Duell am Donnerstag: Public Viewing zur EM – Echtes Feeling oder nervig?

 

DAS-DUELL-Christian-Robert

Am Freitag startet die Europameisterschaft in Frankreich. Deutschland ist am Sonntag zum ersten Mal dran. Tausende Menschen werden sich um 21 Uhr wieder auf dem Friedensplatz und den Kneipen Dortmunds verteilen – zum Public Viewing. Dann gibt es wieder Bierdusche und Dixi-Kloschlangen für die Fans. Oder nicht? Ist es nicht viel bequemer, wenn man im Garten seines Vertrauens ohne nerviges Publikum die Nationalmannschaft feiert?

Echtes Fußball-Feeling,

findet Robert Tusch.

Fußball ist ein Gemeinschaftssport. Er verbindet die Menschen. Denn egal welche politische und religiöse Ausrichtung sie haben, beim Fußball sind alle eins: Fans.

Nirgendwo wird dieses Motto so deutlich wie beim Public Viewing – wenn in ganz Deutschland wieder Millionen Menschen auf die Straße gehen und gemeinsam auf die Leinwand starren. Ein Gefühl des Zusammenhaltes, der gemeinsamen Stärke und der Freude macht sich breit. Schwarz, Rot und Gold überall! Ganz vergessen sind die politischen Debatten, die persönlichen Probleme und Konflikte unserer Zeit. Beim „Rudelgucken“, wie es von den Anhängern liebevoll genannt wird, ist die Welt für 90 Minuten eine neue.

Echte Stimmung geht nicht zu fünft

Und mal ehrlich: Jeden Tag alleine vor dem Fernseher sitzen? Das kann doch jeder. Nebenbei zu zweit im Garten grillen? Wie langweilig! Das kann ich auch jedes andere Wochenende noch erledigen. Aber gemeinsam mit Tausenden Leuten Jogis Truppe anzufeuern, geht nur alle zwei Jahre. Ein wahrer Fußball-Fan muss das ausnutzen.

Jeder, der schon einmal beim Public Viewing war, kennt die einzigartige Stadion-Atmosphäre auf der Fan-Meile. Hier kommt noch ein echtes Fußball-Gefühl auf. Laute Fangesänge, frenetischer Jubel und Gänsehautmomente – so etwas geht nur gemeinsam mit Gleichgesinnten. Es ist einfach nicht möglich, zu viert oder zu fünft die gleiche Stimmung zu erzeugen, wie mit 4000 heißblütigen Fans. Und die Bierdusche? Die gehört dazu. Ist mir aber auch lieber, als dass das Bier die schöne Couch im Wohnzimmer durchnässt.

„Was ist nochmal Abseits?“

Natürlich kann man sich auch ein paar Freunde nach Hause einladen. Wenn überhaupt passen in den Raum aber auch nur 10 bis 15 Jubler. Wo soll da die Stimmung herkommen? Zumal die Hälfte von denen sowieso nur wegen der Gratis-Getränke und der Bratwürste zu Gast ist. Was gibt es schlimmeres als während des Spiels Kommentare wie „In welcher Farbe spielt Deutschland“ oder „Was ist nochmal Abseits“ zu hören? Klar, beim Public Viewing mag es sowas auch geben. Doch unter den Fangesängen gehen solche Fragen zum Glück verloren.

Beim Public Viewing sind Fußball-Experten sowieso immer garantiert und fachkundige Diskussionen sind programmiert. Leute, mit denen man sich versteht und mit denen man auf einer Ebene ist. Neue Bekanntschaften zu finden ist auf der Fan-Meile nicht wirklich schwer. Ein gemeinsames Thema ist schließlich schon gegeben.

Endlich mal verkleiden ohne schiefe Blicke 

Was dazu kommt: Niemand muss sich Gedanken darüber machen, was er anzieht. Ein schickes Deutschland-Trikot reicht bereits. Und wer es mag kann dazu noch den Schal oder eine schwarz-rot-goldene Perücke tragen. Auch nicht schlecht. Denn egal wie es aussieht, schiefe Blicke oder dumme Kommentare wird es an diesem Tag nicht geben.

Und dann das erste Tor für die Lieblingself. Ein Aufschrei, als wäre Deutschland gerade Europameister geworden. Massenjubel und pure Emotionen. Deutschlandflaggen wohin man schaut. Laute Musik, Umarmungen und Freudentränen. Ob das bei den zwei Jungs zuhause vorm Grill auch so ist?

Nervt mich nicht,

meint Christian Woop.

„Hör doch mal auf den Mats Hummels zu kritisieren. Der ist doch voll süß.“ Sätze, die das Herz eines jeden Fußballfans höher schlagen lassen. Nicht. Wo gehören sie zum guten Ton dazu? Richtig, an den zahlreichen Orten in diesem Land, wo auch in diesem Jahr wieder ein sogenanntes Public Viewing – auf Deutsch auch gern „Rudelgucken“ – stattfindet.

Seit dem Sommermärchen 2006 bricht in Deutschland alle zwei Jahre ein völlig übertriebener Hype aus. Klar, die Klinsmänner haben das Land aus dem fußballerischen Dornröschenschlaf geweckt und die schwarz-rot-goldene Fahne an Autos und Häuserfenstern salonfähig gemacht. Auch der Autor dieser Zeilen war damals voll im WM-Fieber. Der Moment, als Fabio Grosso die DFB-Elf im Halbfinale aus dem Turnier schoss, geht ohne Weiteres als kleines Kindheitstrauma durch.

Deutschland-Hut und nervende Superhelden

Seitdem hat sich jedoch einiges geändert, weil die Nationalmannschaft immer mehr zu einem emotionslosen Marketingobjekt verkommt (#ViveLaMannschaft), Bundes-Jogi fragwürdige Personalpolitik betreibt und Fußball in den Sommermonaten zu einem Event wird, das einen Hype mitbringt, der einfach nur nervt. Besonders schlimm ist es beim Public-Viewing: Trikot tragen? Von mir aus. Aber was soll der Deutschland-Hut, die Fahne als Superhelden-Umhang, ein schwarz-rot-golden geschminktes Gesicht und die obligatorische Vuvuzela (Na, wer kennt die noch?).

Dazu ist es brechend voll, der süße Geruch von Schweiß liegt in der Luft und der deutsche Hochsommer bringt auch von oben nur Regen. Dafür dann auf dem Friedensplatz auch noch erstmals Eintritt bezahlen muss nicht sein. Einmal für kleine Fußballfans müssen und man kann den Platz direkt vor der Leinwand vergessen. Vielleicht kippt der Hintermann aber auch schon vorher seinen Gerstensaft in deinen Nacken oder dein Trommelfell platzt, nachdem ein hysterisch, pubertäres Mädchen-Gekreische ausbricht, als sich Mario Götze in Großaufnahme sein verschwitztes Shirt auszieht.

Und dann noch die hochqualifizierten Fragen der sogenannten „Fans“: Wer ist eigentlich dieser Weigl? Spielt der bei Bayern? Scheidet Deutschland bei einer Viertelfinal-Niederlage aus oder kann es sich noch über Umwege für das Finale qualifizieren? Oder sind die Nivea-Jungs dann abgestiegen? Muss man ja auch alles nicht wissen.

Trotzdem Fragen, die dem durchschnittlichen Event-Publikum auf dem Herzen liegen. Wenigstens kann man davon ausgehen, dass am Ende die beste Mannschaft gewinnt. Die Uefa ist ja auch eine ehrliche, sympathische und moralisch einwandfreie Truppe.

Die Ruhe genießen

Trefft euch doch deshalb im Garten eures Vertrauens und trinkt ein kühles Bier, während auf dem Holzkohle-Grill langsam Bratwürstchen und Steaks brutzeln. Genießt in Ruhe die Spiele, quatscht mit euren Freunden und lasst euch nicht vom unnötigen Hype anstecken. Wird Deutschland wirklich Europameister, kann die Party immer noch losgehen.

Oder sich einfach irgendwo verstecken, bis mit der Bundesliga der einzig wahre Vereinsfußball wieder beginnt.

das-duell-feederFoto: stockxchng/bizior, S. Hofschlaeger/pixelio.de
Teaserfoto: flickr.com/Marco Verch, Titelbild: HIExGuetersloh / Flickr.com

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