Dürfen Live-Shows so gefährlich sein?

qawra

Wie gefährlich dürfen Live-Shows sein?

Nach über 28 Jahren „Wetten, dass…?“ hat es am letzten Wochenende erstmals einen schweren Unfall in der Live-Sendung gegeben. Thomas Gottschalk brach die Sendung ab, nachdem ein 23-Jähriger bei dem Versuch mit Sprungfedern über fahrende Autos zu springen, schwer gestürzt war. Noch immer ist unklar, wie schwer die Verletzungen wirklich sind. Dürfen Live-Shows so gefährlich sein?

PRO

Ja, sie dürfen. Aber warum soll diese Live-Show überhaupt so gefährlich gewesen sein? Was in „Wetten, dass…?“ zu sehen war, ist nicht weniger riskant als das, was wir alltäglich in den Medien präsentiert bekommen – und kommentarlos hinnehmen. Bei jeder Box-Übertragung strömt mehr Blut per Bildschirm in unsere Wohnzimmer. Bei jedem Formel1-Rennen ergötzt sich das Publikum mehr an den potenziell lebensgefährlichen Unfällen, die extra in Zeitlupe wiederholt werden.
Sollten wir deswegen diese Sendungen abschaffen? Niemand würde auf eine solche Idee kommen.

Die Debatte nimmt deshalb einen Umweg und fragt: War diese einzelne Wette zu gefährlich? Die Antwort ist klar: Die Wette war so gefährlich, wie es sein muss, über fahrende Autos zu springen. Sie ist so riskant wie das, was Stuntmans und Zirkusleute täglich vor den Augen eines zahlenden Publikums präsentieren. Und vor allem ist es nur so gefährlich wie das, was schon immer bei Shows wie „Wetten, dass…?“ zu sehen war.

Ein Unfall musste statistisch eintreten

Vor etwa einem Jahr lief ein Mann über eine Reihe von Autos, die sich mit einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde auf ihn zu bewegten. Thomas Gottschalk scherzte damals: „Ein schöner Sport muss ich sagen.“ Ja, es war schön, diese Wette noch mal anzuschauen – sogar beeindruckend. Bei ihr ist nichts schief gegangen. Das ist gut und sollte selbstverständlich sein. Zur unausgesprochenen Selbstverständlichkeit gehört aber auch, dass statistisch irgendwann ein Unfall eintreten muss. Dass er sich erst im 29. Jahr von „Wetten, dass…?“ ereignet hat, ist ein Glück.

Nein, diese Wette und diese Sendung waren nicht zu gefährlich. Bedenklich sind nur die Medien, die den Unfall skandalisieren und ausschlachten: BILD präsentierte die Rettungsmaßnahme der Sanitäter von allen Seiten – und fotografierte selbst hinter dem abschirmenden schwarzen Tuch. Und sogar Spiegel-Online zeigt die Szenen im Foto, die das ZDF durch den Umschnitt auf das Publikum eben nicht dem Fernsehzuschauer zumuten wollte. Das ist vom ZDF sehr verantwortlich. Gefährlich ist sicherlich etwas anderes.

CONTRA

Nein, dürfen sie nicht. Natürlich ist eine Live-Show zu gefährlich, wenn ein Kandidat sich so schwer verletzt, dass er danach im Koma liegt. Der Unfall hätte nicht passieren dürfen. Dabei ist es völlig irrelevant, ob Samuel Stuntman und Leistungssportler sein mag. In erster Linie ist er ein 23-jähriger junger Mann, der noch nie in einer solch riesigen Samstag-Abend-Show aufgetreten ist. Er selbst konnte nicht wissen, wie nervös er wirklich sein wird. Er selbst hatte keinen Vergleich, um die Situation richtig einschätzen zu können. Das ZDF schon.

Bereits der erste Sprung über das kleinste Auto sah ungemein riskant aus. Die Zuschauer waren von der Wette begeistert. Warum? Weil jeder vor dem Fernseher wusste: Da kann etwas passieren, diese Wette ist verdammt riskant. Wieso konnte die Redaktion von „Wetten, dass…?“ übersehen, was viele Zuschauer schon nach dem ersten Sprung gespürt haben? Der Kandidat hätte besser gesichert werden müssen. Oder die Wette hätte so nicht stattfinden dürfen.

Spannung durch Lebensgefahr?

Natürlich lässt sich ein Unfall nicht mit völliger Sicherheit ausschließen. Aber warum muss jede Wette immer noch spektakulärer sein? Ich unterstelle dem ZDF keinen Quotendruck und ich bin die letzte, die eine Absetzung von „Wetten, dass…?“ fordert. Aber lässt sich Spannung nur noch durch Lebensgefahr erzeugen? Bei „Wetten, dass…?“ hat es immer riskante Wetten gegeben. Der Zuschauer hat sich stets darauf verlassen, dass nichts passiert. Wenn das nur Glück war, muss das Konzept der Sendung überdacht werden.

Nach dem Unfall hat das ZDF vorbildlich reagiert. Das Opfer wurde sofort abgeschirmt, die Sendung abgebrochen. Das waren richtige Entscheidungen. Hätte sich die Redaktion vor der Show weniger auf einen Sicherheitsingenieur und die waghalsigen Versprechen eines jungen, unerfahrenen Stuntman verlassen – hätte die Redaktion schon vor der Show mehr auf das eigene Bauchgefühl vertraut, dann wäre die Wette so nicht an den Start gegangen. Eine Live-Show im deutschen Fernsehen darf nicht lebensgefährlich sein – ganz egal, ob bei den Öffentlich-Rechtlichen oder im Privatfernsehen.

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