Landesbehörden testen anonyme Bewerbung

Foto, Name, Geschlecht – wer sich eine Stelle in der NRW-Landesverwaltung ergattern will, kann in seiner Bewerbung seit Jahresbeginn auf diese Angaben verzichten. Für die Personalchefs soll ab sofort nur noch eines zählen: die Qualifikation des Interessenten. Der Beginn einer Testphase.

Das Logo der Antidiskriminierungsstelle zum Pilotprojekt "Anonyme Bewerbung". Quelle: www.antidiskriminierungsstelle.de

Das Logo der Antidiskriminierungsstelle zum Pilotprojekt "Anonyme Bewerbung". Quelle: www.antidiskriminierungsstelle.de

Die Zahlen einer Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) geben zu denken: Die Chancen eines Arbeitsuchenden, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, sinken um 14 Prozent, wenn auf dessen Bewerbungsmappe ein nicht-deutscher Name steht. Bei kleineren Betrieben soll sogar fast jeder vierte wegen eines möglichen Migrationshintergrundes vor dem näheren Kennenlernen aussortiert werden.

Aber nicht nur Zuwanderer gehören zur Randgruppe in Sachen Bewerbung. Auch Ältere, Homosexuelle, Behinderte oder Frauen mit kleinen Kindern haben es auf dem deutschen Arbeitsmarkt schwer. Eigentlich hätte diese Chancenungleichheit spätestens 2006 mit der Einführung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes, besser bekannt als Anti-Diskriminierungsgesetz, ein Ende finden sollen. Doch, dass sich anscheinend nicht viel geändert hat, zeigt sich besonders deutlich an der Zusammensetzung der NRW-Landesbehörden: Nur zwei bis drei Prozent des dortigen Personals habe Migrationshintergrund, teilte Sozialminister Guntram Schneider Ende Dezember mit. Dagegen stamme in der nordrheinwestfälischen Bevölkerung fast jeder Vierte nicht mehr ursprünglich aus Deutschland.

Schluss mit der Unterrepräsentation

Sein Ministerium will in Zukunft auch anonyme Bewerber zum Vorstellungsgespräc einladen - Arbeitsminister Guntram Schneider. Quelle: Ministerium für Arbeit, Ralph Sondermann

Sein Ministerium will in Zukunft auch anonyme Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen - Arbeitsminister Guntram Schneider. Foto: Ministerium für Arbeit/ Ralph Sondermann

Diesem Ungleichgewicht soll nun entgegengewirkt werden – und zwar vorrangig mit der anonymisierten Bewerbung. „Wir können es uns im Hinblick auf den demografischen Wandel nicht leisten, dass Talente durch den Rost fallen“, sagt Lothar Wittenberg vom NRW-Arbeitsministerium. 60 Stellen will die Landesverwaltung vorerst an anonyme Bewerber vergeben. „Das ist alles erst ein Anfang“, erklärt Wittenberg.

Meinung ausländischer Studenten

Ye Nan und Zhang Dan kommen aus China und studieren im 3. Semester Wirtschaftswissenschaften an der TU Dortmund. Als weibliche Ausländerinnen gehören sie gleich zwei Personengruppen an, die auf dem Arbeitsmarkt oft Benachteiligungen ausgesetzt sind und nun von der Möglichkeit einer anonymen Bewerbung profitieren sollen. Dementsprechend angetan sind sie von dem Projekt: “Ich habe zwar noch nichts von der Neuerung gehört, aber die Maßnahmen klingen beim ersten Hören hilfreich”, sagt Zhang Dan. Ihre Freundin Ye Nan kann ihr nur zustimmen: “Anonyme Bewerbung – finde ich gut.”

Die chinesischen Studentinnen Ye Nan (l.) und Zhang Dan finden es praktisch, sich in Zukunft bei einigen Unternehmen anonym bewerben zu können. Foto: Michael Prieler

Die chinesischen Studentinnen Ye Nan (l.) und Zhang Dan finden es praktisch, sich in Zukunft bei einigen Unternehmen anonym bewerben zu können. Foto: Michael Prieler

Student Cenk Celen steht der Bewerbungsoffensive etwas skeptischer gegenüber. Er ist Kurde und studiert in Dortmund Sport. “Das Ganze hat sicher Vor- und Nachteile”, sagt der Magisterstudent. “Klar kann eine anonyme Bewerbung bewirken, dass man nicht wegen Vorurteilen des Personalleiters benachteiligt wird. Aber andererseits finde ich ein Verfahren ohne Bewerbungsfoto und persönliche Angaben auch total uneffektiv. Vielleicht stellt sich ja beim Bewerbungsgespräch heraus, dass die Person gar nicht ins Bild des Unternehmens passt. Das hätte man dann auf herkömmlichen Weg schon viel früher erkannt und sich so jede Menge Zeit gespart.”

Wie Cenk stehen auch viele Arbeitgeber der neuen Bewerbungspraxis, die in Frankreich und den USA längst gang und gäbe ist, kritisch gegenüber. Deren Einwand: Sollten Bewerber tatsächlich aufgrund ihrer Herkunft oder Religion benachteiligt werden, wird das Problem durch die Einführung der anonymisierten Bewerbung doch nur auf die nächste Stufe verschoben – das Bewerbungsgespräch. Spätestens hier werden alle neutralen Formulierungen und getilgten Privatangaben vom Anschreiben wieder nichtig. So nennt die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) das Vorgehen sogar „unnötig und kontraproduktiv“.

Sportstudent Cenk Celen ist da etwas differenzierter - er sieht Vor- und Nachteile an einer anonymen Bewerbung. Foto: Michael Prieler

Sportstudent Cenk Celen sieht das differenzierter. Foto: Michael Prieler

Anonym bei der Bundesagenut für Arbeit bewerben – oder bei L’Oréal

Anders sehen das die Verantwortlichen der Bundesagentur für Arbeit (BA) in NRW. Neben dem Bundesfamilienministerium und bislang fünf Unternehmen aus der freien Wirtschaft (Deutsche Post, Deutsche Telekom, L’Oréal, MyDays, Procter & Gamble) ist auch die BA-Regionaldirektion NRW dem Aufruf der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gefolgt und lässt seit September letzten Jahres anonyme Bewerbungen zu. Allerdings betreffe die Neuregelung nur Anwärter auf ein duales Studium, erklärt die Pressesprecherin der Dortmunder Zweigstelle, Sabine Hanzen-Paprotta. Kunden müssten selbstverständlich weiterhin auf herkömmlichem Wege vorstellig werden. Das werde häufig verwechselt. „Generell ist die anonymisierte Bewerbung allerdings sicher ein wichtiger Ansatz für mehr Chancengleichheit“, so Hanzen-Paprotta.

Den französischen Kosmetikgigant L’Oréal haben eher ökonomische denn moralische Gründe zur Teilnahme am Pilotprojekt bewegt: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gemischte Teams am kreativsten sind. Ziel von L’Oréal ist daher, mögliche unbewusste Entscheidungen der Personaler bei der Vorauswahl zu vermeiden“, sagt Yvonne von de Finn, Personalleiterin des deutschen Standorts des Unternehmens.

Ob die anonyme Bewerbung wirklich für mehr Chancengleichheit sorgt oder nicht, wird man erst im September sagen können. Dann werde mit ersten Ergebnissen gerechnet, erklärt Lothar Wittenberg vom NRW-Arbeitsministerium.
Und dann wird sich zeigen, ob die Kritiker oder die Befürworter der anonymen Bewerbung Recht behalten – ob die Neuerung tatsächlich das momentane Ungleichgewicht ändern und für einen höheren Anteil an Zuwanderern in der Verwaltung und den Unternehmen, die am Pilotprojekt teilnehmen, sorgen wird oder nicht.