Wächter der Lüfte: Aus dem Leben eines Fluglotsen

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Viele denken, sie sind die mit der Kelle auf dem Flugplatz: Fluglotsen. Dabei ist ihr Job ein ganz anderer. Sie koordinieren Flugzeuge, deren Routen und Flughöhe. Das alles machen sie nicht auf dem Flugplatz, sondern vor einem Bildschirm und per Funk. Gunnar Starke ist Fluglotse in Bremen und erzählt, wie sie dort arbeiten.

Bei der Arbeit heißt er Golf Whiskey. Nicht weil er so gerne Whiskey trinkt oder Golf spielt, sondern weil sein Kürzel GW im Alphabet der International Civil Aviation Organization (ICAO) so ausgesprochen wird. Gunnar Starke ist Fluglotse im Center der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Bremen. Sein Kürzel GS war aber schon vergeben, deshalb ist er jetzt also Golf Whiskey. „Nein, wir Fluglotsen sind nicht die, die mit den Kellen auf dem Flugplatz stehen. Wir sitzen hier drinnen vor Bildschirmen und schauen uns die Flugzeuge sozusagen von oben an“, stellt er als erstes klar.

„Hier drinnen“ ist ein modernes Gebäude direkt neben dem Flughafen Bremen. Auf der einen Seite das Rollfeld, auf der anderen die Terminals. Insgesamt gibt es in Deutschland vier dieser Center und eins in Maastricht, das auch noch zum deutschen Luftraum gehört. Im Treppenhaus hängt abstrakte Kunst und im Foyer steht ein Berliner Bär. Den hätten die Berliner Kollegen mal mitgebracht als deren Center aufgelöst wurde, erklärt Starke. Vorbei an Büros der Verwaltung, durch eine Tür, durch die nur die kommen, deren Karte freigeschaltet ist, geht es hinein in den Saal, in dem der Flugverkehr Norddeutschlands kontrolliert wird. Hier sitzt jeder vor einem Bildschirm, mit Kopfhörern auf den Ohren oder einem Telefon in der Hand. Es könnte auf den ersten Blick auch ein Callcenter sein, wenn nicht die ganzen Dreiecke und Quadrate auf den Bildschirmen und die Gespräche so kryptisch wären.

Wie in einer anderen Welt

Hier drinnen ist die Welt ganz anders als draußen: Kommuniziert wird nur auf Englisch, mit standardisierten Kommandos. Alles wird in Meilen und Fuß gemessen, nicht in Metern und Zentimetern. Es ist zwei Stunden früher, denn es gilt die UTC, die koordinierte Weltzeit. Die ist international einheitlich, sodass die Zeit für alle Piloten und Fluglotsen gleich ist, egal woher sie kommen und wohin sie fliegen. Handys müssen ausgeschaltet sein, kein Facebook, Twitter oder Instagram läuft nebenbei. Nicht einmal E-Mails bekommt man hier.

Kaum wieder aus der Tür hinaus, ist alles, was drinnen passiert ist, vorbei. „Wenn ich hier rausgehe kann ich keinen Flieger mit nach Hause nehmen, dann bin ich einfach draußen“, erzählt Starke. Fluglotse ist einer der Jobs, bei dem man nichts von zuhause aus machen kann, nicht einmal groß über das nachdenkt, was den Tag über passiert ist, weil es so kurzweilig ist: Wenn ein Flugzeug gelandet ist, dann ist es gelandet, dann ist der Flug einfach vorbei.

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Gunnar Starke im Dienst: mehrere Bildschirme beobachten und gleichzeitig mit den Piloten sprechen. Fotos: Tobias Neumann

Gunnar Starke hat heute Spätschicht und beginnt um 14 Uhr. Zuerst schaut er auf die Diensteinteilung: 90 Minuten lang kontrolliert er den Sektor Deister/Ems, dann hat er eine halbe Stunde Pause, bevor es eine Stunde lang mit den An- und Abflügen des Flughafens Hannover weitergeht. Die verschiedenen Dienste sind nur deshalb so kurz und mit vielen Pausen zwischendrin, weil die Arbeit höchste Konzentration, blitzschnelle Reaktionen und Multi-Tasking erfordert – Fähigkeiten, die über einen längeren Zeitraum immer weiter nachlassen. Auf diese Fähigkeiten werden die Bewerber im Auswahlverfahren gezielt getestet. „Offensichtlich kann ich das: gleichzeitig telefonieren, den Bildschirm beobachten und während ich spreche schon an die nächste Maschine denken. Sonst hätten sie mich ja nicht genommen. Aber das konnte ich ja vorher nicht wissen.“

Das Auswahlverfahren
Teamarbeit, Gesundheit und Kopfrechnen

Das Bewerbungsverfahren bei der DFS gilt als eines der schwierigsten: Nur eine einstellige Prozentzahl von Bewerbern wird tatsächlich ausgebildet. Da die DFS allerdings der einzige Arbeitgeber für Centerlotsen in Deutschland ist, werden die fertig ausgebildeten Lotsen auch garantiert übernommen. Aktuell herrscht allerdings Bewerbungs- und Ausbildungsstopp bis 2017. Zur Bewerbung braucht man sonst erst einmal nur das Abitur, darf nicht älter als 24 Jahre alt sein. Dann werden die Bewerber zur Voruntersuchung eingeladen, bei der sie auch einen Englischtest ablegen. Denn obwohl später im Beruf alle Anweisungen standardisiert sind, muss der Lotse sich im Notfall auch in „normaler“ Sprache mit dem Piloten verständigen können. Kopfrechnen unter Druck, Dauerbelastungstests, visuelle und auditive Merkfähigkeit werden auch noch getestet.

Eine Simulation mit vereinfachten Lotsenaufgaben ist ein weiterer Teil des Bewerbungsverfahrens. Wer diese Runde bestanden hat, wird zur zweiten Runde, der Hauptuntersuchung eingeladen. Dort wird Teamarbeit getestet und ein individuelles Bewerbungsgespräch geführt. Anschließend gibt es noch einen medizinischen Test. Die Anforderungen an die körperliche und geistige Gesundheit sind hoch. Die Sehkraft muss 100 Prozent betragen – dabei sind aber Korrekturen von Dioptrin zwischen -6 und +5 in Ordnung. Das Hörvermögen muss ebenfalls einwandfrei sein und chronische Erkrankungen wie Diabetes können ein Ausschlusskriterium sein. Auch Fluglotsen, die im Laufe ihrer Karriere einen Herzinfarkt bekommen, dürfen nicht mehr als Lotse arbeiten und werden dann beispielsweise als Ausbilder in der Akademie eingesetzt.

Starke hat sich 2009 beworben. Vorher studierte er ein Jahr lang Wirtschaftsmathematik, bemerkte dann aber, dass ein Studium nichts für ihn ist und er lieber etwas Praktisches machen wolle. Er bewarb sich bei der Polizei, dem Zoll und der DFS. Als er die Zusage der DFS bekam, war das etwas so Besonderes, weil die Wahrscheinlichkeit dafür so gering ist, dass er den Ausbildungsplatz sofort annahm.

Ein Pilot mit einem Problem ist Priorität

Er sieht zwar entspannt aus, ist aber hochkonzentriert bei der Arbeit. Foto: privat

Er sieht zwar entspannt aus, ist aber hochkonzentriert bei der Arbeit.

Jetzt besteht seine Aufgabe als Fluglotse darin, Flugzeuge so fliegen zu lassen, dass sie nicht mit anderen Flugzeugen zusammenprallen und gleichzeitig planmäßig an ihrem Flughafen ankommen. Dazu stehen die Fluglotsen in ständigem Kontakt mit den Piloten, jeder Lotse kontrolliert nur einen relativ kleinen Bereich des Flugraumes, damit er auch die Möglichkeit hat, mit jedem der Piloten Funkkontakt zu halten. Sie arbeiten auch immer in Zweier-Teams, wobei einer mit den benachbarten Sektoren spricht und die Übergänge von angrenzenden Sektoren in den eigenen vorbereitet. Der andere steht in ständigem Kontakt mit den Piloten und weist sie an, wie hoch oder in welche Richtung er fliegen soll. Dabei gilt das Motto safe, orderly, expeditious: An erster Stelle steht immer die Sicherheit, dann erst, dass alles nach Plan und so zügig wie möglich verläuft. Das bekommen die Fluglosten von ihrem Ausbildungsbeginn an eingetrichtert und auch Starke sagt: „Ein Pilot, der ein Problem hat, egal welches, ist immer Priorität Nummer eins.“ Ob Triebwerke ausfallen, Passagiere einen Herzinfarkt bekommen oder das Wetter dem Piloten die Sicht nimmt: In solchen Momenten tut Starke alles dafür, um dem Piloten zu helfen und ihn wenn nötig auf dem nächsten Flughafen landen zu lassen.

Die Arbeit bringt also sehr viel Verantwortung mit sich. Ein kleiner Moment Unaufmerksamkeit kann zu gefährlichen Situationen führen, denn ein Flugzeug, das mit 900 km/h fliegt, legt in einer Sekunde schon 250 Meter zurück. Starke selbst hat seit seinem Ausbildungsbeginn 2010 noch keine wirklich gefährlichen Situationen erlebt, aber wenn mal etwas passieren sollte, weiß er was auf dem Spiel steht: „Klar bin ich mir meiner Verantwortung bewusst. Die Dreiecke auf meinem Bildschirm sind Maschinen, in denen Menschen sitzen. Aber ich kann nicht bei jedem Flugzeug darüber nachdenken, wie viele Menschen betroffen sind, dann kann ich einfach nicht arbeiten.“

Die Serie
Lokführer, Piloten, Ghostwriter oder Erzieher – es gibt einige Jobs, die wegen Streiks oder Krisen zum Medienthema werden. Die Serie “Aus dem Leben” wirft einen genauen Blick auf diese Arbeit, ihre Problem und die Menschen dahinter.

Teil 1: Aus dem Leben eines Lokführers

Teil 2: Aus dem Leben eines Ghostwriters

Teil 4: Aus dem Leben eines Erziehers

Teaserbild: Tobias Neumann

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