Zwischen Konflikt und Krieg

Mann groß

Trotz tiefsten Winters verharren die Demonstranten auf dem Maidan und lassen sich von dem Militär nicht einschüchtern. Foto: flickr.com/112078056@N07 und Teaserbild: flickr.com/streetwrk

Die ersten Fotos von den Protesten auf dem Maidan gingen Ende November vergangenen Jahres um die Welt. Nur die wenigsten ahnten damals, dass sich daraus ein Konflikt entwickeln würde, der das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen so tief spaltet, dass sich viele an den Kalten Krieg zurück erinnert fühlen. Und angesichts der mittlerweile vielen Toten in der Ukraine fragt man sich: Ist das noch ein Konflikt, von dem deutsche Politiker wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprechen, oder befindet sich die Ukraine schon in einem Krieg?

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Diese Frau bereitet Essen für die Demonstranten vor. Foto: flickr.com/mac_ivan

Nachdem die ukrainische Regierung im vergangenen November überraschend ankündigte, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterschreiben, brach in der Ukraine ein Konflikt los zwischen denjenigen, die für die Zugehörigkeit zur EU sind und denen, die sich lieber gen Osten orientieren wollen. Der Maidan wurde zum Austragungsort dieses Konfliktes. Zunächst entwickelte er sich zu einem großen Campingplatz mit tausenden Menschen, die für das EU-Assoziierungsabkommen protestierten. Doch dann wurde der Platz zu einem Schlachtfeld mit vermummten Soldaten, die den Maidan stürmten, mit Gefechten zwischen Demonstranten und Militär und schließlich mit ersten Toten. Spätestens seit der Annexion der Krim durch Russland am 21.März dieses Jahres und der daraus folgenden Krimkrise, die vielen Menschen bereits das Leben gekostet hat, stellt sich die Frage, ob es sich noch um eine Krise bzw. einen Konflikt handelt und nicht doch um einen Krieg.

Keine einheitliche Definition für Krieg

Diese Frage zu beantworten, ist nicht einfach, denn es gibt keine einheitliche Definition von Krieg. Vor 200 Jahren definierte der preußische General Carl von Clausewitz Krieg als einen Akt der Gewalt, der den Gegner dazu zwingen soll, den eigenen Willen zu erfüllen. Er ging davon aus, dass ein Krieg erst dann beginnt, wenn sich der Angegriffene mit Waffen verteidigt. Zudem spielte bei Clausewitz die Abschreckung durch eine große Armee eine entscheidende Rolle dafür, dass man von Krieg sprechen kann. Von Clausewitz‘ Definition gilt bis heute als Klassiker in der Kriegstheorie. Doch mit der Zeit und den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg, dem Kalten Krieg und Terroranschlägen hat sich die Definition von Krieg verändert. Die Weltgemeinschaft hat sich offiziell von von Clausewitz‘ Definition abgewandt, vor allem in dem Punkt, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Die Vereinten Nationen definieren Krieg heute als einen organisierten, bewaffneten Massenkonflikt zwischen den Streitkräften zweier Länder oder zwischen Regierungstruppen und Guerilla-Kämpfern. Eine formelle Kriegserklärung ist dafür nicht üblich.

Quelle: http://www.bpb.de/mediathek/546/die-neuen-kriege
© 2004 Bundeszentrale für politische Bildung und John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin.  Dieses Video ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/ und wurde nicht verändert.

Eine allgemeingültige Definition von Krieg ist auch deshalb so schwierig aufzustellen, da die Kriege heutzutage sehr unterschiedlich sind, allein was die Kriegsursache betrifft und die Form, wie ein Krieg geführt wird. Deshalb unterscheiden einige Wissenschaftler, etwa der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler, zwischen klassischen und neuen Kriegen bzw. zwischen symmetrischen und asymmetrischen Kriegen. Die klassischen, symmetrischen Kriege sind zwischenstaatliche Kriege, bei dem gleichartige Akteure, sprich Heere, gegeneinander antreten und vom Staat bewaffnet werden. Weil auf der anderen Seite auch ein Heer ist, spricht man von einem symmetrischen Krieg.

Symmetrische Kriege heutzutage die Ausnahme

Symmetrische Kriege sind heutzutage jedoch die Ausnahme. Sie werden von asymmetrischen Kriegen abgelöst, bei denen, wie der Name vermuten lässt, die Gegner nicht gleich sind. Bei asymmetrischen Kriegen kämpfen staatliche gegen nicht staatliche Akteure. Ein Beispiel dafür ist der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo, der mit etwa 5,4 Millionen Toten der verlustreichste Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Im Zuge der Demokratisierung des Landes ab 1990 kämpften Rebellen gegen die Regierung um die Herrschaft. Im Laufe der Zeit verschob sich der Krieg auf den Osten des Landes, in dem Rebellen wegen des Rohstoffreichtums auch heute noch gegen die Regierung kämfen. Speziell Bürgerkriege haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen und die zwischenstaatlichen Kriege abgelöst. Bürgerkriege können innerhalb eines Staates, aber auch über die Staatsgrenzen hinaus geführt werden. Entweder kämpfen verschiedene organisierte Gruppen gegeneinander oder diese gegen den Staat. Innerhalb dieser Kriegsform gibt es zahlreiche Unterformen wie Autonomiekriege, Antiregimekriege, Guerillakriege und Kolonisations- bzw. Dekolonisationskriege.

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Das Militär verteidigt die Regierungsgebäude gegen 100 000 pro-europäische Demonstranten. Foto: flickr.com/mac_ivan

Um sagen zu können,  ob in der Ukraine nun ein Konflikt oder Krieg herrscht, ist auch eine Definition von Konflikt nötig. Konflikt bedeutet, aus dem Lateinischen übersetzt, zusammenschlagen oder zusammenprallen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gewalt immer eine Rolle spielen muss, um von einem Konflikt zu reden. Wenn ein Konflikt jedoch mit Gewalt ausgetragen wird, spricht man von einem bewaffneten Konflikt. Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert solche bewaffneten Konflikte als kriegsähnliche Zustände, die die Charakteristika eines Krieges jedoch nicht voll erfüllen, da die Kämpfe nicht kontinuierlich stattfinden. Konflikte können sich auch über Jahre halten und zu Dauerkonflikten werden, wie beispielsweise der Nahost-Konflikt zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomen Gebieten.

Wie bei der Definition für einen Krieg ist es genauso schwierig, einen Konflikt genau zu definieren. Im Kern haben sich die Wissenschaftler aber auf drei Punkte geeinigt: Zunächst einmal gibt es einen Streitpunkt. Dieser sorgt für einen Konflikt, den beide Seiten dadurch verschärfen, dass sie ihre Position durchsetzen wollen. Ein drittes Kriterium ist, dass beide Seiten ihre Position für richtig halten und rechtfertigen.

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Nach den Protesten gleicht der Maidan einem Schlachtfeld. flickr.com/cmdrcord

Befindet sich die Ukraine nun in einem Konflikt oder einem Krieg mit Russland bzw. pro-russischen Separatisten? Die drei Kriterien für einen Konflikt sind jedenfalls erfüllt: Zwei Gruppen streiten um die Zugehörigkeit der Ukraine bzw. Teile der Ukraine. Keine Seite ist bereit, einen Kompromiss einzugehen, was den Konflikt zunehmend verschärft. Zudem rechtfertigen beide Seiten ihre Positionen in der Öffentlichkeit und halten sie für die einzig richtige. Da der Konflikt mittlerweile mit Gewalt ausgetragen wird, kann man von einem bewaffneten Konflikt sprechen. Allerdings ist auch der Übergang zu einem Bürgerkrieg oder einem „low-intensitiy war“, wie ihn die britische Zeitschrift „The Economist“ bezeichnet, nicht mehr fern. Das Problem ist, dass die Fakten der Auseinandersetzung sehr unklar sind. Vor allem ist nicht bekannt, inwieweit die pro-russischen Separatisten organisiert bzw. von Russland gesteuert sind. Eine eindeutige Bezeichnung des Konfliktes als Krieg ist deshalb noch nicht möglich. Auch die UNO und die NATO sprechen noch von einem Konflikt.

 

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