Nachtschicht – Gegen die innere Uhr arbeiten

Millionen Deutsche machen regelmäßig die Nacht durch. Aber nicht weil sie feiern gehen oder nicht schlafen können, sondern weil sie arbeiten müssen. Wie wir am besten damit umgehen können und was Schichtarbeit mit Eulen und Lerchen zu tun hat, erklärt Arbeitszeitexperte Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Herr Brendscheidt, ist Nachtarbeit problematisch für den Körper?

Frank Brenscheidt: Ja, es gibt ein Grundproblem: Du musst gegen deine innere Uhr arbeiten. Du musst wach bleiben, obwohl die Körperfunktionen nachts eigentlich auf Ruhe schalten. Und wenn du morgens schlafen musst, fährt der Körper gerade hoch und schaltet alle Funktionen auf Power. Deshalb ist Schlaf am Tag nie so erholsam wie in der Nacht, sodass es nicht zu einer kompletten Erholung kommt. Je mehr Nächte man hintereinander durcharbeitet, desto größer wird dieses Schlafdefizit.

Welche Folgen kann das langfristig haben?

Brendscheidt: Die Symptome, die zuerst kommen, sind Gereiztheit, Nervosität und Schlafstörungen. Magen- und Darmerkrankungen sind auch häufig, weil viele Menschen nachts so essen wie sie tagsüber essen würden. Der Magen ist aber natürlich an seinen biologischen Takt gebunden und kann so viel gar nicht aufnehmen. Diese Erkrankungen können sogar chronisch werden.

Eine Baustelle: Nur ein Beispiel für Orte, an denen nachts gearbeitet wird. Foto: juergfraefel/flickr.com

Eine Baustelle: Nur ein Beispiel für Orte, an denen nachts gearbeitet wird. Foto: juergfraefel/flickr.com

Das ist also die gesundheitliche Seite. Wie wirkt sich Nachtarbeit denn auf das soziale Leben aus?

Brendscheidt: Natürlich kommt es da auch zu Störungen, weil man arbeitet, wenn die anderen frei haben. Das Freizeitverhalten wird viel individueller, weil man zum Beispiel nicht mehr im Sportverein mittrainieren kann. Wenn die Menschen nach ihren Hobbys gefragt werden, stehen oft Dinge oben, die sie alleine machen können, also Fernsehen oder Lesen. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass Nachtarbeit Einfluss auf die Kinder von Schichtarbeitern hat. Demnach haben die Kinder geringere Chancen auf schulischen Erfolg und sogar weniger Freunde.

Das hört sich jetzt alles relativ dramatisch an. Gibt es auch Menschen, die mit Nachtarbeit nicht so viele Probleme haben?

Brendscheidt: Es gibt tatsächlich Leute, die Nachtschichten total gut abkönnen und dafür riesige Probleme mit der Frühschicht haben. Man unterscheidet da zwischen Eulen und Lerchen: Die Eulen können nachts besser arbeiten und die Lerchen besser früh. Bei der Spätschicht sind die Unterschiede der Verträglichkeit von Lerchen und Eulen nicht so groß, diese Extremtypen sind aber auch relativ selten. Es gibt natürlich auch

Leute, die mit dem Schichtsystem gar nicht klarkommen und das System dann verlassen. Die Leute, die nachher noch in der Schichtarbeit sind, sind eigentlich schon eine ausgelesene Gruppe. Wissenschaftlich heißt das Healthy-Worker-Effekt: Es bleiben hauptsächlich die Leute im System, die damit auch umgehen können und von daher mit der Nachtschicht auch nicht das große Problem haben.

 

Aber ganz egal, wie gut ein Mensch meint, mit der Nachtarbeit umgehen zu können – Studien zeigen, dass es ja doch einige negative Folgen gibt. Unter anderem leidet auch die Konzentration, oder?

Brendscheidt: Ja, mit zunehmender Dauer der Arbeitszeit und auch mit Zunahme der Nachtschichten am Stück steigt das Unfallrisiko. Und auch die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt, je mehr Nachtschichten man hintereinander arbeitet. Deswegen empfehlen wir auch, dass nach zwei Nachtschichten am Stück möglichst erstmal ein großer Freizeitblock kommen sollte, damit der Körper sich wieder erholen kann.

Was kann der Arbeitgeber außerdem tun, um die Nachtschicht möglichst angenehm zu gestalten?

Brendscheidt: Als erstes sollte der Arbeitgeber prüfen, ob die Nachtschicht überhaupt gebraucht wird. Wenn das nicht der Fall ist, sollten die Zeiten zwischen null und sechs Uhr möglichst vermieden werden. Außerdem sollten die Schichten vorwärts rotieren – also erst Frühschicht, dann der Wechsel zur Spätschicht, dann zur Nachtschicht und dann erstmal frei. So wie der Tagesrhythmus. Damit hat der Körper noch die wenigsten Probleme. Und ein Schichtplan sollte natürlich eingehalten werden, damit die Arbeiter die wenige Freizeit mit ihrer Familie langfristig planen können.

Das sind aber nur Empfehlungen. Welche gesetzlichen Vorgaben gibt es denn?

Arbeitszeitexperte Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Foto: Linus Busch

Arbeitszeitexperte Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Foto: Linus Busch

Brendscheidt: Jedem, der nachts arbeitet, steht regelmäßig eine arbeitsmedizinische Untersuchung zu. Da wird überprüft, ob er noch dafür geeignet ist oder ob sich vielleicht schon chronische Krankheiten andeuten. Es gibt auch bestimmte gesundheitliche Einschränkungen, mit denen Menschen nicht nachts arbeiten sollten, zum Beispiel bei Anfallsleiden wie Epilepsie. Da entscheidet der Arzt jeweils im Einzelfall.

Nehmen wir an, ich bin geeignet und mein Arbeitgeber tut auch alles notwendige für mich – was kann ich selbst denn tun, um meine Nachtschicht möglichst angenehm zu gestalten?

Brendscheidt: Das Wichtigste ist, dass ein Nacht- und Schichtarbeiter genug Schlaf bekommt. Am besten sollte er direkt nach der Nachtschicht und möglichst lange am Stück schlafen. Und das in einem ruhigen und kühlen Raum. Die Familie sollte Rücksicht nehmen und es sollten morgens keine anderen Termine anstehen. Er kann auch versuchen, in Schichten zu schlafen. Also er schläft erst vier Stunden am Stück, isst dann zum Beispiel gemeinsam mit der Familie und legt sich dann noch mal hin. Zum Stressabbau ist es ganz wichtig, Herz und Kreislauf fit zu halten, also Sport zu treiben. Die Motivation zu finden, ist oft schwierig, weil Nacht- und Schichtarbeit ja meist mit körperlichen Anstrengungen einhergehen. Auch Freundschaften sollten in der Freizeit ganz bewusst gepflegt werden. Während der Arbeit ist auch die richtige Ernährung wichtig: lieber mehrere kleinere Mahlzeiten als eine große.

Können Nachtarbeiter nicht einfach vorschlafen?

Brendscheidt: Nein, so einfach ist das leider nicht. Jeder muss natürlich sehen, dass er insgesamt genug Schlaf bekommt – die Schlafbilanz muss stimmen. Aber für den Nachtarbeiter ist es am besten, wenn er sich morgens nach der Arbeit hinlegt. Abends direkt vor der Arbeit zu schlafen, ist ungünstig, weil dann alles noch weiter heruntergefahren ist. So würde man ja direkt aus einer Schlafphase zur Arbeit fahren.

Wie stark helfen Kaffee und Cola?

Brendscheidt: Wem es hilft, der kann das am Anfang natürlich machen. Gegen Ende der Schicht sollte das aber jeder weglassen, weil man dann ja am Tag nicht schlafen kann.

Und wie wäre es, nur noch nachts zu arbeiten, damit der Körper sich komplett umstellt?

Brendscheidt: So etwas funktioniert nur im Labor oder im Bunker. Sobald der Mensch wieder mit Tageslicht oder auch anderen Menschen in Berührung kommt, stellt sich die innere Uhr wieder neu. Es gibt tatsächlich Menschen, die in so einem System arbeiten. Das ist gesetzlich erlaubt, aber arbeitswissenschaftlich nicht sinnvoll. 

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