Grillen wir in Zukunft Grillen?

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Insekten sind unbeliebt und ekelig und haben in Deutschland außerhalb des RTL-Dschungelcamps nichts auf dem Teller zu suchen. Aber was ist, wenn uns in einer Krisensituation nichts anderes übrig bleibt, als Heuschrecken, Kellerasseln und Co. zu essen? Und wie wahrscheinlich ist es, dass wir in Zukunft alle einmal unsere eigenen Larven in der Küche züchten werden?

Die Käferlarve auf meiner Hand windet sich hin und her. Sie ist gerade einmal so groß wie mein Daumennagel und so leicht, dass ich ihre Bewegung kaum spüre. Um mich herum zwitschert, raschelt und knistert der Wald, aber ich nehme nur das winzige weiß-gräuliche Tierchen auf meiner Handfläche wahr. Bevor ich noch länger darüber nachdenken kann, schmeiße ich mir die Larve schließlich in den Mund. Einen schnellen Biss und etwa zwei Sekunden später ist alles vorbei, ich habe mein erstes lebendiges Insekt gegessen und es war gar nicht mal so schlimm. 

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Nicht ohne stolz blicke ich zu Daniel Meier. Der 34-Jährige gehört zu den bekanntesten deutschen Survivaltrainern und leitet seit mehreren Jahren Überlebenstrainings, in denen die Teilnehmer lernen, wie sie sich in Krisensituationen richtig verhalten. Dazu gehört auch das Sammeln und Essen von Notnahrung wie Insekten, auch wenn sich die gezielte Suche nach den kleinen Krabblern selten lohnt: „Wenn man Larven und Kellerasseln in ausreichend großer Menge sammeln möchte, verbraucht man mehr Energie, als man im Endeffekt durch die Tiere zu sich nimmt. Trotzdem gilt in Krisensituationen: Jedes Insekt, das du findest, steckst du dir einfach in den Mund, weil jede Kalorie zählt.“

Aus Deutschlands Wäldern kann man vor allem Heuschrecken, Grashüpfer, Käfer und verschiedenste Käferlarven essen. Weltweit gibt es aber über 1900 verschiedene essbare Insektenarten und je mehr auf dem Gebiet geforscht wird, desto höher wird diese Zahl. 

Diese Insekten werden am häufigsten verspeist

Da ein Großteil der bereits bekannten Insektenarten in der Wildnis gefangen wird, bestehen nur wenige Informationen darüber, wie viele Insekten weltweit wie häufig verzehrt werden. Die Welternährungsorganisation FAO hat die bestehenden Daten aufgeführt. Danach sind die am häufigsten gegessenen Insekten:

1. Käfer (31%)Insekten 3_b
2. Raupen (18%)
3. Bienen, Wespen und Ameisen (14%)
4. Grashüpfer, Heuschrecken und Grillen (13%)
5. Schnabelkerven (Zikaden, Wanzen …) (10%)
6. Termiten (3%)
7. Libellen (3%)
8. Fliegen (2%)
9. Andere (5%)

Weltweit gehören Insekten für etwa zwei Milliarden Menschen zum Ernährungsalltag. Besonders weit verbreitet ist Entomophagie, also das Essen von Insekten, in Teilen von Asien, Afrika und Lateinamerika. In Europa findet man Insekten nur selten auf Speisekarten und wenn, dann locken diese Angebote keine durchschnittlichen Konsumenten, sondern abenteuerlustige und experimentierfreudige Esser an. Laut der Welternährungsorganisation FAO ist der verbreitete Ekel in vielen westlichen Ländern eines der größten Hindernisse zur Einführung von Insekten als Nahrung.

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Auch Daniel Meier spürt immer wieder, wie viel Überwindung es viele seiner Kursteilnehmer kostet, lebendige Insekten zu essen.
„Die meisten machen es schlussendlich, aber viele zögern lange und einige trauen sich dann doch nicht.“, erzählt er, während er mit seinem Survival-Messer den Stamm eines morschen Baumes durchsucht. Vorsichtig streckt er mir eine Kellerassel auf der Klinge entgegen. Ich wundere mich, wie leicht es mir fällt, sie zu zerbeißen und herunterzuschlucken — so abgebrüht kenne ich mich gar nicht. Daniel ist da weniger überrascht, denn dieses Phänomen hat er schon häufiger beobachtet: „Wenn es ums Essen von Insekten geht, sind Frauen auf jeden Fall härter als Männer! Das kann man wirklich so pauschalisieren, weil sie in 90% der Fälle ganz schnell dabei sind, während Männer deutlich länger zögern, bevor sie sich trauen.“ 

Ekel und Überwindung hin oder her, Fakt ist, dass in Insekten viele wertvolle Nährstoffe stecken. Das sagt auch Lebensmitteltechnologin Dr. Birgit Rumpold, die in den letzten Jahren viel zum Thema geforscht hat: „Insekten sind vor allem sehr proteinhaltig und je nachdem was sie verzehren auch sehr fetthaltig. Inhaltsstoffproben haben außerdem ergeben, dass sie Vitamine, Mineralstoffe und wertvolle Fettsäuren enthalten.“

Auch mit Fleisch können Insekten es aufnehmen: 100 Gramm Rindfleisch enthalten durchschnittlich etwa dreimal so viel Kalorien wie 100 Gramm Insekten, der Anteil an Proteinen ist dagegen weitaus geringer. Nicht nur deshalb sieht die FAO in Insekten eine ungenutzte Chance für die Zukunft.

Sind Insekten das Steak von Morgen?

FleischHeute leben etwa sieben Milliarden Menschen auf der Erde, im Jahr 2050 werden es rund neun Milliarden sein. Dementsprechend steigt auch der globale Bedarf an Lebensmitteln, insbesondere an Fleisch, immer weiter an, was vor allem der Umwelt schadet. Aus diesem Grund lebt auch Survivalcoach Daniel Meier im Alltag vegan und ernährt sich ausschließlich auf seinen autarken Touren von selbst gefangenen Tieren. „Das hat etwas Ursprünglicheres und ich weiß, dass ich in der Natur keine ausreichend nahrhafte Alternative zu Tieren finde“, erklärt der 34-Jährige seinen Lebensstil. Auch die Wissenschaft sucht noch nach realistischen Alternativen zu Fleisch. Die Forschungen führen von In-vitro-Fleisch aus dem Labor, bis hin zu pflanzlichen Proteinalternativen wie Mikroalgen. Aber auch die industrielle Zucht von Insekten als Nahrungs- und Futtermittel ist eine der vielen Zukunftsvisionen.

Ein großer Vorteil der Insektenzucht ist, dass sie sehr viel effizienter ist als die Fleischproduktion. Mit 10 Kilo Futter kann zum Beispiel nur 1 Kilo Rindfleisch, aber dafür 9 Kilo Insektenmasse produziert werden. Außerdem benötigt die Zucht von Insekten weniger Landfläche und weniger Wasser und der Ausstoß von Treibhausgasen ist im Vergleich zur Fleischproduktion gering. 

FutterInsekten sind also gesund, sparen Platz, Energie und Wasser und können zudem auf unserem Bioabfall gezüchtet werden. Was wäre denn, wenn wir diese Vorteile nutzen würden und anfangen würden, Insekten in der eigenen Küche zu züchten? Das hat sich auch die Industriedesignerin Katharina Unger gefragt und 2013 im Rahmen ihrer Diplomarbeit die „Farm 432“ entwickelt. Mit ihr kann man sich ganz bequem, sauber und sicher seine eigenen Soldatenfliegenlarven in der Küche großziehen. 

Video: So funktioniert die Farm 432 von Katharina Unger

 

1. Die Birthday-Box der Farm wird mit verpuppten Larven gefüllt
2. Es schlüpfen Soldatenfliegen, die durch kleine Öffnungen in ein kuppelartiges Gehäuse fliegen.Diese Kuppel nennt Katharina auch den „Fliegen-Vergnügungspark“
3. Die Fliegen leben 12 Tage und paaren sch in dieser Zeit
4. Ihre Eier legen die Fliegen in türkisfarbene Löcher, die über einem Behälter mit Bioabfällen liegen
5. In diesem Behälter entwickeln sich die Larven, bis sie sich verpuppen wollen 
6. Nach 18 Tagen (432 Stunden — daher der Name) krabbeln sie dann zum Verpuppen eine Art Tunnel nach oben, weil es dort trockener ist, als in ihrem Abfall-Speiseraum
7. Am Ende des Tunnels fallen sie schließlich in die Erntebox (einen Behälter, der etwas 500g Larven fassen kann)
8. Damit der Kreislauf weiter geht, müssen einige Larven wieder in die Geburts-Box gegeben werden, der Rest kann lebendig eingefroren und zum Kochen benutzt werden

Von der ersten Idee bis zum Prototyp der Farm hat Katharina vier Monate lang recherchiert, skizziert und mit verschiedenen Insekten experimentiert. Sie war sich dabei bewusst, dass sie sich an ein Thema herangewagt hat, das polarisiert und sie mit ihrer Idee wahrscheinlich bei vielen Menschen auf Ekel und Abneigung stoßen wird. Doch genau das sei ein Indikator dafür, dass ein Thema viel Potenzial habe, erklärt sie. 

larvaemealNoch gibt es die Farm nur als Prototypen und nicht zu kaufen, aber Katharina kocht regelmäßig mit ihren selbst gezüchteten Larven: „Sie eigenen sich sehr gut als Speckersatz in Risotto oder einer Quiche. Ich esse sie aber auch im Müsli.“ Dass bald jeder von uns in seiner Küche Insekten züchtet, hält Katharina trotzdem noch für ein bisschen utopisch, aber ihre Vision habe dem Thema zumindest einen Stoß gegeben.

Auch Dr. Birgit Rumpold betont zwar die klaren Vorteile von Insekten, bleibt aber skeptisch, was ihre Zukunft auf Deutschlands Speisekarten angeht: „Rein kalorisch und qualitativ können Insekten Fleisch ersetzen, aber ob der Deutsche auf sein Steak verzichtet und dafür die Grille isst, das weiß ich nicht.“

Sehr viel sicherer ist sich Daniel Meier: „Wenn man die Vor- und Nachteile von Insekten rational betrachtet, dann kann es eigentlich nur eine Antwort geben: Ja, esst Insekten!“

Fotos: William Neuheisel (Flickr)/ Mona Ameziane/ Alpha (Flickr)/ Mona Ameziane / Taryn (Flickr)/ Katharina Unger/ Livin Studio

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