Von heimlichen Küssen und Atombomben

Das Internationale Frauenfilmfestival in Dortmund startet mit seinem Eröffnungsfilm da, wo auch der Feminismus zaghaft beginnt: In den Sechzigern. „Ginger und Rosa“ ist eine Geschichte über Teenager, die so gar nichts mit rosa Schürzen und britischem Tee gemeinsam hat. Der Film beeindruckt mit minimalen Dialogen, faszinierend nahen Bildern und jeder Menge Dramatik.

Ginger und Rosa erkunden gemeinsam die Welt der Erwachsenen. Quelle: IFF Dortmund/Köln

Ginger und Rosa erkunden gemeinsam die Welt der Erwachsenen. Quelle: IFF Dortmund/Köln

England vor den Beatles und vor Blümchentapeten: Verrauchte Arbeiterviertel und zwei Mädchen, die in kratzigen Wollpullis und karierten Röckchen vor ihren Eltern fliehen. Ginger (Elle Fanning) und Rosa (Alice Englert) wären gerne schon erwachsen und sehen doch aus wie Vierzehn. Schon immer sind die beiden beste Freundinnen und machen alles zusammen – Jungs küssen, trampen und nachts durch die Gegend streunen.

Die beiden Mädchen vereint das Ziel, bloß nicht so zu werden wie ihre Mütter. Die haben sich ganz ihren Männer hingegeben, und diese dabei verloren. „Monster“, nennt sie Ginger, „Jammerlappen“, meint Rosa. Beide bewundern sie den gleichen Mann: Gingers Vater, gespielt von Alessandro Nivola, der wegen Kriegsdienstverweigerung schon im Gefängnis saß. Er ist charmant, er ist ein Held, und er hält nichts von gesellschaftlichen Regeln. Zum Beispiel die Regel, dass man sich nicht in die beste Freundin seiner Tochter verlieben sollte.

Gingers Vater kommt der besten Freundin seiner Tochter bei einem Ausflug näher. Quelle: IFF Dortmund/Köln

Gingers Vater kommt der besten Freundin seiner Tochter bei einem Ausflug näher. Quelle: IFF Dortmund/Köln

Liebeschaos mit Folgen

Schon bald, nachdem der philosophisch angehauchte Musiklehrer seine Familie mal wieder verlassen hat, kommt Ginger dahinter, dass es zwischen ihrer Seelenverwandten und ihrem Vater heftig knistert. Mit heimlichen Tränen stürzt sie sich blindlings in den Kampf gegen die atomare Bedrohung. Während Rosa sich mit ihrem Liebhaber abends im Restaurant trifft, geht Ginger auf Demonstrationen und schreibt Gedichte, um vor dem Weltuntergang zu warnen. Sie wird zu einer Rebellin – und schluckt damit all die Verletzungen runter, die sie täglich erleidet. Doch nicht nur die politische Lage, auch das Leben mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Freundin wird immer mehr zu einem Minenfeld – bis es zu einer Explosion kommt.

Starke Elle Fanning

Elle Fanning, die die meiste Zeit des Filmes als Ginger in Nahaufnahme zu sehen ist, verkörpert die kindliche Kämpferin mit Haut und Haar. Man nimmt ihr jede kleine Geste ab – das ungestüme Kichern, ein gelegentliches, unbewusstes Knabbern an den Fingernägeln und den leeren Blick. Die Kamera schwenkt immer wieder auf ihr Gesicht, denn sie schafft es, eine Bandbreite an Gefühlen mit wenigen Bewegungen auszudrücken. Elle Fanning überzeugt so sehr, dass ihre Partnerin Alice Englert eher in den Hintergrund gerückt wird.

Allgemein sind es die Kleinigkeiten im Film, die große Wirkung haben: Es ist der Kuss an der verlassenen Bushaltestelle, ein zitterndes Buch oder das Labyrinth aus Wäscheleinen, die den Film lebendig machen. Die Regisseurin Sally Potter, die unter anderem schon „Orlando“ von Virginia Woolf verfilmte, hat mit „Ginger und Rosa“ einen Coming of Age-Film geschaffen, der durch seine Nähe und gleichzeitige Distanz überzeugt. Dramatische Momente finden in kaputten Räumen statt. Dadurch verlieren sie jeglichen Hauch von Kitsch oder Stereotypen. Das macht die Charaktere authentisch.

Ein Manifest des Femismus

Der Film kritisiert die Gesellschaft der Sechziger, die Väter, die ihre Machtposition ausnutzen, und die Mütter, die sich in alte Rollenbilder einfügen. Mit dem Blick des Teenagers wird der Film zu dem, was er ist: ein Manifest des Feminismus. So manch ein männlicher Festivalbesucher wird sich während der Filmvorstellung wohl ein bisschen tiefer in seinen Kinositz geschoben haben, denn der einzige heterosexuelle Mann, der in „Ginger und Rosa“ eine tragende Rolle spielt, Gingers Vater, ist ein versteckter Chauvinist. Er nutzt Frauen nach Strich und Faden aus, während er Selbstbestimmung und autonomes Denken predigt. Wenn sogar ein fortschrittlicher Mann so mit Frauen umgeht, wie ist dann erst der Rest der männlichen Bevölkerung?

Der Eröffnungsfilm des Festivals ist ein Frauenfilm mit einer starken Aussage – an der Seite eines Mannes kann eine Frau nicht glücklich werden. Vielleicht nicht nur wegen dieses Statements, sondern auch wegen seiner starken Bilder und der ausgezeichneten Besetzung hat die Festivalleitung diesen Film zum Auftakt ausgesucht. Und weil er so eine große Wirkung hat, ist er am Donnerstag, 11. April, um 20 Uhr in der Schauburg noch einmal im Programm zu sehen. Der Eintrittspreis von 5,50 Euro lohnt sich auf jeden Fall.

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