Duell am Donnerstag: Public Viewing bei der Fußball-WM?

 DAS-DUELL-Susanne-Louisa

 

Schon heute Abend ist es so weit: Nach vier Jahren Wartezeit startet die Fußball-Weltmeisterschaft 2014. In ganz Deutschland wird fleißig die Werbetrommel gerührt. Es geht um Fußball, Leidenschaft, aber auch um Geld. Public Viewing soll nicht nur die Fußball-Fans vier Wochen lang in Glückseligkeit wiegen, sondern auch die Konsumlaune in den Innenstädten ankurbeln. Doch genau hier scheiden sich die Geister. „Auf zum Rudelgucken!“, sagt Susanne Hoffmann. „Bloß nicht!“, findet Luisa Heß.

 Ja!

Ein schwarz-rot-goldenes Meer aus Fahnen, Trikots und Menschen. Bei lautstarker Fan-Musik und dem Kreischen einiger Vuvuzelas, die wohl noch von der letzten WM übrig geblieben sind, fiebern alle unruhig dem Anstoß entgegen. Mit den ersten Tönen der deutschen Nationalhymne verstummt der Krach. Die Fans singen nun voller Inbrunst mit. Stolz auf das eigene Land sein und mit Fahnen schwenken – vor der WM 2006 undenkbar. Doch unser Sommermärchen hat gezeigt, dass wir stolz sein dürfen auf unsere Fußball-Nation. Auf unsere Mannschaft mit vielen Hoffnungsträgern und darauf, dass wir aller Welt zeigen konnten, wie offen unser Land geworden ist. Fußball verbindet.

Gartenparty geht immer, Public Viewing nicht

Nach dem Gänsehaut-Moment startet das Spiel. Tausende blicken gebannt auf die Leinwand. Das Argument, Public Viewing bedeute automatisch schlechte Sicht, zieht nicht. Denn wer früh genug da ist, wird mit einem Ausblick belohnt, den kein Fernseher der Welt überbieten kann. Und mit der Stimmung kann sowieso keine Privatparty im Wohnzimmer mithalten. Denn Freunde zum Grillen, Biertrinken und Fußballgucken einladen geht immer,  inmitten einer riesigen Menschenmasse ein Fußball-Fest feiern dagegen nicht. 

„Schland! Schland!“, schallt es über den Platz. Gemeinsam feuern wir unser Team an, als könnten Jogis Jungs uns hören. Als wären wir selbst im Stadion. Die Steh-Nachbarn kann man sich auch beim Public Viewing nicht aussuchen, doch die Atmosphäre ist entspannt. Jeder spendiert mal eine Runde Bier, die Fans der gegnerischen Nation sind im Kreis der Feiernden längst aufgenommen. Unqualifizierte Kommentare von Gelegenheits-Fans fallen hier längst nicht so sehr auf wie im heimischen Wohnzimmer und unter den Tausenden stehen außerdem jede Menge Experten zum Fachsimpeln zur Verfügung. 

Vom brasilianischen Stil anstecken lassen

Und dann passiert das, worauf alle gehofft haben: „Tooooor!“ Diese Welle der Euphorie reißt jeden mit. Der eigene Jubel vermischt sich mit der puren Freude anderer zu einem Glücksmoment, dem sich keiner entziehen kann. 

Gerade bei dieser WM ist Public Viewing unverzichtbar. Denn wenn wir die WM so nah wie möglich erleben wollen, müssen wir uns vom brasilianischen Lebensstil anstecken lassen. Und das heißt auch: Fußball-Karneval beim Rudelgucken feiern. Und mit etwas Glück wird das erste deutsche Spiel genauso ablaufen, wie ich es ausgemalt habe.

Nein!

Die Bilder der Fußball-WM 2006 gehen auch heute noch immer wieder durch die Medien. Inzwischen sind sie zum Synonym für das ganz große Wir-Gefühl schlechthin geworden. Aber mal ehrlich – ist eine Weltmeisterschaft wirklich die einzige Möglichkeit, um sich als Gemeinschaft zu fühlen? Eher nicht.

Menschenmasse statt Fußball-Idyll

Allein schon deshalb, weil es jedem Nicht-Public-Viewing-Fan verwehrt wird, einfach mal nicht am wochenlangen Ausnahmezustand teilzunehmen. Rudel-Gucken ist ein Muss; jeder, der sich diesem Spektakel entzieht, wird zum Außenseiter. Gruppenzwang lautet die Devise. Ob dadurch die Nation wirklich näher zusammen rückt, bleibt dahingestellt.

Alternativen zum Public Viewing werden von den eingefleischten Leinwand-Starrern meist nur höflich belächelt. Dabei kann gerade das gemeinsame WM-Schauen mit den Freunden zu Hause zum unvergesslichen Erlebnis werden. Endlich steht der Fußball im Vordergrund, und nicht der Hinterkopf des 1,90m großen Fans direkt vor meiner Nase. Endlich kann ich das Spiel auf dem Rasen ohne nervige Zwischenrufe ungestört verfolgen. Und endlich kann ich mich dabei auch mit meinen Freunden über den Fußball unterhalten, ohne mir dabei die Stimme aus dem Leib schreien zu müssen.

Unter Egoisten

WM-Schauen zu Hause bringt nicht nur den Verweigerern des Public Viewings Vorteile – auch all die Nicht-Fußball-Fans werden sich dafür bei ihnen bedanken. Oder denkt überhaupt jemand derer, die sich auf den großen Plätzen grölend in den Armen liegen, an all diejenigen, die sich nicht für Fußball interessieren? Für viele Arbeitende, Kinder, Ältere oder Kranke wird Deutschlands Fußball-Rausch alle vier Jahre zur Katastrophe. Erst raubt ihnen nachts der Lärm der Fußball-Fans den Schlaf und tagsüber müssen sie aufpassen, nicht über eine der vielen Bierflaschen zu stolpern. Das große Saubermach-Kommando kommt erst noch.

Public Viewing: Ein Freibrief

Natürlich ist es schön, das Siegen und Verlieren der deutschen Elf gemeinsam mit tausenden anderen Verbündeten zu erleben. Leider schlagen aber hier einige der Fans, wie bei anderen Massenveranstaltungen auch, über die Stränge. Public Viewing wird immer mehr als Alibi für eine wochenlange Dauer-Party missbraucht. Kaum schießt Deutschland ein Tor, werden Moral und gute Sitten über Bord geworfen. Mit Fußball hat dieses Ereignis dann nur noch wenig zu tun.

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Foto: stockxchng/bizior, Teaserfoto: Alexander Klaus/pixelio.de, Montage: Steinborn/Schweigmann  

 

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