Ausstellung im U: Von Stimme und Sprache

Das Museum ist dunkel. Es scheint fast so, als ob das einzige Licht von den Projektionen an den Wänden kommt. Menschen in Übergröße werden wie Schatten auf den Wänden abgebildet, überall sind kleine Fernseher aufgestellt, Kopfhörer hängen von der Decke. Die Stimmung ist etwas unheimlich – die Arbeiten der Künstler manchmal auch. Rund um das Thema Stimme präsentiert die Ausstellung  „His Master’s Voice“ visuelle und akustische Arbeiten zum Lachen, Nachdenken, Staunen, aber auch zum Gruseln oder Ekeln.

Ein schreiender dunkelhäutiger Junge und die Stimme seines Herren: Sieht man sich das Werbeplakat und den Titel der Ausstellung des Hartware MedienKunstVereins an, könnte man auf die Idee kommen, dass es sich um eine Ausstellung über Sklaverei handelt. Dabei geht der Titel der Ausstellung auf den Namen eines Plattenlabels zurück.  Auf dem Logo des Unternehmens sitzt ein Hund vor einem Grammophon und lauscht der Stimme seines verstorbenen Herrchens („His Master’s Voice“). Das Beispiel, wie sich die Stimme vom Körper entfernen kann und konserviert wird, war Anlass dafür, die Ausstellung nach dem Label zu benennen.

Das Bild vom schreienden Jungen ist eines der 28 Ausstellungsstücke. Die Werke wurden von mehr als 30 internationalen Künstlern geschaffen. Nicht nur die Arbeiten, auch kommentierende Materialien wie Bücher oder Zitate zum Thema Stimme werden in Schaukästen präsentiert. Da der Ansturm auf die Ausstellung so groß gewesen sei, sei die Schau bis zum 28. Juli verlängert worden, teilte der Hartware MedienKunstVerein mit.

Stimme ohne Ton

Die Worte einer Mörderin beim Verhör. Fotos und Teaserbild: Patricia Gabor.

Die Worte einer Mörderin beim Verhör. Fotos und Teaserbild: Patricia Gabor.

Nicht alle Exponate beinhalten dabei Töne: Ignas Krunglevicius etwa hat versucht, eine Stimme darzustellen, die tonlos ist und dennoch gehört werden kann. Er stellt ein Verhörgespräch zwischen einem Polizisten und einer Mörderin dar, ohne dass jemand spricht. Stattdessen erscheinen an zwei unterschiedlichen Wänden die Sätze der beiden: Mal in großen Buchstaben, mal schnell hintereinander oder mit rotem Hintergrund. Das Geschriebene wird durch einen Piepston begleitet, der bei jedem Wort ertönt. Dazu kommt noch ein Rhythmus, der durchgehend zu hören ist und die Szenerie noch spannender macht. Es fühlt sich an, als ob sich die zwei Wände unterhalten. Der Zuschauer kann gar nicht anders, als sich die Stimmen zu dem jeweils Geschriebenen vorzustellen.

Auch das Projekt von Anri Sala ist tonlos. Das liegt aber daran, dass der Ton verloren gegangen ist: Der Künstler hat 1988 gefilmt, wie er den Ton zu einem Fernsehinterview sucht, das seine Mutter 1978 auf einem Kongress der kommunistischen Partei Albiens gibt. Als Sala endlich weiß, was seine Mutter in dem Kongress gesagt hat, scheint sich ein Familiendrama anzukündigen.

Eine Stimme haben

Hat jeder eine Stimme? Was ist mit Gehörlosen, die nicht sprechen können, weil sie es wegen ihres Gehörs nicht erlernen? Dass diese Menschen sogar eine Stimme zum Singen haben, zeigt Artur Zmijewski. Er dokumentiert in seinem Video das Konzert eines Chors von gehörlosen und schwerhörigen Menschen. Der Chor führt mit Unterstützung eines Orchesters eine Bach-Kantate auf. Unser Ohr ist zwar anderes gewöhnt, doch es ist beeindruckend, wie die Stimmen zu einem Gesamtstück zusammengeführt werden konnten – obwohl die Sänger sich und ihre Mitsänger nicht hören.

Dass man auch Gegenständen eine Stimme geben kann, zeigt Asta Gröting. Sie hat eine Bauchrednerpuppe gebaut und sie durch verschiedene Bauchredner zum Leben erwecken lassen. Ein unheimliches Schauspiel, denn die Puppe ist bleich, in einen Kaputzenmantel gehüllt und hat wenig menschliche Gesichtszüge. Gröting schreibt Dialoge zwischen Puppe und Bauchredner über Fragen der Lebenspraxis, der Selbstwahrnehmung und Selbstbehauptung.

Stimme als Irritation

Zitat aus Ludwig Wittgensteins "Philosophischen Untersuchungen".

In Schaukästen sind Zitate von Wissenschaftlern und Philosophen ausgestellt. Hier: "Worte sind auch Taten" aus Ludwig Wittgensteins "Philosophischen Untersuchungen".

Irritiert lässt auch das Exponat der Künstlerin Laure Prouvost die Besucher zurück. Sie hat ein Video produziert, in dem viele kurze Nahaufnahmen aufeinander folgen. Die Fotos haben miteinander wenig zu tun, der Sprechertext passt auch nicht so recht auf die Bilder. Dazu wird zwischendurch auch noch Text eingeblendet, der weder zum Sprechertext noch zu den Bildern passt. Der hämmernder Rhythmus eines Schlagzeugs scheint die Bilder voran zu treiben. Nahaufnahmen von Nahrungsmitteln und anderen Substanzen erwecken Ekel – der Zuschauer ist permanent überfordert und irritiert. Ein wenig erinnert das Video damit an die Experimente zur Bewusstseinserweiterung in den 50er und 60er Jahren.

Aber man muss nicht unbedingt zufällige Bilder und Texte verknüpfen, um Irritation zu schaffen. Zusammenhangslose Texte allein können schon für genug Irritation sorgen. Das zeigt Christophe Bruno in seinem Exponat. „Human Browser“ heißt sein Projekt, bei dem sich ein Mensch mit anderen Menschen unterhält, aber dabei nur sinnlose Sätze sagt. Durch ein Computer-Programm werden dem Performer per Headset zufällige Googleergebnisse vorgelesen, die er laut nachspricht. Wie er die umstehenden Menschen damit irritiert, ist auf Video festgehalten worden.

Faszination, Ekel, Irritation

So unterschiedlich die Arbeiten sind, so unterschiedlich sind auch die Gefühle, die beim Anhören oder Anschauen der Projekte aufkommen. Manche Installationen sind beeindruckend, manche einfach nur verstörend. Man braucht viel Zeit, um sich die gesamte Ausstellung anzuschauen und ebenso viel Zeit, um alles zu verstehen. Wer sich auf „His Master’s Voice“ einlässt und das Gesehene reflektiert, kann viele neue Erkenntnisse über Stimme und Sprache gewinnen. Wer aber kein Kunstliebhaber ist, wird sich schwer tun, sich auf die Ausstellung einzulassen.

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