Tagebuch eines Volunteers

Die Frauen-WM geht in die entscheidende Phase, aber der Ruhrpott ist außen vor. Johannes Hein war als einer von 300 Bochumer Volunteers von der ersten bis zur letzten Minute ganz nah dran an der WM. pflichtlektüre-Reporter Philipp Ziser hat seine Erlebnisse aufgezeichnet.

Und fertig! Gestern war mein letzter Tag als Volunteer der FIFA WM 2011. Die Finalspiele werde ich alle vor dem Fernseher verfolgen, in Bochum ist nämlich schon Schluss mit WM – neben Berlin der einzige Spielort, wo keine Finalpartien stattfinden. Schade eigentlich, es war eine klasse Zeit.

Johannes Hein war als Volunteer bei der FIFA Frauen-WM im Einsatz. Der 24-jährige studiert Medizin an der RUB. Foto: privat.

Johannes Hein war als Volunteer bei der FIFA Frauen-WM im Einsatz. Der 24-Jährige studiert Medizin an der RUB. Foto: privat.

Geheimaktion nach Schlusspfiff

Die kurioseste Situation hab ich wohl am Mittwoch beim letzten Spiel erlebt. Auf einmal wurden 22 junge weibliche Volunteers gesucht, aber keiner durfte sagen wofür. Erst als es soweit war, haben alle erfahren: Die komplette nordkoreanische Mannschaft musste zum Doping-Test! (A.d.R: Dies geschieht laut FIFA-Regeln, wenn zuvor mehr als eine Spielerin positiv getestet wurde.) Also kriegt jede der 22 eine Nummer und darf die entsprechende Spielerin direkt auf dem Platz abholen und zum Dopingtest. Die Nordkoreanerinnen waren vielleicht genervt davon! Zum Glück war ich als Mann bei dem Job außen vor.

Wirklich glücklich waren die Nordkoreanerinnen in Deutschland sowieso nicht. Erst vom Blitz getroffen, schlecht gespielt, nicht mal ein Tor geschossen. Und sonst den ganzen Tag im Hotelzimmer, mit gekappten Fernsehkabeln, damit sie auch ja nichts mitbekommen von Deutschland.

Und wenn sie mal nicht im Hotel oder auf dem Platz waren, dann wurden die Spielerinnen unterwegs immer mit Polizeischutz komplett abgeschottet. Deshalb habe ich die außer auf dem Fußballfeld überhaupt nicht gesehen. Dafür war ich ganz nah an den Australierinnen dran. Die hatten offenbar keine Lust ihr ganzes Team-Equipment selber in die Kabine zu tragen. Also haben wir Volunteers das gemacht und Bälle, Medizinkoffer, Teamkleidung und was eine Nationalmannschaft noch so alles braucht in die Katakomben des Stadions gebracht.

Beim Spiel Nordkorea-Kolumbien macht eine Volunteer die Laola-Welle. Kein Wunder, dass sie nicht aufs Spielfeld guckt: Das Spiel war ein Langweiler und endete 0:0. Foto: flickr / Like_The_Grand_Canyon.

Beim Spiel Nordkorea-Kolumbien macht eine Volunteer die Laola-Welle. Kein WUnder, dass sie nicht aufs Spielfeld guckt: Das Spiel war ein Langweiler und endete 0:0. Foto: flickr/Like_The_Grand_Canyon.

Mädchen für alles? Gerne!

Sachen durch die Gegend tragen und verteilen war sowieso meine Hauptaufgabe. Zusammen mit den anderen, die wie ich in der Logistik tätig waren, mussten wir Lieferungen annehmen und alles verteilen. Die meiste Arbeit hatten wir immer vor und nach den Spielen, besonders vor der ersten Partie natürlich. Unfassbar, was die FIFA für Kram mitschleppt. Kühlschränke, Fernseher und Kopierer zum Beispiel, richtig viele. Vor allem für die Medienräume natürlich, aber auch die Mannschaftsräume und Team-Umkleiden mussten alle bestückt werden. Dazu kommen natürlich die ganzen Catering-Lieferungen, die auch alle an ihren Platz gebracht werden müssen. Kurz vor dem ersten Spiel war Alarm: Es fehlten Mülleimer. Die Betreiberfirma hatte wohl vergessen, welche zu aufzustellen. Also sind wieder die Volunteers ausgerückt und haben überall im Stadion Mülleimer verteilt.

Eine Besonderheit der FIFA sind ihre Sponsoren. Das heißt, nichts im Stadion darf darauf hinweisen, dass hier mal etwas anderes als Weltmeisterschaft drin stattgefunden hat. Also war mein erster Job, durch alle Räume zu laufen und alle Markennamen auf irgendwelchen fest installierten Geräten mit weißem Klebeband zu überkleben. Auch alle anderen großen Schilder mussten abgeklebt oder abgenommen werden, an den Stellen konnte die FIFA dann die Logos ihrer Werbepartner platzieren.

Wenn man viel vor und nach dem Spiel und auch an den Nicht-Spieltagen zu tun hat, gibt es natürlich einen Vorteil: Während der Spiele ist die Auftragslage ruhig und man kann das Spiel live im Stadion sehen. Es waren zwar keine wirklichen Hammer-Teams in Bochum, aber Frankreich und vor allem Japan haben stärker gespielt als gedacht. Deshalb war es für mich auch nicht so überraschend, dass sie die deutsche Mannschaft geschlagen haben. Und den größten Aufreger der WM hatten wir ja auch in Bochum: Als die Abwehrspielerin von Äquatorial-Guinea mit dem Ball in der Hand durch den Strafraum lief dachte ich mir: „Irgendwas läuft da falsch.“ Die Schiedsrichterin musste, glaube ich, noch am gleichen Abend zurück nach Frankfurt zum Rapport.

Flutlicht-Atmosphäre: "Es ist ein tolles Gefühl, so eine WM vom Anfang bis zum Ende mitzuorganisieren", sagt Johannes Hein. Foto: flickr / Like_The_Grand_Canyon.

Flutlicht-Atmosphäre: "Es ist ein tolles Gefühl, so eine WM vom Anfang bis zum Ende mitzuorganisieren", sagt Johannes Hein. Foto: flickr/Like_The_Grand_Canyon.

Kurz danach wurden wir auf die VIP-Tribüne gerufen. Offensichtlich war es nicht nur den Afrikanern unter den Ehrengästen zu kalt, also brauchten sie Decken. So bekommt man natürlich auch mal einen Einblick in die Regionen des Stadions, die man normalerweise nur selten zu Gesicht bekommt, wie zum Beispiel den VIP-Bereich. Steffi Jones ist sogar persönlich zu uns gekommen, hat mit uns gesprochen und sich bei uns bedankt. Am Spielort Bochum ist die WM nämlich insgesamt sehr gut gelaufen: Mit der Organisation ging alles glatt und Tickets wurden auch viele verkauft.

Unter fremder Flagge

Skurril waren auch immer die Einlaufproben: Damit alles perfekt durchorganisiert ist, gibt es vor jedem Spiel eine Einlaufprobe mit den Einlaufkindern, wir Volunteers durften dabei die Spielerinnen ersetzen. War schon komisch in ein leeres Stadion einzulaufen und die Nationalhymne eines fremden Landes zu hören. Spaß hat es aber auf jeden Fall gemacht.

Gestern Abend haben wir dann unsere Abschlussfeier gehabt, nachdem wir alles wieder herausgetragen haben, was wir vor drei Wochen hineingebracht haben. Dariusz Wosz, der WM-Botschafter der Stadt hat nochmal vorbeigeschaut und es gab Essen und Getränke für alle. Ist ein komisches Gefühl, die Leute wahrscheinlich nie mehr wiederzusehen. Immerhin waren die 300 Volunteers aus 40 verschiedenen Ländern, allein in Bochum. Altersgruppen waren auch alle dabei, von Abiturienten bis zum Rentner. Und obwohl die Leute so unterschiedlich waren: Die Gruppe war toll, da wächst schon etwas zusammen, wenn man so etwas von vorne bis hinten mitorganisiert.

Naja, die WM geht weiter, nur leider ohne Bochum. Aber die Zeit als Volunteer werde ich in guter Erinnerung behalten, es war eine tolle Zeit. Und die rot weiße Einsatzkleidung bekommt natürlich einen Ehrenplatz im Kleiderschrank.

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