinden. Das Telefon klingelt nahezu immer. Und wir können von den Zahlen nachweisen, dass wir großen und steten Bedarf haben. Es kommen nicht immer alle Hilfesuchenden bei uns durch – leider. Das ist ganz, ganz schwer zu beantworten und die große Herausforderung für die Zukunft. 

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