Erfolgreicher Bonner Bildungsprotest: Tagesprotokoll einer Studentin

Nach monatelangem Streik – ein echter Erfolg für die Studenten. Die Kultusminister der 16 Bundesländer einigten sich am Donnerstagabend in Bonn auf folgende Punkte: weniger Stoff, weniger Prüfungen, weg von der starren sechs-Semester-Regel. Außerdem soll es leichter werden, die Hochschule zu wechseln. In Bonn gab es dabei eine studentische Großdemonstration. Pflichtlektüre-Reporterin Stephanie Feck hat die Studentin Charlotte aus Dortmund auf ihrem Weg für bessere Bildung begleitet.

Es geht los nach Bonn! Proteststimmung schon am Dortmunder Hbf. Foto: Stephanie Feck

Es geht los nach Bonn! Proteststimmung schon am Dortmunder Hbf. Foto: Stephanie Feck

9.30 Uhr Am Dortmunder Hauptbahnhof treffen sich rund 50 Studenten der TU-Dortmund. Sie wollen gemeinsam nach Bonn fahren. Auf ihre Fahnen gestützt warten sie auf den Regional-Express 1 in Richtung Aachen – die Jacken mit „I love freie Bildung“-Buttons gespickt. Unter ihnen ist auch Charlotte. Sie wirkt noch müde, aber gespannt. Die 26-Jährige will Englisch-Lehrerin werden und hat gerade ihr Examen gemacht.

9.45 Uhr
Die Zugtüren schließen sich. Im Abteil ist nicht genug Platz für alle. Aber das kennen die Studenten nach eigenen Angaben aus ihren Seminaren. Auch Charlotte sitzt auf der Treppe. Sie ist mit der Situation im Bereich Bildung unzufrieden: „Seit das System umgestellt worden ist, hat sich die Situation verschlechtert. Es sind immer mehr Studenten in den Seminaren geworden. Dafür gibt es zu wenig Räume und zu wenig Stühle.“ Charlotte gehe es nicht nur um die Abschaffung der Studiengebühren, sagt sie. Wichtig sei ihr, dass sich das System verändere. „Ich möchte die Kinder später zu demokratischen Bürgern erziehen, die frei an einer Uni studieren können.“ Die anderen in der Gruppe nicken. Solidarität ist allen hier wichtig. An den Haltestellen Bochum und Essen steigen immer mehr Studenten zu.

Die Dortmunder Studerntin Charlotte protestiert in Bonn.

Die Dortmunder Studentin Charlotte protestiert in Bonn. Foto: Stephanie Feck

10.37 Uhr Gleis drei am Duisburger Hauptbahnhof wird zur Trillerpfeifen-Testzone. Auf dem Bahnsteig stehen hunderte Studenten. Gegenseitig bewundern sie ihre Plakate. Manche haben Broschüren in der Hand, in denen steht wie sie sich verhalten sollen, wenn die Polizei sie in Gewahrsam nimmt. Charlotte ist im Gewühl verschwunden. Die Laune in Duisburg ist gut – den Regenwolken am Himmel zum Trotz. Mit dem Regional-Express 3 geht es weiter nach Bonn.


10.45 Uhr
Es ist rappelvoll im Zug. DAS Thema: Der bevorstehende Protestmarsch. In den Sitzgruppen finden sich die unterschiedlichsten Diskussionsrunden zusammen. Steffen und Simon kommen auch aus Dortmund und studieren Informatik. Ihnen gehe es vor allem darum ein Zeichen zu setzen. Den beiden gegenüber sitzt Moritz. Er hilft den Hochschulen bei der Einführung des Bachelor-Systems im Fachbereich Jura und ist eigentlich auf dem Weg nach Köln. Nach einem kurzen Meinungsaustausch mit Steffen und Simon beschließt er mit auf die Demo zu kommen – „Aus Interesse.“, sagt er. Auf der anderen Seite des Waggons sitzen zwei Studenten und spielen mit Isolde Schebesch Karten. Die Rentnerin befindet sich zufällig im gleichen Zug: „Ich finde das gut, dass die Studenten demonstrieren. Das Bachelor-System ist mir ehrlich gesagt unsympatisch, wenn es so schwierig ist. Warum soll man den Studenten das Leben nicht erleichtern?“

12.30 Uhr Endstation Bonn-Bad-Godesberg. Vor dem Bahnhof ist der Treffpunkt für die Demonstration. Charlotte ist wieder aufgetaucht und steht zusammen mit den anderen Dortmunder Studenten im Getümmel. Ein paar Meter weiter tragen vier Studenten einen hölzernen Sarg und damit symbolisch die Bildung zu Grabe. Charlotte nutzt die Zeit und kauft sich Buttons, von deren Erlös die möglichen Strafen für die Hörsaalbesetzer bezahlt werden sollen.

Die bisherige Bachelor-Bildung soll zu Sarge getragen werden, fordern die Stundenten hier symbolisch. Foto: Stephanie Feck

Die bisherige Bachelor-Bildung soll zu Sarge getragen werden, fordern die Stundenten hier symbolisch. Foto: Stephanie Feck

14.00 Uhr Der Demonstrationszug setzt sich flankiert von entspannten Polizisten und unzähligen Medienvertretern in Bewegung. „Bildung für alle – und zwar umsonst.“ oder „Hoch mit der Bildung – runter mit der Rüstung.“, schreien rund 4.000 Studenten, Schüler und Gewerkschaftler mit vereinten Kräften. Sie rasseln, sie trommeln und sie pfeifen so laut sie können – und das ist sehr laut. Passanten bleiben am Straßenrand stehen und bekunden ihre Zustimmung. Von einem Fenster hängt ein Banner mit der Aufschrift „Bildung ist ein Menschenrecht – kein Privileg“ herunter. Drei Kilometer weit geht es im Schneckentempo in Richtung Wissenschaftszentrum Bonn. Dort tagen die Kultusminister.

15.12 Uhr Direkt vor dem Gebäude der Konferenz findet die Kundgebung statt. Hier ist es richtig eng, weil alles mit Zäunen abgeriegelt ist. Dahinter stehen Polizisten mit Hunden. Als erster Redner macht ein Sprechen von ver.di Stimmung. Für seinen Ausruf: „Die sollen endlich ihren Arsch hochkriegen (…). Wir brauchen mehr Geld für Bildung“, gibt es tosenden Applaus. Die Lautstärke ist hier wichtig. Schließlich wollen die Demonstranten von den Kultusministern hinter den Glasfenstern gehört werden. Bei vielen feurigen Reden bleibt es friedlich und die Beamten müssen nicht eingreifen. Der Sprecher der Polizei, Frank Piontek, ist davon überzeugt, dass es auch friedlich weitergehe. Außerdem hätten die Demonstranten viele Sympatisanten. Auch in den Reihen der Polizei würden sich bestimmt viele mit den Zielen der Studenten einverstanden erklären.

16.00 Uhr Es regnet. Viele machen sich unter aufgespannten Schirmen auf den Heimweg. Dabei ist das Ziel doch, die Kultusminister nachsitzen zu lassen. Charlotte bleibt noch. Harrt aus – für bessere Bildung und weniger Selektion, wie sie sagt.

Während die Studenten draußen demonstrieren, beschließen die Kultusminister drinnen
Veränderungen am System. Die sollen Hochschulen und Länder umsetzen. Das ist ein erster Erfolg. Der wird aber wohl nicht dazu führen, die Proteste verstummen zu lassen.

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