Duell um die Privatsphäre: Schadet uns Big Data?

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Algorithmen können uns manipulieren und unser Verhalten vorhersagen. Die Polizei kann Verbrechen verhindern, bevor sie geschehen und braucht dafür nicht einmal Überwachungskameras – genügend Daten aus dem Internet reichen schon. Krankenkassen können sämtliche unserer Körperaktivitäten analysieren und darauf basierend unsere Beitragszahlung festlegen. Das ist erschreckend. Aber es ist auch unglaublich hilfreich und kann viel Gutes bewirken.

Unsere Freiheit geht verloren

findet Tobias Schulte.

Maßgeschneiderte Werbung, persönliche Suchergebnisse oder Fitness-Apps – bisher begegnet uns Big Data recht freundlich. Die vielen Daten können aber auch schnell unsere Freiheit einschränken. So haben zum Beispiel Facebook-interne Experimente gezeigt, dass durch das soziale Netzwerk das Wahlverhalten der Amerikaner beeinflusst werden kann.

Facebook hat bei den Kongresswahlen 2010 über 61 Millionen Nutzern einen Aufruf zum Wählen geschickt, bei denen sie Informationen zu ihrem Wahllokal erhalten haben und „Ich habe gewählt“ klicken konnten. Die Anzeigen, die mit den Gesichtern von Facebook-Freunden geschmückt waren, wurden dabei häufiger mit „ich habe gewählt“ beantwortet als die, die unpersönlich waren.

Zunächst ist es erst mal gut, wenn dadurch mehr Menschen zur Wahl gehen und die Demokratie fördern. Aber was, wenn Facebook in Zukunft politisch wird und eine Partei unterstützen würde, indem nur Demokraten oder Republikaner stark zur Wahl aufgefordert werden? Auch das Ergebnis des Versuchs, dass solch wichtige Entscheidungen wie Wählen von Facebook beeinflusst werden kann, macht mir Angst. Was, wenn nicht Facebook, sondern ein autoritärer Staat Herr über die Daten wird? Big Data bietet Zensoren eine Form der Kontrolle in neuer Qualität.

Mir persönlich bereitet es Sorgen, wie Facebook mit uns Versuchskaninchen spielt. So war das Wahl-Experiment nur eines von wenigen Projekten, die öffentlich gemacht wurden. Wie sonst mit uns und unseren Daten experimentiert wird, wissen wir nicht. Aber auch unseren eigenen Umgang mit unseren Daten reflektieren wir nicht. Beispielsweise wollen sich Versicherungen der Überwachung bedienen: Wer seine Daten im Auto mitschreiben lässt und belegen kann, dass er umsichtiger als der Durchschnitt fährt, erhält Vergünstigungen. Den Menschen, die etwas schlechter fahren, legt man dadurch aber eine Last auf. Und diejenigen, die aufgrund von datenschutzrechtlichen Bedenken oder privaten Gründen nicht mitmachen, die haben doch was zu verbergen, oder?!

Das ist genau das Gegenteil, wie Versicherungen in unserer Gesellschaft funktionieren. Wenn ich meine Daten verkaufe, dann ist das nicht nur eine kommerzielle Handlung, sondern auch eine ethische. Wir sind so gierig auf scheinbar kostenlose Dienste, für die wir mit unseren Daten bezahlen, dass wir uns einer Datenkatastrophe nicht bewusst sind. Dadurch werden wir zwangsläufig auf immer schlechtere Deals mit Unternehmen oder Versicherungen eingehen. Wenn wir unsere Datenfreizügigkeit nicht reduzieren, dann können wir die Kontrolle über unsere Daten – und somit auch über uns – verlieren.

Die möglichen Vorteile durch Big Data, oder das „Internet der Dinge“ sind allerdings unverkennbar und wurden schon genannt. Den Preis, den man dafür zahlen muss, ist Überwachung.

Das Problem des „Internets der Dinge“ ist nur, dass Lösungen beim Einzelnen gesucht werden und nicht beim Staat oder in der Wirtschaft. Politische und ökonomische Entscheidungen werden also immer weniger ins Gewicht fallen, während das Handeln des Einzelnen durch Überwachung optimiert wird. Ist das fair? Spinnt man diese Entwicklung gedanklich weiter, ist es nicht schwer, sich einen Bürger vorzustellen, der von Maschinen bestimmt wird.

Insgesamt geht es nicht um die Frage: Big Data, das „Internet der Dinge“ – gut oder böse? Es geht darum, das richtige Maß zu finden. Aufgrund der Freizügigkeit mit unseren Daten und der Gier nach immer mehr scheinbar kostenlosen Diensten sehe ich dieses Maß in Zukunft überlaufen. Wir müssen uns bei allen Vorteilen auch den Gefahren von Datenmissbrauch bewusst werden, unsere Freizügigkeit ethisch hinterfragen und versuchen, Probleme in der Gemeinschaft zu lösen. Big Data ist wie eine Medizin für manche Probleme in unserer Welt. Doch wie bei jeder Medizin entscheidet die Dosis darüber, ob es nicht zur Droge wird.

Die Algorithmen brauchen Werte

findet Leonie Gürtler.

Der Google-Algorithmus entscheidet, welches die ersten Suchergebnisse sind und welche erst auf der zehnten Seite stehen. Google hat viel Macht über uns. Das heißt aber noch lange nicht, dass jedes beliebige Unternehmen diese Macht zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann. Das geht nur, wenn Google mitmacht. 

Es gibt einen Grund, warum Twitter in der Türkei abgeschaltet wurde und die Chinesen ihr eigenes Facebook haben. Sie haben Angst vor dem, was mit der Freiheit der Medien möglich ist. Sie haben nicht versucht, die sozialen Medien zu ihrem Wohl zu verändern, sondern haben sie abgeschaltet – weil es eben nicht so leicht ist, solch ein Unternehmen zu instrumentalisieren.

Einen Algorithmus zu nutzen, um anderen bewusst zu schaden, ist also schwierig. Aber wie wäre es denn, wenn der Algorithmus Werte hätte? Google könnte Rechtsradikale identifizieren und ihnen genau deshalb Werbung für antirassistische Initiativen anzeigen. 

Ein einfacher Algorithmus kann unentschlossene Menschen dazu bringen, ihre Meinung in die eine oder andere Richtung zu ändern. Er kann Menschen dazu bewegen, wählen zu gehen oder sich sozial zu engagieren. 

Natürlich kann ein Algorithmus uns besser analysieren, je mehr Daten er von uns hat. Natürlich kann er uns so Werbung schalten, die perfekt auf uns zugeschnitten ist. Aber schadet uns das wirklich? Ja, wir werden stärker von Werbung beeinflusst, als wir denken. Aber nein, Werbung bringt uns nicht dazu, plötzlich völlig irrational zu handeln. Erhebungen im Consumer Behaviour haben gezeigt, dass Werbung einem Unternehmen keine höhere Marktdurchdringung verschafft, sondern bloß verhindert, dass der Marktanteil sinkt. So stark kann der Einfluss also nicht sein. Anders ist das bei jungen Unternehmen, die noch keinen festgesetzten Marktanteil haben: Ihnen hilft die Werbung, erst einmal zu wachsen. 

Und das soll uns also schaden? Dass wir auf neue Produkte aufmerksam gemacht werden, die uns interessieren könnten? Oder dass wir Werbung für Produkte bekommen, die wir eh schon kennen? Ich denke nicht. Und wenn doch, dann überwiegen meiner Meinung nach die Chancen, die uns Big Data bieten, wenn es darum geht, Verbrechen zu verhindern, die Jugend zu schützen oder Menschen vor der Radikalisierung zu wahren. Kurz: Big Data gibt uns die Möglichkeit, unsere Werte zu schützen.

Je mehr Daten wir den Krankenkassen geben, desto besser können sie uns einschätzen. Desto besser wissen sie, wie hoch unser Risiko ist, krank zu werden. Und desto besser können sie die belohnen, die auf sich aufpassen. Ja, unser Sozialsystem basiert darauf, dass die Gesunden die Kranken mitfinanzieren. Aber je mehr Daten die Krankenkasse hat, desto gerechter kann sie die Lasten verteilen. Sie kann mehr Beiträge von den Rauchern verlangen, die Beiträge für die reduzieren, die regelmäßig Sport machen und sie kann anhand von Messwerten über Körperfunktionen schneller erkennen, wenn jemand krank wird. Was ist daran so schlecht?

Aber damit unsere Daten nicht missbraucht werden und all das Positive weiterhin möglich ist, das Negative aber nicht, brauchen wir vernünftige Regeln, wie mit Daten umgegangen werden darf. Gesetze, die transparent sind. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern mit den großen amerikanischen Playern Google, Facebook und Apple. Denn mehr Privatsphäre ist nicht die Lösung: Das Internet braucht unsere Daten, sonst wäre es nicht das, was es ist und hätte nicht all diese Fähigkeiten, die wir so an ihm schätzen.

Wir brauchen nicht mehr Privatsphäre. Wir brauchen einen funktionierenden Rechtsstaat, der diese Gesetze durchsetzt. Und wir müssen unseren gesunden Menschenverstand einsetzen, anstatt ihn einfach abzuschalten und uns ausschließlich auf Maschinen zu verlassen.

das-duell-feederFoto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de, Montage: Brinkmann/Schweigmann 
Teaserfoto: flickr.com/Marco Verch

 

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