Entspannt guckt Simon auf das Blut, das aus seinem rechten Arm läuft. Bereits eine große Menge der roten Flüssigkeit ist aus der Vene raus und im linken Arm wieder in den Körper hinein geflossen. Die Maschine neben seiner Liege brummt leise und in einen Sammelbeutel läuft phasenweise eine hell-rote Flüssigkeit. Simon Micken ist von der Westdeutschen SpenderZentrale zur Stammzellspende gerufen worden. Seine Bereitschaft wird für einen schwerkranken Menschen zum Hoffnungsschimmer.
„Ich will mich nicht als Held feiern lassen“, sagt der 24-Jährige und versucht sich mit seinem Knie an der Nase zu kratzen. Seine Arme soll er nicht bewegen – strenge Anweisung der Ärztin. „Klar, es ist etwas unangenehm und anstrengend hier so zu liegen, aber es ist ja wirklich keine Arbeit die man leistet.“ Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Stammzellspende ist längst keine Seltenheit mehr. Rund 25 Millionen Menschen haben sich weltweit typisieren lassen, davon ungefähr ein Viertel in Deutschland. Die Aufnahme in eine Spenderkartei ist ganz einfach. Die sogenannte Typisierung wird entweder bei einer Blutspende oder durch einen Wangenabstrich durchgeführt.
Für Simon Micken ist das Prozedere eher eintönig als spannend. Nicht nur, weil der Soziologie-Student aus Köln bereits zum zweiten Mal die Chance hat, mit seiner Spende jemand anderem zu helfen, sondern auch, weil er während der Stammzellapherese ungefähr drei bis fünf Stunden möglichst bewegungslos auf einer Liege verweilen muss. Auch in seinem Gesicht ist kein Zeichen für Anspannung zu erkennen, ganz im Gegenteil sogar. Ruhig wandert sein müder Blick von der Kanüle in seinem Arm zum großen, flackernden Flachbildfernseher oben an der Wand. Der Film läuft bereits, ein anderer Spender auf der Liege neben Simon hat ihn ausgesucht. Trotzdem ist es still in dem großen und hellen Raum mit den vielen Patientenliegen. Nur das regelmäßige Klacken der beiden Apheresemaschinen und deren stetig arbeitenden Pumpen ist zu hören. Der Filmton läuft über Kopfhörer.
„Wie Postleitzahlen“
Bis Simon den Brief mit der Anfrage zur Spende in den Händen hielt, sind bereits viele Tests durchgeführt worden. Die Durchsuchungen von Typisierungsdateien nach einem potentiellen Spender sind aufwändig und müssen sorgfältig ausgeführt werden.
Die Passung zwischen Spender und Empfänger wird „anhand von relevanten Gewebemerkmalen getestet. Die sogenannten HLA-Muster müssen möglichst gleich sein“, erklärt Dr. Lambros Kordelas. Er ist Arzt am Unikinikum Essen, führt dort Knochenmark- sowie Stammzelltransplantationen durch und ist seit drei Jahren Geschäftsführer der Westdeutschen Spenderzentrale.
Wenn die HLA-Werte vom Patienten vorliegen, werden diese zunächst mit den Werten der Familienangehörigen auf Übereinstimmung überprüft. „Das ist quasi wie mehrere Postleitzahlen, die wir vergleichen. Und die dürfen maximal in zwei Stellen unterschiedlich sein. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Stammzellen doch nicht anwachsen“, erklärt Kordelas weiter. Gibt es keinen familieninternen potentiellen Spender, wird auf eine Spenderdatenbank zurückgegriffen. Und an dieser Stelle kommt Simon ins Spiel. Seine HLA-Werte passten zu denen eines anonymen Patienten.
Grippe aus der Spritze
Vier Tage lang musste sich Simon Spritzen setzen, um einen künstlichen grippeartigen Infekt zu erzeugen. Dadurch hat sein Körper vermehrt weiße Blutkörperchen gebildet und somit auch Stammzellen freigesetzt. Um diese dann während einer Apherese aus dem Blut zu entnehmen, ist Simon extra von Köln nach Ratingen gekommen. „Die Nebenwirkungen vom Medikament sind echt unangenehm. Man fühlt sich beschissen und hat Rückenschmerzen, wie bei einer dicken Grippe. Das Liegen hier ist dagegen wirklich erträglich“, erzählt Simon und kneift dabei ein Mal kurz die Augen zusammen und verzieht das Gesicht. Das ist das erste Mal, dass man dem Studenten das körperliche Unwohlsein ansieht.
Es haben aber auch nicht alle so starke Nebenwirkungen wie ich.
Die sogenannte G-CSF Methode ist für den Spender relativ ungefährlich. Die möglichen Nebenwirkungen äußern sich hauptsächlich durch grippeähnliche Gliederschmerzen und Schlappheit.
Flipperautomat und Salatschleuder
Neben Simons Liege steht eine graue Maschine, die einem Flipperautomaten in Spielhallen ähnelt: Viele blaue Balken in senkrecht und quer sowie runde Hindernisse, um die sich das Blut in langen Schläuchen seinen Weg sucht. Es gibt verschiedene Abzweigungen, in sich gewundene Schlauchbahnen und mehrere Beutel, in denen sich Flüssigkeit absetzt oder aus denen Konzentrat in die Schläuche hinzugeführt wird. Doch Simon schenkt dem stetig arbeitenden Zellseparator keine wirkliche Beachtung. Nur als die Maschine plötzlich laut anfängt zu Piepen und eine Frau schnell angelaufen kommt, ein paar Knöpfe drückt und somit das schrillende Geräusch beendet, findet Simon das brummende Gerät spannender als den Fernseher. Für ihn läuft bisher ein Stummfilm. Seine Kopfhörer hat er noch nicht aufgezogen.
Wie genau die Apheresemaschine die Stammzellen aus seinem Blut trennt und dann von der übrigen Flüssigkeit separiert, weiß er nicht, aber dass es mit Hilfe einer Pumpe funktioniert, die das Blut dann in eine Zentrifuge leitet, wurde ihm während des Setzens der beiden Kanülen in seinen Arm erzählt. „Man kann sich das ein bisschen wie eine Salatschleuder vorstellen. Innen befindet sich dann das leichte Blutplasma, eine gelbliche Eiweißflüssigkeit. In der Mitte befinden sich die weißen Blutkörperchen sowie Stammzellen und Blutplättchen. Außen sind die roten Blutkörperchen, die sind am schwersten“, weiß Dr. Carlos Jiménez, der ärztliche Leiter des Zentralbereich Stammzelle vom DRK-Blutspendedienst West in Ratingen.
Die Stammzellen werden dann in einen Beutel geleitet. Die Menge ist je nach Patient unterschiedlich. Rund vier Millionen Stammzellen pro Kilogramm Körpergewicht werden bei der allogenen Sammlung benötigt.
Schokolade und Flaschen
„Der Körper signalisiert schon, dass etwas passiert, was nicht passieren sollte. Nämlich dass Blut an der einen Seite raus und in der anderen Seite wieder rein läuft. Es fühlt sich etwas seltsam an, aber jetzt nicht schlecht oder so.“ Simon betrachtet sein kariertes Hemd. Er scheint tiefenentspannt. Sein Vater, der ihn zum Ort der Entnahme gefahren hat, ist schon vor einiger Zeit gegangen. Der Student braucht keinen, der ihm das Händchen hält – zumal dieses eh unbeweglich auf einer Armlehne verweilt. Auch schon bei der ersten Spende vor ungefähr drei Jahren war er während der langen und irgendwann auch langweiligen vier Stunden ohne eine Begleitperson.
Letztes Mal wurde ich mit Schokolade gefüttert, das unterhält dann auch.
„Sie können auch gerne versuchen etwas zu lesen, aber dann wären sie die erste Person hier, die es schafft“, sagt die Frau vom Blutspendedienst West lachend, während sie die beiden Kanülen in Simons Armen überprüft. „Und wenn sie zur Toilette müssen, dann versuchen sie am besten einzuhalten. Sonst müssen sie mit einer Flasche vorlieb nehmen und das ist wirklich nicht so schön“, fügt sie noch hinzu.
Stille Post
„Letztes Mal war es so, dass nach vier Stunden, als meine Arme langsam wehtaten, die Ärztin kam und meinte, dass ich schon fertig sei. Dann ist man echt froh, die Schläuche los zu werden,“ erzählt Simon und schaut dabei kurz auf den Beutel mit den Stammzellen, die bisher schon aus seinem Blut gesammelt wurden. Bald werden diese einer fremden Person in das Blutsystem gespritzt. Aber wem, das weiß er nicht. Auch insgesamt spielt für Simon der Empfänger seiner Stammzellen keine große Rolle: „Über den Patienten selbst habe ich mir nur sehr wenige Gedanken gemacht. Irgendwie habe ich vorausgesetzt, dass es Leukämie oder so ist – davon hört man nun mal am meisten. Für mich hat gereicht, dass jemand meine Hilfe braucht – auch als anonyme Hilfe. Deshalb hab ich da nicht weiter drüber nachgedacht.“ Zu einem Kennenlernen ist es nie gekommen.
Aber es ist möglich. Kordelas erklärt, man könne „quasi Stille Post spielen“. Zunächst sei noch alles anonym und die Briefe oder Dankeskarten würden dann vom Krankenhauspersonal weitergegeben. Erst nach zwei Jahren kann ein direkter Kontakt hergestellt werden, soweit beide Seiten einverstanden sind. Simon hat nie etwas vom Empfänger seiner ersten Spende gehört und trotzdem hat er viel über einen möglichen Kontak nachgedacht. „Ich hätte das Treffen von mir aus nicht gewollt. Ich möchte nicht, dass mir jemand furchtbar dankbar ist. Und es hätte ja auch sein können, dass ich die kranke Person gar nicht so mag und das hätte ich dann schon irgendwie blöd gefunden“, erzählt er.
Das Schönste
Simon hat sich nicht für die Stammzellspende typisieren lassen, weil es gut für sein Ego ist. Insgesamt denkt er gar nicht so viel über das Ganze nach, sondern macht es einfach. „Ich finde eigentlich das Beste, dass alles unfassbar einfach vonstatten geht. Ich selbst muss nichts tun, man denkt für einen mit und jeder sorgt sich um dich.“ Damit spricht der 24-Jährige nicht nur den Tag in Ratingen an, sondern auch die ganzen Voruntersuchungen und Nebensachen, an die man nicht direkt denkt. „Ich habe die letzte Nacht in einem Hotel verbracht und alles wird bezahlt, vom Taxi bis zum Hotel mit Frühstück und das ohne großen Papierkram“, sagt Simon.
Es ist alles so schön unbürokratisch.
Das Geld für die Stammzellentnahmen kommt von den Spenderdateien. Für den Fall, dass Nebenwirkungen auftreten oder Verletzungen durch Unfälle direkt nach der Spende passieren, wurde im Voraus eine spezielle Versicherung abgeschlossen. „100.000 Euro ist bei der Behandlung eines Patienten nicht viel Geld“, weiß Jiménez.
Alle guten Dinge sind drei
Mittlerweile hat sich der Beutel, der an Simons Apheresemaschine hängt, schon zu einem Fünftel mit den Stammzellen gefüllt. Noch immer schaut der Student entspannt auf das Blut, das auf der einen Seite seines Körper raus und auf der anderen Seite wieder hinein läuft – denn es hat alles seine Richtigkeit.
Und wenn in einiger Zeit ein drittes Anschreiben der Westdeutschen SpenderZentrale in seinem Briefkasten liegen sollte, weiß Simon schon, wie er reagieren wird. Freudig wird er alle Voruntersuchungen und Gespräche besuchen, um mit seiner Bereitschaft einem schwerkranken Menschen zum Hoffnungsschimmer zu werden.
Fotos und Grafik: Britta Röös