Wie fühlt es sich an auf einer Theaterbühne zu stehen und auf Kommando zu schreien, zu lachen oder zu weinen? Ist schauspielern schwierig, oder kann das eigentlich jeder? pflichtlektüre-Autorin Tanja Denker hat auf der Bühne des Essener Theater Courage bei Gabi Dauenhauer Schauspielunterricht genommen.
„Mühmühmüüh!“, schreie ich in den leeren Zuschauerraum. Ich stehe auf der Bühne des Theater Courage in Essen-Rüttenscheid. Mir gegenüber holt Gabi Dauenhauer Luft für den nächsten Schrei. Sie ist unter anderem künstlerische Leiterin des Theaters und damit zum Beispiel für die Spielplangestaltung verantwortlich. Heute hat sie sich bereit erklärt, mir ein paar Kniffe zum Schauspielern zu zeigen. Ich weiß nicht recht wohin mit meinen Armen, auch nicht wohin ich am besten gucke. Dass ich direkt aus vollem Halse rumbrüllen soll, ist mir etwas peinlich. Schüchtern versuche ich mich auf das zu konzentrieren, was meine Lehrerin mir zeigt und es nach zu machen. „Gerade Mädchen neigen dazu zu hoch zu sprechen“, erklärt sie. Daher machen wir Übungen, in denen „die Stimme mal raus kommt“. Wie Gabi Dauenhauer atme ich tief ein und brülle los: „Mahmaamaaaah!“. Sie findet mich zu zaghaft. Ich soll versuchen den Ton rauszulassen, ihn nach vorne zu tragen, mit Druck. Nacheinander gehen wir mehrere Vokale durch. Ich bin ganz schön aufgeregt.
Hier reinhören: pflichtlektuere-Autorin Tanja Denker macht Sprechuebungen
„Kein Mensch kann erschrecken, in dem er ausatmet.“ Gabi Dauenhauer gibt auch Schauspielunterricht an der Volkshochschule. „Wir fangen meistens an mit erschrecken, wie das geht leuchtet vielen schnell ein“, sagt sie und ergänzt: „Kein Mensch kann erschrecken, in dem er ausatmet“. Wie sie atme ich schnell ein und halte dann den Atem fest. Ich gehe rückwärts als würde ich vor einer Schlange zurückweichen. „Das ist aber eine kleine Schlange.“ Mist, noch mal. Beim zweiten Mal klappt es schon besser. Ich fühle mich zwar immer noch komisch in meiner Haut, werde aber langsam etwas mutiger. Durch das Lufteinhalten hechle ich ein wenig, fange leicht an zu zittern – und entspanne dann erleichtert meine Muskeln, als die „Schlange“ weg ist.
Als nächstes machen wir eine Zweierübung, bei der Gabi Dauenhauer mich durch den Raum jagt und ich angstvoll zurückweiche. Auch beim Freude Ausdrücken wird eingeatmet: Mir wird ein imaginärer Blumenstrauß überreicht, ich versuche überrascht und erfreut einzuatmen und mich beim Ausatmen strahlend zu bedanken. „Das ist wirklich nicht so einfach“, sage ich immer wieder.
Das Theater Courage gibt es bereits seit 1987. Damals hieß es noch Theater Freudenhaus und war bekannt für seine ernsten und anspruchsvollen Stücke: Homosexualität in Konzentrationslagern, die Krankheit Krebs oder Satanismus wurden thematisiert. Mit dem Zeitgeist änderte sich auch der Spielplan. Heute stehen Komödien, Musiktheater und erotische Abende auf dem Programm. Neben Gabi Dauenhauer leben noch zwei weitere Ensemble-Mitglieder ausschließlich vom Theater Courage. Sie werden unterstützt von Schauspielern aus der freien Theaterszene.
„Letzten Endes ist Theater spielen Atem, der richtige Atem.“ „Das sind Sachen, die sind ungewohnt. Das kriegt man natürlich nicht sofort hin“, beruhigt mich Gabi Dauenhauer. „Letzten Endes ist Theater spielen, wenn man es auf die Technik zurückführt, Atem. Der richtige Atem.“ Das habe ich nun schon gelernt. Das richtige Atmen ist auch bei unserer nächsten Etappe, dem wütend Sein, wichtig. Diese ist mir wieder etwas unangenehm. Wahrscheinlich, weil ich wieder laut sein soll. „Man sagt nicht umsonst: ‚vor Wut schnauben'“, erläutert sie mir. Ich atme schnell und heftig ein und aus, mache meine Lippen schmal, verzerre mein Gesicht, stampfe auf und meckere ordentlich vor mich hin, während ich auf der Bühne auf und ab gehe. „Wütend sein“ finde ich immer noch unbehaglich. Dann sagt Dauenhauer endlich, dass wir etwas Neues versuchen.
Die nächste Disziplin macht mir mehr Spaß. Kein Wunder: wir lachen! Mir wird gezeigt, wie man die Luft ausstößt, auch das letzte bisschen rauspresst, um dann wieder zum nächsten Lachstoß einzuatmen, immer in Verbindung mit dem typischen Lachlaut „hahaha“. Natürlich bin ich wieder zu zaghaft, obwohl ich das Gefühl habe, schon total zu übertreiben. „Das ist ja echt schwierig“, sage ich wieder. Aber auch lustig.
Gabi Dauenhauer hat nach dem Abitur 1970 die Schauspielschule in Frankfurt besucht und hatte bis 1986 Zeitverträge an den Städtischen Bühnen in Kassel, Dortmund, Frankfurt und Essen. 1992 übernahmen sie und ihr Kompagnon Peter-Maria Anselstetter das Theater Courage. Neben ihrer Funktion als künstlerische Leiterin ist sie auch Schauspielerin, Sängerin und Autorin vieler Stücke. Hinzu kommen Büroarbeiten und das Beschaffen von Kostümen, Requisiten und dem Bühnenbild.
„Ich kannte mal eine Frau, die konnte überhaupt nicht heulen, nur Tränen produzieren.“ Zum Schluss meiner ersten Schauspielunterrichtsstunde lerne ich weinen. Auch hierbei stößt man Luft aus, aber gepresster mit mehr Druck und mit einem anderen Gefühl als beim Lachen. Meine Lehrerin vor mir weint so authentisch, dass ich sie am liebsten trösten möchte. Sie sagt: „Ich kannte mal eine Frau, die konnte überhaupt nicht heulen, nur Tränen produzieren, aber das ist eigentlich nicht so wichtig. Das sieht ab der 20. Reihe sowieso keiner mehr.“ Das Körpergefühl muss stimmen und was mit der Stimme passiert. Danach versuchen wir noch kurz die Übung: lachen und heulen abwechselnd. „Das ist ein bisschen ungewohnt, ne?“ – „Ja, total ungewohnt.“
Was ich heute gelernt habe? Beim Schauspielern sind Gestik, Mimik, Sprache und Atmung vermischt und bedingen sich gegenseitig. „Oft findet man die Figur erst, wenn man sich überlegt: wie sieht die aus? Wie bewegt die sich? Wie spricht die?“, erklärt Dauenhauer. Außerdem habe ich gelernt, dass eher schüchterne Menschen wie ich mal über ihren Schatten springen und ihr Schamgefühl beiseite legen müssen. Das lohnt sich. Trotzdem hätte ich noch große Hemmungen, mich für einen richtigen Auftritt auf die Bühne zu stellen. Richtige Tricks zum Zuhause Üben gibt es laut Gabi Dauenhauer nicht: „Da muss man wahrscheinlich schon mal einen Kurs belegen. Das ist permanentes Training.“ Als ich das Theater verlasse, bin ich erschöpft, aber glücklich. Beim Verabschieden hat Gabi Dauenhauer gesagt: „Prinzipiell kann eigentlich jeder schauspielern.“ Und mir fällt noch etwas ein, was meine Schauspiellehrerin erwähnt hat: „Rampensau, so nennt man das, wenn Leute ihr Können erst zeigen, wenn Zuschauer dabei sind.“ Vielleicht bin ich ja eine Rampensau – wer weiß?
[youtube C8lnRzjF2nM nolink]