„Dreigroschenoper“-Premiere in Dortmund

„Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.“ So sagte das einst Bertolt Brecht in seiner „Dreigroschenoper“. Die eingängigen Lieder, wie die Moritat von „Mackie Messer“ alias „Mack the Knife“ und der Satz „Erst das Fressen, dann die Moral“ sind noch immer unvergessen.  Jetzt feierte die Dortmunder Inszenierung des Klassikers im Schauspielhaus Premiere.

MacHeath alias Mackie Messer. Foto: Birgit Hupfeld

MacHeath alias Mackie Messer. Foto: Birgit Hupfeld

Das Orchester setzt ein, der Vorhang geht auf und zu sehen ist: Nichts. Dunkelheit. Und doch scheint es, als würde sich etwas bewegen. Tatsächlich. Aus dem Dunkel kriecht ein Mann. Nahezu unheimlich kommt er mit langsamen Bewegungen auf das Publikum zu. Schließlich richtet er sich auf und beginnt zu singen: „Ja der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht…“ Spätestens jetzt ist jedem im Saal klar, wer da auf die Bühne kroch. Es ist Mackie Messer.

Die Dortmunder Inszenierung von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ feierte am Freitagabend im Schauspielhaus Premiere. Die Zuschauerreihen waren voll besetzt, als das Dortmunder Ensemble die Geschichte vom Verbrecher MacHeath alias Mackie Messer aufleben ließ. Es ist die Geschichte vom charmanten Gangster mit Stil, der bei allem Morden und Rauben nicht von den Frauen lassen kann. Gekleidet in einen feinen Anzug mit passenden Handschuhen und ausgestattet mit süßen Worten, heiratet er hier die eine und beteuert dort der anderen seine Treue und Liebe.

Und immer wieder die Frauen

Kein Wunder also, dass seine neuen Schwiegereltern, das Ehepaar Peachum, alles daran setzen den Mann ihrer Tochter, Polly, hängen zu lassen. Polly steht zu ihm und hilft ihm bei der Flucht. Mit erschreckend starker Hand führt sie in der Abwesenheit ihres Mannes das „Geschäft“, bestehend aus Betrug und Diebstahl, weiter. Und alles nur, damit Mackie sich ins nächste Hurenhaus zurückziehen kann. Doch er wird verraten und nicht nur einmal steht er am Galgen. Was ihn immer wieder rettet, sind die Frauen, die trotz allen Betrugs nicht von ihm lassen wollen und sein bester Freund, der oberste Polizeichef Brown.

So viel Unrecht, Lug und Trug wird dann mit einer Freilassung in letzter Minute belohnt. Brown bringt die rettende Botschaft der Königin, ausgestattet mit kleinen Flügeln am Rücken. Mackie Messer – um dem ganzen Treiben sprichwörtlich die Krone aufzusetzen – wird in den Adelsstand erhoben. Doch es wäre nicht ein Ende ganz im Sinne Brechts, wenn dem Publikum jetzt nicht noch ein Wink mit dem Zaunpfahl verpasst würde. Einmütig und vom glorreichen Schneefall begleitet singen die Darsteller: „Die reitenden Boten des Königs kommen sehr selten und die getreten werden, treten wieder.“

Das Bühnenbild (Foto: Birgit Hupfeld)

Das Bühnenbild. Foto: Birgit Hupfeld

Gute Unterhaltung

Der Wink kam an, das Publikum applaudierte. Doch hier saß kein geläutertes Publikum – allenfalls ein recht gut unterhaltenes. Niemand wurde wachgerüttelt und zu neuen Denkansätzen inspiriert. Es war eine schöne Aufführung: Das Bühnenbild war innovativ, praktisch und effektiv zugleich. Die Spielfläche war schräg und sah mit den zwei weißen Streifen aus, wie eine runde Carrera-Bahn. Bei einem Szenewechsel drehte sich die Bühnenkonstruktion und ein Hurenhaus kam zum Vorschein. Das Orchester ließ schon bei den ersten Tönen die Füße im Saal mitwippen. Die Beleuchtung wirkte minimalistisch und doch effektvoll. Die Dialoge waren schnell und sehr gut abgestimmt, was für die nötige Dynamik sorgte. Die Schauspieler, obwohl keine perfekten Sänger, transportierten doch den Charakter ihrer Figur.

Es gab sogar musikalische Höhepunkte: Polly Peachums „Song von Nein und Ja“, gesungen von Bettina Lieder, war einer davon. So unschuldig sah sie aus, fast wie ein kleines Mädchen. Doch sie spielte kess und forsch zugleich, ihre Stimme mal klar, mal rau. Ebenso Melanie Lüninghöner, in der Rolle der Spelunken-Jenny. Mit ihrer rauchigen Stimme verlieh sie ihrem melancholischen Lied die nötige Tiefe und stumpfe Traurigkeit.

Unterm Potenzial – Brecht kaum gerecht

Doch so gelungen manche Szenen auch waren, im Ganzen blieb die Inszenierung weit hinter ihrem Potenzial zurück. Es mangelte an Verfremdungseffekten, die Schauspieler traten nicht genug aus ihrer Rolle heraus und wurden so dem epischen Theater Brechts kaum gerecht. Verfremdung erzeugten sie fast ausschließlich durch die gebrauchten Requisiten. So hing Meckie Messer statt an einem Galgen, an einem Bungee-Seil, das an einem Gurt, wie beim Fallschirmspringen, an seinem Körper befestig war. Seine Ehefrauen konnten ihn so nach Belieben zwischen sich hin- und herziehen. Doch das Schauspiel selbst, zerstörte keine Illusionen und schaffte nicht die nötige Distanz, mit der ein Stück Brechts betrachtet werden muss.

Streit um Mackie (Foto: Birgit Hupfeld)

Streit um Mackie. Foto: Birgit Hupfeld

Thematisch hatte sich die Dortmunder Inszenierung auf die Beziehungen zwischen den Figuren eingeschossen. Mackies Eskapaden wurden ausführlich beleuchtet. Die nahezu absurde Treue, mit der die betrogenen Frauen um die Gunst Mackies warben, war bezeichnend. Erst recht die Begegnung der beiden Ehefrauen, bei der sie sich falsch-lächelnd gegenseitig fieseste Beleidigungen an den Kopf warfen. So berechtigt dieser Schwerpunkt auf das Zwischenmenschliche auch ist, so mangelhaft ist er.

Weniger sexuelle Hörigkeit

Ein bisschen weniger „sexuelle Hörigkeit“ und ein bisschen mehr Kapitalismus-Kritik hätten dieser Inszenierung gut getan. Denn ein weiterer Aspekt des Stückes schimmerte erst gegen Ende durch. Es sind die Sätze Mackies, kurz vor der vermeintlichen Hinrichtung, die ein ebenso großes Potenzial in sich tragen: „Was ist der Dietrich gegen eine Aktie?“, sagt er zu seiner Verteidigung. Gerade in Zeiten der Bankenkrisen, hätte es diese Seite der „Dreigroschenoper“ sein können, die für den nötigen Brecht’schen Zündstoff gesorgt hätte. Doch so war es das Stück selbst und nicht die Inszenierung, die den Besuch im Theater rechtfertigte.

Das Publikum wird wieder hinaus in den Alltag geschickt mit nichts als einem kaum beschreibbaren Gefühl. Das Gefühl, das ihnen heute gezeigt wurde, dass einem anderen Publikum vor über 80 Jahren auf diese Weise klar gemacht wurde, wie schlecht der Mensch ist. Man sieht diese Abgründe auf der Bühne und wenn der Vorhang fällt, dann fühlt man sich gut unterhalten. Man weiß, man hat soeben einen Klassiker der deutschen Theatergeschichte gesehen und kann zufrieden nach Hause gehen. Es kann wahrlich niemand etwas gegen gute Unterhaltung sagen. Einzig und allein, dass gute Unterhaltung als einziges Fazit aus der „Dreigroschenoper“, nur eines bedeuten kann: Dass viel aus dem Potential des Stückes geschöpft wurde und noch mehr ungenutzt verkümmern musste.

2 Comments

  • Albert Ast sagt:

    Liebe Frau Bröcker,
    wir finden Ihre Kritik sehr zutreffend. Aus dem Stück hätte in der heutigen wirtschaftlichen Situation mehr gemacht werden können. Hier kam das Anliegen von Brecht nicht zu seinem Recht. Für uns war außerdem die Lautstärke unerträglich. Daher sind wir nach der Pause gegangen. Schausieler mit Mikrofon wären nicht nötig gewesen.
    Albert Ast

  • Eva Heilemann sagt:

    Liebe Frau Bröcker, wir kommen gerade etwas enttäuscht aus der „Dreigroschenoper“ in Dortmund, & ich wollte mal schau’n, wie andere die Inszenierung empfanden, da finde ich Ihre Kritik –> sehr treffend & gut formuliert!! Schade, daß nicht mehr draus gemacht wurde … Eva Heilemann

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