EHEC im Fokus der Medien

„Horrorkeim im Darm“ war nur eine von vielen reißerischen Schlagzeilen in den letzten Wochen zum EHEC-Bakterium. In den letzten Jahren gab es immer wieder große Medienhypes um BSE, Schweinegrippe und Co. Seit zwei Wochen gibt es täglich neue Berichte über EHEC, die verschiedene Horrorszenarien entwerfen. Erfüllen die Medien dann noch ihre Pflicht? Klären sie die Bürger sachlich auf oder verbreiten sie unnötig Angst?

Nicht nur die Medien "zoomen" auf das Bakterium. Ein Schnelltest soll innerhalb von Stunden den Erregernachweis erbringen. Foto: Michal Bührke/ pixelio

Nicht nur die Medien "zoomen" auf das Bakterium. Ein Schnelltest soll innerhalb von Stunden den Erregernachweis erbringen. Foto: pixelio.de/Michal Bührke

„EHEC war zwar schon immer da, aber eine Situation wie jetzt gab es vorher so noch nicht. Es waren immer Einzelfälle“, sagt Bettina Albers. Sie arbeitet für die „Deutsche Gesellschaft für Nephrologie“ (DGfN) in Berlin. Die Symptomatik bei den Erkrankten habe sich aber nicht gravierend verändert. „Wenn man mit dem Bakterium infiziert ist, verläuft erstmal bei fast jedem die Krankheit mit starken Durchfällen, Bauchkrämpfen und Übelkeit“, sagt Albers.

Das neue an EHEC ist, dass nun mehr Leute und hauptsächlich Erwachsene betroffen sind. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es 66 EHEC Fälle – davon waren 70 Prozent Kleinkinder und Säuglinge. Dieser Umstand gibt den Bakteriologen immer noch Rätsel auf.

Ein Sonderfall für die Medien

„Beim EHEC-Erreger hatten wir es mit einer besonderen Nachrichtenlage zu tun. Die ersten Informationen kamen von den Nachrichtenagenturen“, sagt Christoph Koch. „Die Journalisten haben die Informationen dann verarbeitet und tiefergehend recherchiert.“ Koch ist Ressortleiter für Medizin und Technik beim Magazin „Stern“ und studierter Humanbiologe.

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Journalisten müssen bei der Medizinberichterstattung besonders Acht geben. Deswegen hat eine sorgfältige Recherche oberste Priorität. Foto: flickr.com/Casey Serin

Treten Infektionskrankheiten auf, sind oft die Medien die ersten, die Alarm schlagen. Gerade in der Medizinberichterstattung ist der Grad zwischen übertiebener Darstellung und Aufklärung sehr schmal. „Wenn man Schlagzeilen von Horrorkeimen im Darm liest, muss man schon sehr schmunzeln“, sagt Expertin Bettina Albers.

Sorgfaltspflicht der Journalisten

Christoph Koch findet es richtig, dass sofort über EHEC berichtet wurde: „Insbesondere die doch plötzlich hohe Zahl an Toten und die hohe Aktualität waren wichtige Faktoren.“ Durch die Warnhinweise und Tipps sei die Öffentlichkeit aufmerksam geworden. In diesem Fall habe sich selbst die BILD-Zeitung richtig verhalten, meint Koch.

Aber es geht natürlich auch um die journalistische Sorgfaltspflicht. „Gerüchte funktionieren nicht“, erklärt der Redakteur. So gab es beispielsweise das Gerücht, Al-Qaida habe das Gemüse verseucht. „Nachrichten müssen belegt werden und deswegen müssen Journalisten ordentlich recherchieren.“

David Shraven, freier Journalist und Leiter des Ressorts “ Recherche“ bei der WAZ, fällt auf, dass in der Online-Berichterstattung immer häufiger Sekundärquellen benutzt werden. „Die Journalisten wollen in vielen Artikeln ihre eigenen Akzente setzen und dabei verliert sich häufiger mal der Fokus auf das primäre Thema“. Dies käme zum Beispiel durch das „Herunterbrechen“ auf das Lokale zustande.

Redakteure vom Fach

Dabei liegt der Unterschied vor allem in der Aktualität des Mediums. Online-Medien publizieren notfalls auch mal unfertige Nachrichten, weil sie die jederzeit ändern können. Wochenmagazine wie der „Stern“ müssen ihre Geschichten hingegen noch gründlicher überprüfen. Das Gebot der journalistischen Sorgfaltspflicht steht dann an höherer Stelle als das Streben nach Aktualität.

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Ähnlich sieht es Marcus Anhäuser. Er ist Wissenschaftsjournalist und Mitarbeiter beim Mediendoktor. Auf dieser Internetseite wird aktuelle Medizinberichterstattung unter die Lupe genommen – in den letzten Wochen vor allem die EHEC-Artikel. „Auch im Onlinebereich ist die Sorgfalt enorm wichtig, trotz der Aktualität“, sagt Anhäuser. Deswegen sei bei EHEC der Unterschied zwischen Online und Print nicht so groß gewesen. „Auch bei Tages- oder Wochenzeitungen gab es reißerische Schlagzeilen.“

Im Idealfall sitzen in den Redaktionen Journalisten, die einen wissenschaftlichen Hintergrund haben. „Viele der Stern-Redakteure sind ausgebildete Mediziner“, sagt Koch. „Und die überwachen die Fachöffentlichkeit.“ Dort bekommen die Redakteure dann die ersten Informationen zu künftigen Grippewellen oder gefährlichen Erregern.

Medien sensibilisieren die Bürger

Von reißerischen Schlagzeilen sollten die Medien absehen. Präsenz ist aber geboten: Aufklärung verhindert unvorsichtiges Verhalten. Foto: Screenshot/ bild.de

Von reißerischen Schlagzeilen sollten die Medien absehen. Präsenz ist aber geboten: Aufklärung verhindert unvorsichtiges Verhalten. Foto: Screenshot/bild.de

So wurde die Arbeit der Medien auch durch das Robert-Koch-Institut unterstützt. Es gab unter anderem Infoblätter mit Hinweisen zu Schutz, Symptomen und Ansprechpartnern. „Auch das Verhalten der Behörden war gut“, so Koch. „Trotz des ungleichen Behördensystems gab es einheitliche Tipps.“

Die häufige Präsenz dieser Themen mag auf einige Menschen den Eindruck einer übertriebenen Panikmache wecken. Dabei gilt trotzdem: Die Menschen sind für das Thema sensibilisiert worden und achten gerade bei Infektionskrankheiten verstärkt auf die Hygiene. „Natürlich sollte man nicht reißerisch berichten oder gar Fallzahlen verfälschen, aber besser die Leute waschen ihr Gemüse, als dass sie überhaupt nicht reagieren und nachher erkranken“, findet Bettina Albers.

Voreilige Schlüsse

„Es wurden anfangs sicherlich Erkranktenzahlen genannt, die eventuell etwas übertrieben waren“, sagt Marcus Anhäuser. „Auf jeden Fall fehlte in der Anfangszeit ein Vergleich in den Berichten. Da keine EHEC-Zahlen aus den letzten Jahren genannt wurden, konnten die Leser die neuen Zahlen auch nicht einordnen.“ Und das führt dann zu Verwirrung und Ungewisstheit bei den Lesern.

„Killerkeime in den Sprossen“: Schlagzeilen in dieser Art waren in den letzten Tagen vermehrt zu lesen. Deshalb müsse eine weitere Regel gelten. „Autoren sollten grundsätzlich auf ihre Schlagwörter achten. Bei Artikeln in Zusammenhang mit Krankheiten müssen Worte wie „Killer“ und „Horror“ nicht auftauchen“, so der Experte.

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Jetzt stehen die Sprossen unter Verdacht. Bisher waren aber alle Tests negativ. Foto: Sigrid Rossmann/pixelio

Vorsicht bei der Berichterstattung

„Insgesamt ist man bei den Sprossen nun aber schon vorsichtiger als bei den spanischen Gurken“, erklärt Anhäuser. „Bei den spanischen Gurken wurden voreilige Schlüsse gezogen. Darauf versuchen die Medien in der momentanen Phase zu verzichten.“

Die Bewertung der bisherigen EHEC-Berichterstattung sei nicht gerade einfach. „Wenn zu wenig gewarnt wird, gibt es später Vorwürfe, warum nicht gewarnt wurde“, sagt Anhäuser und verweist damit auf den schmalen Grat zwischen Aufklärung und Panikmache in den Medien. „Umgekehrt gibt es Kritik, wenn zu viel gewarnt wird und es zu einer Hysterie in der Bevölkerung kommt.“

Es bleibt also dabei: Journalisten müssen abwägen. Aufkärung muss gegeben sein, Panikmache trotzdem vermieden werden.

Von Janna Cornelissen und Thomas Borgböhmer