„Moralfrei“: Aus dem Leben eines Ghostwriters

DSC_0023

„Grauzone“ – dieser Begriff fällt häufig an diesem Nachmittag, wenn Thomas M. (Name von der Redaktion geändert) über seine Arbeit als Geschäftsführer redet. Seine Agentur bietet Studenten kostenintensive „Recherchehilfen“ für Präsentationen, Hausarbeiten oder Abschlussarbeiten an. Thomas M. und seine ungefähr 20 Mitarbeiter sind Ghostwriter, die wissen was passiert, wenn die druckreife Arbeit per PDF an den Auftraggeber geht.

Unter seinem linken Arm klemmen drei Bücher, aus deren Rändern etliche Notizzettelchen ragen. In der linken Hand hält Thomas M. einen Kaffee, als er sich an den Tisch setzt. Er fällt in der Masse an Menschen nicht sonderlich auf – weder als Paradiesvogel noch als Geschäftsmann mit Nadelstreifenanzug.

Seit vier Jahren betreibt Thomas M. sein Unternehmen, welches ursprünglich aus der Not heraus geboren wurde. Nach seinem Bachelor im Lehramt für die Fächer Sozialwissenschaften, Theologie und Deutsch wurde seine Frau schwanger und das Geld knapp. In seinen eigenen Bachelor-Abschluss legte er kein Vertrauen. „Hartz IV oder was anderes“, hieß es damals. Heute sind es Ghostwriting, Promovieren und nebenbei Jura studieren. Denn vor allem in der Rechtswissenschaft scheint die Nachfrage groß zu sein.

Momentan kann ich 25 Prozent der Aufträge nicht annehmen. Deswegen studiere ich Jura.

Thomas M. spricht von 30 bis 60 wissenschaftlichen Hausarbeiten, die seine Mitarbeiter monatlich bearbeiten. Hinzu kommen schätzungsweise zehn Bachelorarbeiten. Er selber schreibt immer weniger und kümmert sich hauptsächlich um die Auftragsbearbeitung und Vermittlung. Die Preise staffeln sich nach der Komplexität der Arbeit. Eine Hausarbeit bietet die Agentur ab 29,95 Euro pro Seite an. Gelegentlich, so sagt er, werden auch Doktorarbeiten in Auftrag gegeben – Kostenpunkt: mindestens 80 Euro pro DIN A4-Seite, also 17.000 bis 25.000 Euro.

Die meisten Kunden seien verzweifelte Studenten, die mit dem Druck nicht klar kommen und um schnelle Hilfe bitten. Zeitdruck und Verpflichtungen nebenbei sind Gründe, doch auch die Akademisierung der Berufe beschert ihm Kunden.  Trotzdem kritisiert er das Problem: „Mittlerweile meint jeder, einen BWL-Abschluss haben zu müssen. Deswegen sind Leute an der Uni, die besser nicht studieren sollten.“ Die wenigstens würden solch eine Aktion vorausschauend planen, so Thomas M. Ein weiterer Teil der Kundschaft seien bereits Berufstätige, die schlichtweg keine Zeit hätten.

In extremen Fällen fertigt ein Ghostwriter Hausarbeiten über ein Wochenende an. Bachelorarbeiten dauern in der Regel vier Wochen, können aber gegen Aufschlag schon nach zwei Wochen abgegeben werden – es bleibt eben eine Frage des Geldes. Selbst Facharbeiten für junge Abiturienten wurden schon verfasst. „Lediglich das Deckblatt und die Ehrenerklärung müssen selbst angefertigt werden“, sagt Thomas M.

Ist Karstadt für die Straftat des Kunden verantwortlich?

Und genau diese Ehrenerklärung ist der Knackpunkt der Geschichte, der Punkt an dem diese gern genannte „Grauzone“ schwindet und etwas weniger schmeichelhaftes den Platz einnimmt: Betrug. Thomas M. weiß das. Mit seinen Fingern deutet er Gänsefüßchen an, wenn er von Recherchehilfen redet, naiv sei er auch nicht. Anfragen, die von Beginn an bestätigen, dass die Arbeit ohne Änderung abgegeben werden soll, nehme er jedoch nicht an. Auf der Homepage heißt es weiter:

Satz Ghostwriter

 

„Wenn bei Karstadt ein Messer gekauft wird und der Kunde damit ein Verbrechen begeht, ist Karstadt dann für den Mord verantwortlich?“, fragt Thomas M. „Wir begehen keine Beihilfe zum Betrug“, antwortet er selber.

In nunmehr vier Jahren sei keiner seiner Kunden durchgefallen, sagt er. Über die Benotung gebe es aufgrund der Diskretion jedoch keine Datenlage, lediglich einige wenige Kunden, hätten in der Vergangenheit ihre Unzufriedenheit über die Benotung per Mail mitgeteilt. Doch wer klagt schon, wenn die eigene Deckung dabei auffliegt? Der ideale Schutz für schwarze Schafe unter den Anbietern auf dem Markt: „Es gab Vorfälle in dieser Branche, in denen der Kunde gezahlt hat, die Arbeit jedoch nie erhalten hat. Was will der Kunde denn schon machen?“

Manchmal bekommst du am Freitagabend die Mail, dass am Montag die Hausarbeit fertig sein muss.

Alle freien Mitarbeiter hätten mindestens einen Masterabschluss, sagt Thomas M. „Manche sogar drei bis vier Abschlüsse.“ Die Verdienstmöglichkeiten eines professionellen Ghostwriters beziffert er auf bis zu 3500 Euro im Monat – Arbeit ohne Urlaub, ohne Wochenende. Es gebe sogar hin und wieder Professoren, die aktiv seien. Was treibt Menschen mit solchen Qualifikationen dazu, Ghostwriter zu werden: „Leute, die den akademischen Weg gegangen sind, aber nicht Fuß fassen konnten. Beispielsweise Vertretungsprofessuren haben und sich von Uni zur Uni hangeln.“

Was wäre das für ein Moment, wenn der Professor seine eigene Arbeit eingereicht bekommt?

Die Serie
Lokführer, Piloten, Ghostwriter oder Erzieher – es gibt einige Jobs, die wegen Streiks oder Krisen zum Medienthema werden. Die Serie „Aus dem Leben“ wirft einen genauen Blick auf diese Arbeit, ihre Problem und die Menschen dahinter.

Teil 1: Aus dem Leben eines Lokführers

Teil 3: Aus dem Leben eines Floglotsen

Teil 4: Aus dem Leben eines Erziehers

Teaserbild: mosaiko./ Quelle PHOTOCASE

Beitragsbild: Lynn Osselmann

5 Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert