„Depression ist wie Herpes“


Er ist Blogger, Poetry Slammer, Kabarettist. Und depressiv. Der Dortmunder Tobi Katze, der eigentlich Tobias Rauh heißt, ist mit seiner Depressionserkrankung an die Öffentlichkeit gegangen. Im Interview mit pflichtlektüre-Reporter Johannes Hülstrung spricht Tobi unter anderem über seinen Beruf und über dessen Zusammenhang mit seiner Depression.

„Ich bin Künstler. Ich schreibe und trete auf, und davon lebe ich.“

„Ich bin Künstler. Ich schreibe und trete auf, und davon lebe ich.“

Tobi, wie würdest du selbst deinen Beruf beschreiben?

Ich bin Künstler. Ich schreibe und trete auf, und davon lebe ich. Seit 2010 mache ich das hauptberuflich und seither klappt das ganz gut.

Warum hast du diesen Beruf gewählt?

Ich habe an der TU Dortmund Angewandte Literatur- und Kulturwissenschaften studiert und habe danach als wissenschaftliche Hilfskraft in der Gründungsförderung gearbeitet. Als irgendwann mein Arbeitsvertrag auslief, war ich gezwungen, irgendwas zu tun und hab mich nach Jobs umgesehen – und nichts gefunden. Also habe ich gesagt: „Dann kannst du die Zeit auch mit Auftreten verbringen.“ Das klappte so gut, dass ich dabei geblieben bin.

In der Gründungsförderung hast du Menschen in die Selbstständigkeit gebracht. Wie lief dein eigener Weg in die Selbstständigkeit ab?

Als ich angefangen habe, habe ich mir gesagt: „Nach drei Jahren schaust du mal, wie weit du bist.“ Das lief soweit ganz rund. Die nächste Etappe ist für 2015 geplant. Ich hatte den Anspruch, dass ich irgendwann auch über die nächsten zwei Monatsmieten hinaus kalkulieren kann. Ich wollte schon ein bisschen finanzielle Sicherheit. Sagen können: „Das nächste Jahr ist safe.“ 2015 sollte der Punkt erreicht sein.

Welche Projekte planst du für 2015?

Ich plane ein Buch über Depressionen, das im September 2015 bei einem großen Verlag erscheinen wird. Ein erzählendes Sachbuch, das sich liest wie ein Roman. Es enthält biographische Elemente, die nicht unbedingt als solche zu erkennen sind. Ich lasse meine Bühnenfigur Tobi Katze Depressionen haben und speise das aus eigenen Erfahrungen, aber es ist schon eine fiktive Geschichte.

Wie gut kannst du deine Bühnenfigur von deinem eigentlichen Ich trennen?

„Ich möchte mich nicht auf die Krankheit reduzieren lassen.“

„Ich möchte mich nicht auf die Krankheit reduzieren lassen.“

Ich als Tobi Rauh bin halt ein ganz normaler Typ wie jeder andere Mensch auch. Und Tobi Katze ist der Typ, der nach außen geht. Jemanden, der so selbstbewusst aggressiv ist auf der Bühne, Depressionen haben zu lassen, gab der Figur eine Tiefe. Aus der Perspektive zu schreiben macht es auf jeden Fall leichter, weil ich nicht wirklich die Hosen runter lassen musste.

Das Thema Depression steht in deiner Arbeit gerade stark im Fokus.

Im Moment ist es ein treibendes Thema in meiner Arbeit, weil es gerade ganz viel Aufmerksamkeit erfährt. Das nehme ich mit bis zu einem gewissen Punkt. Ich möchte mich nicht darauf reduzieren lassen, deswegen will ich nach dem Buch auch dagegen steuern und zeigen, dass ich auch andere Sachen mache.

Wie sieht dein Alltag mit der Krankheit Depression aus?

Ich fühle mich oft sehr kraftlos und energielos. Dann ist es so, dass ich Tage im Bett verbringe, nicht ans Telefon gehe, nicht esse, nicht schlafe. Innerhalb von Sekunden kann meine Stimmung in den Keller fallen. Das ist wie ein zwischenmenschlich spürbarer Verlust von Raumtemperatur. Es kann passieren, dass ich grundlos bei mir zu Hause auf der Couch sitze und Herzrasen und Atemnot bekomme. Das war bis vor kurzem noch so, durch Medikamente ist es wesentlich besser geworden.

Besteht die Chance auf eine Heilung?

Depressionen lassen sich nicht heilen. Die Therapie ist auf Linderung ausgelegt und darauf, damit leben zu können. Es ist wie Herpes. Kriegst du nicht weg, wenn du im Stress bist, kommt es wieder. Aber wenn du die Krankheit verstehst, kannst du machen, dass die Herpesbläschen ganz schnell wieder weg sind und kannst alle Vorkehrungen treffen, damit die nicht wieder auftauchen. Sicher sein kannst du nicht, aber du kannst damit umgehen. Ich weiß dann, ich sollte jetzt vielleicht nicht gerade mit Leuten rumknutschen, ich muss mich aber auch nicht dafür schämen, ich hab das halt, fertig aus.

Die Thematik der Flucht spielt im Zusammenhang mit deiner Krankheit auch eine große Rolle.

„Ich bekomme ganz viel Ärger und Wut auf mich selbst, dass ich nicht stark genug bin.“

„Ich bekomme ganz viel Ärger und Wut auf mich selbst, dass ich nicht stark genug bin.“

Ja, es gibt viele Fluchtmomente in meinem Leben. Zu Hause bleiben, obwohl man eigentlich verabredet ist. Alkohol und Drogen sind auch eine Art von Flucht, wenn man sich der Realität verweigert. Ich bekomme dann ganz viel Ärger und Wut auf mich selbst, dass ich nicht stark genug bin, das durchzuziehen, nicht cool genug, dass ich voll was verpasse. Das Gefühl: Mein ganzes Leben ist scheiße, weil ich früher irgendwo weggegangen bin.

Wie siehst du das Verhältnis zwischen deinem Beruf und deiner Krankheit?

Für eine instabile Persönlichkeit ist es nicht förderlich, auch noch einen instabilen Lebensstil zu führen. Und der eines freiberuflichen Künstlers ist instabil, was finanzielle Sicherheit und so weiter angeht. Ich glaube aber, dass mein Beruf nicht verantwortlich für meine Depression ist. In anderen Berufen wäre es sicher einfacher, da könnte ich mich aber auch nicht so offen damit bewegen. Und gerade das ist sehr hilfreich. Sich damit auseinander setzen zu können, macht vieles erträglicher und einfacher – für andere und für mich.

Wirst du manchmal gefragt, wie du bei deiner Krankheit auf der Bühne eigentlich so lustig sein kannst?

Oft kommt es zu dem Missverständnis, dass Depressionen und Humor zwei gegenteilige Dinge sind. Das ist aber nicht so. Depression bedeutet Abwesenheit von Gefühlen, die Leere, aber Sinn für Humor kann man sich trotzdem bewahren.

Mehr über Tobi Katze lest ihr ab Donnerstag in der neuen Print-Ausgabe der pflichtlektüre. Auf seinem Blog „Dasgegenteilvontraurig“ schildert Tobi seine alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit der Krankheit. Betroffene finden Hilfe unter anderem beim Krisenzentrum Dortmund.

Fotos: Christiane Reinert

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