Promotion: Die große Unbekannte

Gesicherte Zahlen gibt es zwar nicht, aber Schätzungen zufolge promovieren an deutschen Universitäten und Fachhochschulen zur Zeit gut 200.000 Menschen. Knapp 26.000 haben 2011 ihren Doktor gemacht. Doch während es über Studierende eine wahre Flut an Studien, Umfragen und Forschungen gibt, ist die Situation der Doktoranden ein großes Mysterium. Eine mehrjährige Studie des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ) versucht nun, Licht ins Dunkel zu bringen.

Lohnt sich eine Promotion überhaupt? Welche finanziellen Bedingungen erwarten mich? Wirkt sich mein Doktortitel auf mein späteres Gehalt aus? Diesen und ähnlichen Fragen ist das IFQ seit 2009 nachgegangen und hat dafür 28.000 Promovierende befragt. Ende 2012 wurden die Ergebnisse in drei Arbeitspapieren veröffentlicht.

Die Studie verschafft nicht nur den lange vermissten Gesamtüberblick, sondern offenbart auch die oder andere Überraschung: So war in den letzten Jahren wiederholt von der prekären Finanzlage bei Doktoranden zu lesen, immer wieder wurden Verbesserungen gefordert. Anders das Ergebnis des IFQ: Laut der Studie bezieht nur jeder neunte Doktorand ein armutsgefährdendes Einkommen.
Anna Fräßdorf vom IFQ ordnet für pflichtlektuere.com die weiteren Studienergebnisse ein.

pflichtlektüre: Was wollte das Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) mit der Studie über Promovierende in Deutschland herausfinden?

Anna Fräßdorf hat sich als Mitarbeiterin des IfQ intensiv mit der Situation von Doktoranden befasst. Foto: IfQ

Anna Fräßdorf hat sich als Mitarbeiterin des IfQ intensiv mit der Situation von Doktoranden befasst. Foto: IfQ

Anna Fräßdorf: Im Gegensatz zu anderen Bildungsbereichen war über die Situation der Promovierenden bisher wenig bekannt. Wir wissen nach wie vor nicht, wie viele Menschen an deutschen Universitäten überhaupt promovieren. Auch über die weitere Karriere der Doktoranden wissen wir nur sehr wenig. Zu Beginn war die Promovierendenstudie des iFQ vor allem auf den exemplarischen Vergleich von Doktoranden in unterschiedlichen Förderkontexten (Universitäten, Stiftungen, Programme der Deutschen Forschungsgemeinschaft) gerichtet. Mittlerweile streben wir aber an, übergreifende und möglichst weitreichende Aussagen über das Promotionswesen in Deutschland zu treffen. Aus den bisherigen Ergebnissen lässt sich auf jeden Fall ableiten, dass es den typischen Promovierenden nicht gibt.

Ein interessanter Aspekt ist die Finanzierung der Promotion: Lassen sich dabei bestimmte Merkmale feststellen?

Bei der Finanzierung gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Etwas mehr als ein Drittel der von uns befragten Doktoranden ist als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt, besonders häufig finanzieren sich Promovierende dabei über Drittmittelstellen Als zweitgrößte Geldquelle sind Stipendien zu nennen. Durch sie finanzieren sich 28 Prozent der befragten Doktoranden.

Angenommen, die üblichen Finanzierungsquellen stehen nicht zur Verfügung. Welche Alternativen gibt es?

Dieses Problem tritt eigentlich nur in Sonderfällen auf, wobei es mehrere Optionen gibt. Eine Maßnahme ist zum Beispiel, selbst einen Drittmittelantrag zu stellen, im Optimalfall zusammen mit dem zuständigen Professor. Außerdem sollte man sich nicht nur an seiner Heimatuni umsehen. Wenn es an der eigenen Universität keine Stelle gibt, muss man die Suche eben ausweiten. Auch eine aktive Suche nach Stipendien lohnt sich immer, weil man durch die Eigenfinanzierung verstärkt auf die individuelle Förderung achten kann. Auf jeden Fall sollte man sich immer an die entsprechenden Beratungsstellen der Universitäten wenden.

Die Studie beschäftigt sich auch mit den Bedingungen der Promovierenden, zum Beispiel in Sachen Bezahlung. Gibt es Unterschiede je nach Studienfach?

Im Durchschnitt haben unsere Berechnungen einen Verdienst von rund 1260 Euro monatlich ergeben. Ein Einkommen von etwa 1100 bis 1300 Euro ist der Normalfall, ein Großteil der Befragten bewegt sich in diesem Bereich. Fächerunterschiede gibt es durchaus. Besonders die Studiengänge Rechts- und Wirtschaftswissenschaften stechen hervor. Ein Grund dafür könnte sein, dass in diesen Fächern die Opportunitätskosten höher sind. Die Verdienstmöglichkeiten im Berufsleben sind häufig so gut, dass der Anreiz zur Aufnahme einer Promotion geringer sein kann. Entsprechend verdienen Doktoranden in diesen Fächern oftmals mehr und haben häufiger eine Vollzeitstelle. Die Geringverdiener findet man anteilig eher in den Geisteswissenschaften.

Die Studie beinhaltet auch Untersuchungen zur Zeit nach der Promotion. Lohnt es sich in Deutschland, seinen Doktor zu machen?

Es lassen sich in jedem Fall Unterschiede feststellen. Auswertungen mit Daten des Mikrozensus zeigen, dass der Median des Einstiegsgehalts bei vollzeitbeschäftigten promovierten Akademikern bei 2874 Euro liegt – die eine Hälfte verdient also mehr, die andere weniger als diesen Betrag. Nicht-promovierte Akademiker verdienen im Vergleich 2250 Euro. Auch hier gibt es wieder deutliche Fächerunterschiede. Juristen, Zahnmediziner und Wirtschaftswissenschaftler verdienen mit einer Promotion deutlich mehr. Bei den meisten Geisteswissenschaften sind die Unterschiede eher gering, bei den Naturwissenschaften gibt es häufig Unterschiede von Fach zu Fach. So verdient ein Mathematiker mit Doktortitel durchschnittlich 660 Euro mehr als einer ohne, bei einem Physiker beträgt der Unterschied hingegen im Schnitt nur 240 Euro. Ob sich eine Promotion lohnt, ist also sehr stark vom Fach, aber auch den Anforderungen im Beruf abhängig. So ist der Doktorgrad heutzutage zum Beispiel in der Biologie häufig kein Bonus, sondern eher der Regelabschluss.

Eine Promotion an einem Lehrstuhl ist sehr zeitintensiv. Bleibt den Doktoranden überhaupt genug Zeit, sich neben ihrer Anstellung noch um die eigene Forschung zu kümmern?

Nicht für jeden lohnt sich die (Zusatz-)Arbeit: Ob der Doktorgrad wirklich mehr Geld bringt, hängt stark vom Fach ab. Foto:birgitH / pixelio.de

Nicht für jeden lohnt sich die (Zusatz-)Arbeit: Ob der Doktorgrad wirklich mehr Geld bringt, hängt stark vom Fach ab. Foto:birgitH / pixelio.de

Offiziell sind die Promovierenden häufig in Teilzeit angestellt. Die Realität sieht aber oft anders aus: So geben ungefähr 60 Prozent der angestellten Doktoranden, also die wissenschaftlichen Mitarbeiter, an, dass sie 35 Stunden oder mehr pro Woche arbeiten.

Aus Sicht der Doktoranden klingt das wenig einladend…

Die Promovierenden leisten zwar häufig unbezahlte Mehrarbeit, was von den Universitäten durchaus ausgenutzt wird. Allerdings profitieren die Doktoranden oft auch davon. Die Mehrarbeit fließt häufig auf verschiedene Art und Weise in die Promotion mit ein. Viele bringen beispielsweise ihre Arbeit thematisch in ihre Dissertation ein.

Werden Promovierenden in der Regel denn gut betreut?

Ein Großteil der Doktoranden ist entweder sehr zufrieden oder zufrieden mit der Betreuung. Insgesamt ist die Betreuungssituation aber sehr individuell. Die Betreuungszufriedenheit hängt vor allem mit Betreuungsdefiziten sowie dem konkreten Betreuungsverhalten des Hauptbetreuers zusammen.Unsere Untersuchungen zeigen, dass sich die Betreuungssituation am ehesten danach unterscheidet, ob Promovierende strukturiert promovieren oder nicht. Das Fach spielt eine eher untergeordnete Rolle. Dabei machen wir die Strukturiertheit nicht daran fest, ob jemand Mitglied in einem Promotionsprogramm ist, sondern ob die Promotion unter strukturierenden Bedingungen stattfindet, wie durch häufigen Austausch mit den Betreuern oder schriftliche Promotionsvereinbarungen.In unseren Untersuchungen wird deutlich, dass fast 40 Prozent der befragten Doktoranden in den Promotionsprogrammen unter faktisch eher unstrukturierten Bedingungen promovieren.
Ein Großteil der Doktoranden ist entweder sehr zufrieden oder zufrieden mit der Betreuung. Insgesamt ist die Betreuungssituation aber sehr individuell. Die Betreuungszufriedenheit hängt vor allem mit Betreuungsdefiziten sowie dem konkreten Betreuungsverhalten des Hauptbetreuers zusammen.

Konnten Sie einen Zusammenhang zwischen der angestrebten Promotion und der sozialen Herkunft feststellen?

Wie bei den Studierenden deuten auch bei den Doktoranden die Zahlen darauf hin, dass eine Selektion stattfindet. Zwischen einzelnen Fächern lassen sich allerdings eher geringe Unterschiede feststellen. Insgesamt hat bei 53 Prozent der befragten Doktoranden mindestens ein Elternteil einen Universitätsabschluss, ist also Akademiker. Bei Fächern, in denen ein Doktortitel mittlerweile als Regelabschluss angesehen werden kann, kann man davon ausgehen, dass die Bildungsherkunft weniger stark mit der Entscheidung korreliert, eine Promotion aufzunehmen.

Beim Abitur gibt es häufig den Vorwurf, dass die Noten immer besser werden, während dies für die Leistung nicht unbedingt gilt. Lässt sich ein ähnlicher Trend bei der Promotion feststellen?

Die entsprechenden Daten hat das iFQ mit seinem „Informationssystem Promotionsnoten in Deutschland“ aufgearbeitet. Dieses zeigt, dass es extreme Fächer- und Standortunterschiede gibt. So wird ein „summa cum laude“ im Fach Wirtschaftswissenschaft fünf Mal häufiger vergeben als in der Medizin. Dort sind sehr gute Noten besonders selten. Ob die Noten letztlich aber eine Aussage über die Qualität der Promotion eines Doktoranden zulassen, ist wie in vielen anderen Bereichen eine ganz andere Frage.

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