Kino-Tipp: Die unerträgliche Langweiligkeit des Seins

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Man sollte so etwas nicht tun. Man sollte einen Film nicht gut finden, nur weil er cool ist. Die Jury der Filmfestspiele in Venedig hat das trotzdem getan und Sofia Coppola mit dem Goldenen Löwen für ihren Film Somewhere ausgezeichnet. Zu Recht?

Johnny Marco im Interview

Johnny Marco (Stephen Dorff) wird von einer italienischen Journalisten interviewt. Foto: Tobis

Gäbe es einen Luftschutzbunker in Disneyland Paris, er würde wohl so aussehen wie das Hotel Chateau Marmont in West Hollywood.
 Seit 1929 steht der weiße Kitschkasten nur wenige Schritte entfernt vom legendären Sunset Boulevard. Seitdem hat das Hotel vier Erdbeben, die stärker waren als 5,8, und noch viel mehr Hollywood-Stars ertragen.

Led Zeppelin ist hier mit Motorrädern durch die Lobby gefahren, James Dean sprang für ein Vorsprechen für Denn sie wissen nicht, was sie tun durch ein Fenster und Britney Spears bekam 2007 Hausverbot, nachdem sie sich das Hotelessen ins Gesicht geschmiert hatte. 
Wer es in Hollywood geschafft hat, der mietet sich hier ein. Sicherlich nicht die schlechteste Adresse für ein unterhaltsames Leben. Sollte man meinen. Vor einem Jahr ist Sofia Coppola (Lost in Translation, Marie Antoinette) im Chateau Marmont eingezogen, um ihren neuen Film Somewhere zu drehen. Herausgekommen ist dabei ein Film über die unerträgliche Langweiligkeit des Seins in Hollywood – zumindest wenn man ein Star im besten Alter ist. Tristesse royale im Chateau Marmont: Die Leiden eines Hollywoodstars

Um es vorweg zu sagen: Wer ins Kino geht, um eine spannende Geschichte mit ausgeklügelter Dramaturgie zu sehen, der sitzt bei Somewhere garantiert im falschen Film. Denn die Geschichte ist schnell erzählt:
 Johnny Marco (Stephen Doff) ist ein blendendes Beispiel für das, was man einen abgefuckten Hollywoodstar nennt. Wohnhaft im Chateau Marmont verbringt er seine Zeit entweder in seinem schwarzen Ferrari F430, auf Parties oder in Betten mit Frauen, deren Namen er nicht kennt und eigentlich auch nicht kennen will. Was sich nach einer Menge Spaß für Johnny Marco anhört, ist in Wirklichkeit das komplette Gegenteil: unerträglich langweilig.

Johnny Marco (gespielt von Stephen Dorff) nach einer durchzechten Nacht.

Johnny Marco wacht nach einer durchzechten Nacht - ausnahmsweise - allein auf. Foto: Tobis

Und so bekommt der Zuschauer Johnny Marco auch zu sehen: Er sitzt alleine in seinem Zimmer, raucht, pustet Ringe in die Luft, starrt die Decke an. Das ist Tristesse. Und der Zuschauer schaut ihm dabei zu. 
Einzig die Besuche seiner Tochter Cleo (Elle Fanning) durchbrechen diese Monotonie, in der sich Exzess und depressive Einsamkeit die Klinke in die Hand geben. Nachdem Cleos Mutter – von der Johnny geschieden ist – für längere Zeit verreist, muss dieser zum ersten Mal so etwas wie Vaterpflichten übernehmen. Neben Tagen vor der Playstation und einer Reise zu einem grotesken italienischen Filmfest fahren die beiden nach Las Vegas. Dort verabschiedet sich Johnny von seiner elfjährigen Tochter Cleo. Sie fährt ins Ferienlager und ihm wird auf dem Rückweg klar, dass sein Leben ein einziges Ferienlager für Erwachsene ist – mit zu viel Alkohol, zu vielen Frauen und zu wenig Sinn.

„I am fucking nothing. Not even a person“, hört man ihn nach dieser Erkenntnis in sein Telefon schluchzen. Doch seine Ex-Frau, die er in seiner Verzweiflung angerufen hat, kann ihn nicht mehr ernst nehmen. Er solle es mal mit etwas Ehrenamtlichen probieren. Einen besseren Tipp hat sie nicht. Das ist die tragischste Szene des Films und als man gerade meint, zu verstehen, wer denn dieser Johnny Marco ist, da endet der Film. Mittendrin. Somewhere eben.

„Ich bin auch schon mal gefragt worden, warum meine Filme immer so cool seien.“ – Sofia Coppola

Nun kann man sich sicher fragen: Ist dieser Film nicht schrecklich langweilig? Ja, das ist er. Aber irgendwie schafft es Sofia Coppola diese Langeweile ziemlich gut aussehen zu lassen.
 Neben großartig melancholischen Bildern und wirklich guter Popmusik (Phoenix, Foo Fighters, Gwen Stefani, The Strokes, Brian Ferry und vielen, vielen mehr) sind aber auch Coppolas Hauptdarsteller wirklich überzeugend.

Johnny Marco und Cleo (gespielt von Elle Fanning)

Johnny Marco und seine Tochter Cleo (gespielt von Elle Fanning) lauschen der Musik in der Lobby. Foto: Tobis

Stephen Dorff, der selbst einmal im Hotel Chateau Marmont gelebt hat – bis ihm irgendwann das Geld ausging -, spielt Johnny Marco genau so, wie man sich einen Hollywoodstar vorstellt, an dem bereits der Milchzahn der Zeit genagt hat. Und auch Elle Fanning spielt den Engel in Johnnys Leben ohne dabei kitschig zu wirken. Zudem bietet der Film auch ein paar tolle Szenen. So wird Johnny auf einer Pressekonferenz gefragt, ob sein neuer Film nicht etwas mit Post-Globalismus zu tun hätte und wie denn sein tägliches Workout aussähe. Es sind solche Szenen, die zeigen wie grotesk eigentlich diese Traumfabrik Hollywood funktioniert und die dem Film seinen ironischen Charme verleihen.

Fast so gut wie Lost in Translation

Viele Kritiker haben bemängelt, dass Somewhere zu pathetisch, zu hohl, zu cool, zu banal sei. Aber darum geht es ja schließlich auch. Um das Leben eines Hollywoodstars. Und das ist eben so. Da kennt sich Sofia Coppola aus. Schließlich ist sie die Tochter des berühmten Regisseurs Francis Ford Coppola (Der Pate, Apocalypse Now).
 Wer Lost in Translation geliebt hat, der wird Somewhere mögen. Für alle Freunde des Asthma-Stils in Sachen Schnitt, ist dieser Film sicherlich nichts. Zu quälend lang sind viele Einstellungen. Verdient war der Goldene Löwe in Venedig aber trotzdem – auch wenn der Film sicher nicht jedem gefallen wird.