Wieviel PISA braucht Deutschland?

Die Ergebnisse der neuen PISA-Studie sind vorgestellt. Dieses Mal hat es Deutschland ins internationale Mittelfeld geschafft. Eine deutliche Steigerung nach dem schlechten Abschneiden in der ersten Untersuchung im Jahr 2000. Doch wie aussagekräftig und repräsentativ ist ein derart großflächiger Leistungsvergleich und kann die Effizienz von Schulsystemen in so verschiedenen Ländern wie Japan und Deutschland mit ein und demselben Wissenstest verglichen werden?

PISA Schüler

Deutsche Schüler haben im internationalen Vergleich aufgeholt. Foto: aboutpixel.de/Stephen Petrat

Die erste Studie im Jahr 2000  versetzte Deutschland in den großen „Pisa Schock“. Ergebnis damals war, dass rund zwanzig Prozent der 15-jährigen Deutschen nur auf Grundschulniveau schreiben und lesen können.
PISA ist das „Programme for International Student Assesment“, also das Programm zur internationalen Schülerbewertung, das von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt wird. Insgesamt nahmen dieses Jahr 470.000 Schüler in 65 Ländern am einzigen internationalen Leistungsvergleich im Schulbereich teil – darunter alle 34 OECD-Länder. Die Studie soll untersuchen, inwiefern Schüler am Ende ihrer Pflichtschulzeit, also mit 15 Jahren, auf das wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Leben vorbereitet sind.

PISA birgt große Schwachstellen

Durch das Testen von Basiskompetenzen will die Studie aufzeigen, in welchem Maße Schüler in verschiedenen Nationen auf das Berufsleben vorbereitet sind und gegen welche Stärken und Schwächen der Schulsysteme ein Staat gezielt vorgehen kann. Die große Anzahl an untersuchten Ländern macht die Studie zwar sehr repräsentativ, birgt aber auch eine ihrer größten Schwachstellen. Um die gleiche Bewertung der Schüler zu gewährleisten, werden in jedem Land die gleichen Fragen gestellt. Unterschiedliche Kulturkreise und Lehrpläne erschweren aber die Erhebung vergleichbarer Daten. Die Wissenschaftler der OECD beschränkten den Test daher auf die drei Schwerpunkte Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften, von denen jeweils einer in regelmäßigem Wechsel getestet wird. Somit werden alle neun Jahre Daten in den einzelnen Schwerpunkten erhoben, die zum Vergleich herangezogen werden können. Die OECD will dadurch langfristige Veränderungen in den Schulleistungen beobachten.

Ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen

Einer der größten Kritikpunkte ist trotz alledem, dass bei PISA Äpfel mit Birnen verglichen werden, dass also ein Vergleich derart unterschiedlicher Schulsysteme schlichtweg nicht möglich ist. Bereits dadurch, dass nach dem Alter und nicht der Klassenstufe getestet wird, sind unterschiedliche Voraussetzungen gegeben. Die schulische Ausbildung in Japan beginnt bereits in den Kindergärten. Damit hat ein 15-jähriger Japaner längere Zeit gelernt als ein Deutscher. Aber auch Migranten, die eventuell später eingeschult wurden oder Schüler, die eine Klassenstufe wiederholt haben, sind mit 15 Jahren nicht auf demselben Wissensstand wie gleichaltrige Schüler, die bis dato eine reguläre Schulzeit durchlaufen haben. Auf der anderen Seite gehen besonders in weniger entwickelten Ländern leistungsschwächere 15-Jährige schon gar nicht mehr zur Schule, weswegen sie folglich nicht in die Bewertung einfließen.

Kreativität und Sozialkompetenz werden ausgeklammert

Lesekompetenz ist einer der drei Schwerpunkte der PISA-Studie. Foto: aboutpixel.de/Hans-Jörg Nisch

Der Umfang der Studie gibt ebenfalls Anlass zur Kritik. Mit rund 200 teilnehmenden Schulen ist jedes Land zwar mit derselben Anzahl an Schülern vertreten. Für Deutschland macht dies allerdings nur einen verschwindend geringen Anteil der für die Studie relevanten 15-jährigen Schüler aus, während in Luxemburg nahezu jeder Schüler an PISA teilnimmt. Inhaltlich misst die Studie Wissen eher einseitig. Sozialkompetenzen, Selbstständigkeit und Kreativität, aber auch Geschichte, Sprache, und Kritikfähigkeit, werden zugunsten mathematischer Fähigkeiten ausgeklammert.

Übersetzung als Fehlerquelle

Die Übersetzung der Testfragen in verschiedene Sprachen ist ebenfalls ein Schwachpunkt der Studie. Demnach könnten laut den Wissenschaftlern Alain Blum and France-Guérin Pace kleinste Änderungen, die sich durch die Übersetzung ergeben, zu einer völlig anderen Antwort des Schülers führen. Ein Text der aus dem Französischen übersetzt wird, verlängert sich zum Beispiel um etwa fünfzehn Prozent. Aber auch die Übersetzer selbst können eine Fehlerquelle sein. Es kommt vor, dass in den Übersetzungen Hilfestellungen gegeben werden, die in der eigentlichen Fragestellung nicht vorgesehen sind. Oder der Übersetzer übersieht wichtige Hinweise im Originaltext und übersetzt sie dementsprechend nicht.

Mangelnde Transparenz in der Durchführung

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Alle OECD-Staaten nehmen an PISA teil. Foto: www.oecd.org

Die Universität Kassel stellt neben den methodischen Aspekten auch die Wissenschaftlichkeit der PISA-Studie in Frage. Die, zu etwa 60 Prozent, geheimen Fragen könnten fachwissenschaftlich nicht überprüft werden. Die Entwicklung der Fragen von überwiegend privatwirtschaftlichen Firmen verstärke diesen Mangel an Transparenz noch. Aber auch, dass die Aufgaben spezifischen Sprach- und Denktraditionen entstammen, insbesondere aus dem englischen Sprachraum, führt dazu, dass die Schüler in unterschiedlichem Maße mit den Aufgabenstellungen vertraut sind. Darüber hinaus wird die Aussagekraft der Studie in Frage gestellt. Die politischen Folgerungen, die sich aus den vergleichenden Analysen ergeben, lassen sich empirisch nicht begründen. Nur, weil ein Land wie Finnland, das in der PISA-Studie traditionell sehr gut abschneidet, Frontalunterricht in seinen Schulen betreibt, bedeutet dies nicht automatisch die Anwendbarkeit auf andere Schulsysteme.

„Schielen auf die Rangliste“ in der Bildungspolitik

Konrad Paul Liessmann, Professor für Philosophie an der Universität Wien, beschreibt den heutigen Stand von Bildungspolitik mit einem Satz: „Sie erschöpft sich im Schielen auf die Rangliste.“ Selten könne mit so einfachen Mitteln wie einer Studie ein ganzes System wirkungsvoll in Frage gestellt werden. Ein schlechter Listenplatz setzt eine Regierung mehr unter Druck als aufwändige Statistiken. Die vereinfachten medienkompatiblen Aussagen der Ranglisten bereiten Wissenschaftlern und Politikern regelmäßig Kopfschmerzen.

Wenig Aussagekraft von PISA

Die Entwicklung der Lesekompetenz deutscher Schüler seit 2000. Grafik: oecd.org

Die Entwicklung der Lesekompetenz deutscher Schüler seit 2000. Grafik: www.oecd.org

Die PISA-Studie strebt an, grundverschiedene Schulsysteme zu vergleichen. Die Aussagekraft für die nationalen Bildungssysteme selbst fällt dabei allerdings oft einer gewissen Oberflächlichkeit und mangelnder Transparenz zum Opfer. Was in der Öffentlichkeit ankommt sind die populären, leicht zu verkaufenden Ergebnisse. Finnische und südkoreanische Schüler sind die schlausten und die Leistungen der deutschen Schüler haben sich zwar verbessert, liegen aber weiterhin nur im internationalen Durchschnitt. Ob diese einfachen Ergebnisse allerdings die Realität widerspiegeln und PISA die Kapazität hat, qualitativ valide Vergleiche zu ziehen, sollte auch dieses Jahr bei den postwendend erschallenden Forderungen nach Bildungsreformen hinterfragt werden. Das Schüler in Südkorea für ein gutes Abschneiden in der Studie bezahlt werden, finnische Schüler Noten bekommen, der Test in Deutschland hingegen gänzlich ohne Anreize durchgeführt wird, zeigt allein die variierende Motivation der Schüler. Der durch die PISA-Ergebnisse auf die Politik ausgeübte Ergebnisdruck sollte vielmehr einer auf die Bildungslandschaft angepassten, nachhaltigen Reform auf der Grundlage schulinterner Evaluationen weichen.

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