Wissenswert: So designt man einen Fußball

Stellenanzeige: Um die nächste Weltmeisterschaft vorzubereiten, sucht Adidas eine motivierte Arbeitskraft für die Abteilung „Ball-Design“. Ihr möchtet euch bewerben? Kein Problem! pflichtlektüre erklärt euch, wie man einen Fußball entwickelt.

Man könnte die Entwicklung eines neuen Balls wie das Henne-Ei-Problem betrachten: Womit fängt man zuerst an? Mit einer Sphäre oder einem Blatt? Eigentlich ist der Vorgang nicht so kompliziert. Zuerst sollte man eine Grundsatz-Entscheidung treffen: Bleibt man auf einer rein mathematischen Ebene oder setzt man kompliziertere und artistische Symmetriesysteme ein? So oder so – die Basisregeln sind in beiden Fällen meist gleich.

Reine Mathematik und Geometrie

„Für die rein mathematischen Strukturen gibt es nicht so viele Möglichkeiten“, erklärt Professor Rudolf Scharlau vom Lehrstuhl für Geometrie an der TU Dortmund. „Man wählt einen platonischen Körper und schafft damit einen archimedischen Körper“. Für diejenigen, die keine Experten in den grieschiche Wissenschaften des Altertums sind, folgen hier einige geometrische Grundlagen. Die Platonischen Körper sind Polyeder, das heißt geschlossene 3D-Formen mit Kanten und Ecken, die aus einer gewissen Zahl von identischen n-Ecken bestehen.

Die Spielwürfel sind platonische Körper. Foto:flickr.com/photos/lobsterstew/, Helga's Lobster Stew, CC BY 2.0

Die Spielwürfel sind platonische Körper.
Foto:flickr.com/photos/lobsterstew/, Helga’s Lobster Stew, CC BY 2.0

Es gibt nur fünf verschiedene platonische Körper:

  • den Tetraeder mit vier Dreiecken,
  • den Würfel mit sechs Quadraten,
  • den Oktaeder mit acht Dreiecken,
  • den Dodecaeder mit 12 Pentagonen,
  • den Ikosaeder mit 20 Dreiecken.

Im Vergleich dazu bestehen die archimedischen Körper aus zwei oder drei unterschiedlichen Sorten von n-Ecken.

Prinzipiell könnte jeder der oben genannten platonischen Körper als Ball dienen, da sie sich gleichermaßen in jede Richtung drehen können. Faktisch wäre es aber schwierig und gefährlich für die Fußballspieler, etwa mit einem Tetraeder zu schießen.

„Für jeden platonischen Körper gibt es eine innere Sphäre, die die Flächen erreicht, und eine äußere Sphäre, die die Ecken enthält“, erklärt Professor Scharlau. „Der Abstand zwischen den Spären ist entscheidend: je kleiner dieser ist, dersto runder ist der Ball“. Mit der höchsten Anzahl von Flächen besitzt der Ikosaeder auch den kleinsten Abstand zwischen den Sphären. Besonders rund ist er aber nicht – wie wäre es also möglich, den Abstand noch zu verringern?

Mit dem Software KaleidoTile kann man eine Fußball machen. Foto: Pierre-Jean Guéno

Mit der Software „KaleidoTile“ kann man einen Fußball basteln.
Foto: Pierre-Jean Guéno

Bestände der Ikosaeder aus Butter, könnte man die Ecken gezielt so schneiden, dass alle Kanten gleich lang sind. Der platonische Körper wird ein archimedischer Körper. Jetzt besteht der Polyeder aus 12 Pentagonen (Fünfecken) und 20 Hexagonen (Sechsecken), die die gleiche Kantenlänge haben. Das ist die klassische Struktur des Balls, die 1962 von der dänischen Firma Select herausgebracht wurde. Sie heißt „Ikosaederstumpf“.

Man könnte den Stumpf nun weiter beschneiden, um die Struktur runder zu machen. Wir würden Pentagone, Hexagone und Dreiecke erhalten. Die Firmen denken aber lieber wirtschaftlich: Mehr als zwei unterschiedliche Formen, viele kleine Stücke und lange Nähfäden kosten viel Geld für eine kleine und unnötige Verbesserung der Rundheit des Balls.

Der Ikosaederstumpf scheint eigentlich über Vorteile zu verfügen: Die Flächen der n-Ecke sind ähnlich, die Anzahl der Kanten ist schon hoch und die Oberflächenspannungen sind gut aufgeteilt. Trotzdem könnte man mit ein bisschen Luft, um den Stoff zu lockern, auch aus einem Würfel einen Ball machen.

Mittlerweile verfügen manche Fußbälle über modernere Strukturen. Generell aber kann man immer folgende Formel anwenden:

Anzahl von Flächen –Anzahl von Kanten + Anzahl von Ecken = 2

Der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler hat die Formel im 18. Jahrhundert erfunden. Sie gilt nur für platonische Polyeder und archimedische Polyeder.

Schöne Symmetrie und Motive

Im Zeitalter von Fernsehen und damit weltweiter Ausstrahlung der Spiele sind die optischen Aspekte eines Balls von immer größerer Bedeutung. Man will ein Motiv entwickeln, das immer die gleichen Formen auf dem Ball zeigt. Dieses Motiv besteht aus Drehungen und Spiegelungen – also aus Symmetrie. Auch hierfür gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten: nur sieben Symmetrie-Gruppen auf einer Sphäre, die auf platonischen Körpern basieren.

Man kann eine Kugel mit gleichförmigen Teilen parkettieren. Maurits Cornelis Escher, der bekannte nierderländischer Künstler aus dem 20. Jahrhundert, hat es so geschafft, begeisternde Bälle zu entwickeln. Heutzutage ist der Vorgang mit Computern einfacher geworden. Professor Carlo Séquin und Jane Yen von der Computer Science Division an der Universität Berkeley haben eine Software entwickelt, mit der es möglich wird, eine Escher’sche Kugel zu gestalten und sie sogar in 3D zu drucken (siehe unten).

Reverse Engineering von Brazuca
Foto:flickr.com//photos/calciostreaming/, Calcio Streaming , CC BY 2.0

Der Ball „Brazuca“ von Adidas. Foto: flickr.com/photos/calciostreaming/, Calcio Streaming , CC BY 2.0

Der „Brazuca“ von Adidas, der Ball der WM 2014, besteht aus sechs Teilen. „Es stammt aus einem Würfel“, sagt Professor Gerd Laures des Lehstuhls für Topologie an der Ruhr-Universität Bochum, „sie haben die Flächen einfach auf eine symmetrische Weise in vier Richtungen modifiziert“.

Das sollte den Topologen gefallen: Sie sind daran gewöhnt, seltsame Strukturen in 3D- oder sogar n-D-Räumen zu betrachten. Für einen Professor der Geometrie dagegen ist der „Brazuca“ fast schon Gotteslästerung: „Man hat mehrere natürliche Eigenschaften aufgegeben, die Figuren sind mathematisch unnatürlich“, befindet Professor Scharlau.

Ein "Würfel-Ball" mit sechs Teilen. Foto: Pierre-Jean Guéno

Ein „Würfel-Ball“ mit sechs Teilen.
Foto: Pierre-Jean Guéno

Mit der Software „KaleidoTile“ kann jeder Nachwuchsdesigner einen Ball aus einem Würfel erstellen.

Der nächste Schritt wird ein bisschen komplizierter. Mit der Software „Escher Sphere“ von Séquin und Yen kann man die einzelnen  Teile symmetrisch strecken. Dafür wählt man eine „Würfel-Symmetrie“ und setzt Punkte auf einer Kante eines Teils. Langsam versucht man zum Schluß diese Punkte zu bewegen, um die kreuzförmige Figur von „Brazuca“ zu erreichen.

Die Gestaltung von Brazuca mit Escher Sphere. Foto: Pierre-Jean Guéno

Die Gestaltung von „Brazuca“ mit der Software „Escher Sphere“.
Foto: Pierre-Jean Guéno

 

Mit diesem Wissen könnt ihr euch schon fast auf eine Stelle als Ballentwickler bei Adidas bewerben. Beim Spielen mit „KaleidoTile“ und „Escher Sphere“ gibt es noch eine unendliche (zumindest für Laien, wenn nicht sogar für Mathematiker) Anzahl an Strukturen zu erfinden. Die einzige Grenze ist die Fantasie – aber vier Jahre sollten ausreichen, um einen neuen WM-Ball zu entwickeln.

Danksagung:

Der Autor möchte sich bedanken (in der Reihenfolge ihrer Mitwirkung):

  • für die Erinerrung an Escher und die ersten Schritte: Bei Prof. Dr. Gerd Laures, Lehrstuhl Topologie, Ruhr-Universität Bochum
  • für den Symmetrie-Kurs und die Tasse Tee: Bei Prof. Rudolf Scharlau, Lehrstuhl Geometrie, Technische Universität Dortmund
  • für die wunderbare Software „Escher Sphere“: Bei Prof. Carlos Séquin, Computer Science Division, Universität Berkeley

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert