Baby im Bachelor: „Viele trauen es sich nicht zu“

Während die Zahl der Studierenden in Deutschland rekordverdächtig steigt, gibt es immer weniger Studierende mit Kind. Im Jahr 2006 zählte das deutsche Studentenwerk noch sieben Prozent Studierende mit Kind an den Unis in seiner Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland. Schon drei Jahre später hatte sich der Anteil der Studenten, die bereits Eltern sind, um ganze zwei Prozentpunkte reduziert. Fünf Prozent, das ergab im Sommersemester 2009 etwa 94.500 Studierende mit Kind – nicht viel bei knapp 2 Millionen Studenten insgesamt.

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Dr. Waltraud Cornelißen arbeitet beim Deutschen Jugend Institut im Bereich Familie und Familienpolitik. Bild: privat.

Die straffen Bachelor- und Masterstudiengänge, oft inklusive verpflichtenden Auslandssemestern und Praxismonaten, lassen erahnen, warum sich immer mehr Studierende gegen Kinder entscheiden. Doch hinter der Entwicklung steckt mehr, als volle Stundenpläne, erklärt im Interview Dr. Waltraud Cornelißen, Mitarbeiterin des Deutschen Jugend Instituts in München. Die Vereinbarkeit von Studium und Elternschaft gehört zu ihren Forschungsgebieten.

pflichtlektuere: Ausgehend von den aktuellsten Zahlen hat der Anteil der Studenten mit Kindern in nur wenigen Jahren abgenommen: Der deutsche Student scheint also keine Kinder zu wollen.

Waltraud Cornelißen: Der Wunsch danach ist nicht sehr ausgeprägt. Nur sehr wenige Studenten können sich vorstellen,während des Studiums ein Kind zu bekommen. Die Studenten mit Kind bringen den Nachwuchs oft schon mit ins Studium und waren schon Eltern vor dem Studentendasein. Oder es sind welche, die überrascht worden sind. Der Prozentsatz derer, die wirklich ein Kind haben wollten, ist sehr gering.

Lässt sich ein Trend feststellen zu nachlassendem Kinderwunsch? Es heißt doch eigentlich, der Wert ‚Familie‘ sei wieder stark gestiegen – trotzdem kriegen Studenten keine Kinder?

Cornelißen: Das Problem ist die Frage der Vereinbarkeit. Es gibt viel mehr Paare, die sich Kinder wünschen, aber deutlich weniger, die diesen Wunsch realisieren. Das wird von finanziellen Voraussetzungen, der ökonomischen Situation oder von der Zeit, die die Menschen haben, abhängig gemacht. Viele trauen es sich nicht zu, während des Studiums ein Kind groß zu ziehen.

Bild: pixelio.de/Wilhelmine Wulff.

Wer schon im Studium mit der Familienplanung beginnt, der wird später nicht aus dem Job gerissen, sagen die Einen. "Augenwischerei", sagt Dr. Cornelißen. Bild: pixelio.de/Wilhelmine Wulff.

Was spricht nach Ihrer Meinung gegen eine frühe Elternschaft schon während des Studiums?

Cornelißen: So etwas der jungen Generation zu empfehlen, finde ich immer sehr gewagt. Natürlich kann man sagen: Später ist es auch nicht einfach. Und nicht leicht, den perfekten Zeitpunkt zu finden. Aber ich kann keinen großen Vorteil einer frühen Elternschaft erkennen, insbesondere wenn man bedenkt, wie heute die Studiengänge organisiert sind. Meiner Meinung nach ist es eine wichtige Voraussetzung für Studenten mit Kind, dass sie den Studiengang dann auch mal dehnen können und sich nicht dauernd rechtfertigen müssen, nicht mehr ganz im Plan zu sein. Aber das war früher natürlich viel einfacher als heute. Das ist in diesen engen Zeitplänen überhaupt nicht möglich. Wenn bestimmte Pflichtveranstaltungen nur alle zwei Semester angeboten werden, verliert jemand manchmal ein ganzes Jahr, obwohl er nur ein paar Monate ausgesetzt hat. Wenn man zudem bedenkt, dass Auslandssemester fast zur Regel gehören – da stellt sich schon die Frage, wie die jungen Eltern das machen sollen. Andere Studenten wechseln auch gerne noch einmal den Studienplatz – dann noch einmal einen Krippenplatz zu finden, ist auch eine echte Herausforderung. Damit sind wir bei der Betreuungsfrage. Die Tatsache, dass man eigentlich schon während der Schwangerschaft hinter dem Krippenplatz her sein muss, ist ja doch Symptom dafür, dass da vielerorts noch nicht alles richtig läuft.

Bild: pixelio.de/Wilhelmine Wulff.

...dann lieber erst einmal nicht an Kinder denken. Viele deutsche Studenten hätten gern Nachwuchs, schieben diesen Wunsch aber sicherheitshalber vor sich her. Bild: pixelio.de/Wilhelmine Wulff.

Es gibt auch andere Stimmen. Befürworter sagen, ein Kind im Studium großzuziehen falle leichter als in den ersten Berufsjahren.

Cornelißen: Naja, es ist aber auch nicht gerade einfach, aus dem Studium gerissen zu werden. Ein Kind ist zum Studienabschluss ja auch nicht erwachsen, sondern vielleicht drei Jahre alt – damit ist es ja nicht problemlos. Für viele Paare kommt nach dem Studium natürlich eine große Mobilitätsfrage ins Rollen. Wenn dann auch noch ein Kind zu betreuen ist, wo es doch schon den Beziehungspartnern schwer fällt, an den gleichen Ort zu gehen – das ist ganz schwierig. Es ist ein bisschen Augenwischerei zu sagen, dass die Probleme nach dem Studium gelöst sind.

Die Politik hingegen freut sich sicher über den Zuwachs der jungen Eltern.

Cornelißen: Rein bevölkerungspolitisch ist es natürlich sehr gewünscht, dass Paare früh Kinder bekommen. Diejenigen, die früh Eltern werden, haben noch eine lange Fertilitätsphase vor sich, die können dann auch noch mehr Kinder bekommen. Wenn aber Frauen erst mit 35 ein Kind kriegen, dann ist Schluss. Diese jungen Familien versprechen, zur Mehrkinderfamilie zu werden. Und: Schwangerschaften um 25 Jahre sind unproblematischer als die um 35. Medizinische und demografische Gründe für die junge Schwangerschaft gibt es also.

Doch das Kinderkriegen vor sich herzuschieben, erweist sich oft als karriereförderlich. Frauen, die im Studium Kinder bekommen, haben nämlich oft noch gar keinen beruflichen Einstieg. Sie konkurrieren dann auf dem Arbeitsmarkt mit kinderlosen Frauen, und viele Arbeitgeber ziehen diese vor. Sie erwarten da unkomplizierteren Arbeitseinsatz, mehr Mobilität und Flexibilität. Als Frau muss man befürchten, dass man mit kleinen Kindern mehr Schwierigkeiten hat, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Umgekehrt haben Karrierefrauen natürlich richtig Geld. Die können sich eine gute Kinderbetreuung leisten. Und dazu kommt: Der Arbeitgeber hat tierische Angst, diese Frauen zu verlieren, weil sie für ihn wichtige Arbeitskräfte sind. Daher lassen sie sich alles Mögliche einfallen, wie sie den Frauen das Muttersein im Job ermöglichen und ihnen entgegen kommen können. Diese Frauen können ganz andere Bedingungen im Unternehmen aushandeln. Natürlich ist das auch nicht alles einfach. Aber es sind andere Rahmenbedingungen, ein anderes Fundament, auf dem Kind und Arbeit vereinbart werden. Hier fällt niemand ins Bodenlose. Der Berufseinstieg ist schon für die anderen schwierig ‐ wer da auch noch Familienverpflichtungen hat, für den wird es schwierig.

Bild: pixelio.de/Helene Souza.

Süß, aber nichts für den Hörsaal. Bis August 2013 will NRW-Familienministerin Schäfer zwar 144.000 Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren bereitstellen - das ist aber noch ein weiter Weg, viele Eltern suchen händeringend nach Betreuungsplätzen. Bild: pixelio.de/Helene Souza.

Was kann eine 30‐jährige Mutter ihrem Kind bieten, was eine 20‐Jährige nicht kann? Was wiederum kann eine 20jährige Mutter dem Kind bieten, was eine 30Jährige nicht kann?

Cornelißen: Ich will da niemanden entmutigen. Wer schwanger ist, dem würde ich jetzt nicht sagen, er solle unbedingt abtreiben. Der sollte dann auch durchstarten. Ich kann eben nur nicht gerade sagen, dass das nun das Ideal ist. Derjenige hat eben besondere Herausforderungen auf sich genommen und muss sich ein gutes Betreuungsnetz aufbauen. Wenn man es zu zweit macht, ist es natürlich auch leichter, als wenn jemand alleinerziehend ist. Der finanzielle Hintergrund von Müttern um die 20 Jahre ist sehr problematisch und die Partnerschaft oft sehr instabil. Wir wissen auch, dass die späteren Partnerschaften stabiler sind. Ältere Mütter leben sehr viel häufiger in langen Partnerschaften und haben auch häufiger einen Partner. Im Schnitt leben deren Kinder bis zum Alter von sieben Jahren viel häufiger mit beiden Elternteilen zusammen. Bei jungen Eltern ist es anders: Bis das Kind sieben Jahre alt ist, lebt der Vater oft nicht mehr bei der Mutter. Die Bezugspersonen für das Kind sind also doch stabiler.

Wie gut unterstützen Staat und Bildungssystem die frühe Elternschaft?

Cornelißen: Die Betreuungssituation ist noch ungenügend. Es darf nicht sein, dass ein Elternteil drei Jahre aussetzen muss, bis es mal eine Krippe gefunden hat. Dazu kommt aber vor allem der zeitliche Spielraum. Das Studium ist schon ohne Kind manchmal kaum zu schaffen. Da muss man schon viel private Unterstützung haben und guten Zusammenhalt in der Beziehung. Einfacher ist es in den Beziehungen, in denen einer der beiden schon im vollen Beruf steht. Die Hochschulen müssten mehr Flexibilität anbieten, für die man nicht so einen riesigen bürokratischen Aufwand betreiben muss. Schließlich führen Kinder auf jeden Fall auch oft zum Abbruch des Studiums. Ein, zwei Semester verlieren die Mütter auf jeden Fall, auch oft die Väter.

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