Das Phänomen „Delling & Netzer“

Entweder man liebt sie oder man hasst sie. Kalt lässt das wohl bekannteste Moderatoren-Team im deutschen Sportfernsehen, Gerhard Delling (51) und Günter Netzer (65), jedenfalls keinen Fußballfan.

Vorweg gleich mal ein Fakt, der alle Kritiker des Duos Netzer/Delling aufatmen lassen dürfte: Bei der WM in Südafrika gehen die beiden Zankäpfel definitiv in ihre letzte Runde. Am Samstag, den 10. Juli, nach dem Spiel um Platz 3, ertönt zumindest für Netzer, den Europameister von 1972 und Weltmeister von 1974, der Schlussgong bei der ARD. Nachfolgen wird ihm Mehmet Scholl, der seit der EM 2008 darauf vorbereitet wurde, in diese großen Fußstapfen zu treten.

Die Frisur hat sich bis heute kaum verändert: Günter Netzer zu seiner aktiven Zeit bei Real Madrid. Foto:http://www.flickr.com/photos/sportkroniek/86193296

Die Frisur hat sich bis heute kaum verändert: Günter Netzer zu seiner aktiven Zeit bei Real Madrid

Mit dieser Entscheidung können indes viele leben. Denn irgendwie wirkt der Gladbacher mit der Löwenmähne bei seinen Auftritten nicht mehr so aufgeweckt und schlagfertig, wie man das aus früheren Zeiten gewohnt war. Die Streitlust ist ihm freilich nicht abhanden gekommen, doch dazu später mehr. Nachwuchsmann Scholl macht seine Expertensache an der Seite von Reinhold Beckmann dagegen außerordentlich gut. Er profitiert von der Medienaffinität, die ihn schon zu seiner aktiven Zeit auszeichnete, und weiß es inzwischen, Spiele zwar mit Witz, aber immer auch mit der nötigen Seriosität und Solidität, die bei einem öffentlich-rechtlichen Sender angemahnt ist, zu analysieren.

Zwölf Jahre lang „Sie“

Doch damit erst einmal genug der Zukunftsmusik, wagen wir einen wehmütigen Blick zurück: Seit zwölf Jahren treten Netzer und Delling nun schon gemeinsam im Ersten auf, ordnen in der Halbzeitpause und nach dem Schlusspfiff die entscheidenden Spielszenen ein – und geraten sich dabei in regelmäßigen Abständen in die Haare. Dass die Feindseligkeiten zwischen den beiden nicht immer ernst gemeint sind, ist allseits bekannt. Netzer war nicht zuletzt Trauzeuge bei Dellings zweiter Hochzeit. Doch die private Vertrautheit hält das Duo bis heute beispielsweise nicht davon ab, sich vor der Kamera fortwährend zu siezen.

Eine Skurrilität: Kollegen wie Waldemar Hartmann haben dazu beigetragen, dass die Sportberichterstattung gern mit „Duz-Journalismus“ gleichgesetzt wird. Netzer und Delling sind der Kontrast. Sie bleiben beim „Sie“, trotz über zehnjähriger Zusammenarbeit. Und so stehen die beiden manchmal an ihrem Pult, wie Vater und Sohn, oder Schüler und Lehrer, und haben sich entweder nichts, oder aber sehr viel – bevorzugt allerlei Boshaftigkeiten – zu sagen.

Alte Waschweiber oder harte Analytiker?

Wenn der ehemalige Diskobesitzer Netzer dann seinen Gesprächspartner galant auf dessen Unfähigkeit, sei es im Umgang mit der Technik oder schlicht in Sachen Spielverständnis hinweist, ist das meist großes Kino. Darauf warten die Zuschauer. Eine punktgenaue Spielanalyse können sie auch am nächsten Tag in einer einschlägigen Fachzeitung lesen.

Günter Netzer und Gerhard Delling sind zu einer Institution im deutschen Sportjournalismus geworden, an der sich die Geister freilich scheiden können. Die einen fühlen sich beim Verfolgen ihrer Unterredungen bisweilen an das bissige Geschwätz alter Waschweiber erinnert. Andere denken an Ingrid und Klaus, ein Rentnerehepaar, das regelmäßig bei TV Total zu sehen ist und sich auch mal vor laufender Kamera Schläge androht. Schon allein aufgrund der Ähnlichkeit der Frisuren ist klar, welche Rolle Netzer zukommen dürfte.

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Delling und Netzer als Auslöser der Völler-Wutrede

Doch gerade die frotzelnde Art der beiden war beispielsweise 2003 der Auslöser für einen Meilenstein der Fernsehgeschichte. Als sich Meister Netzer und Lehrling Delling Anfang September, genauer gesagt nach dem EM-Qualifikationsspiel der deutschen Elf gegen Island am 6. September, ausnahmsweise einmal einig waren – und zwar über die lausige Leistung der Nationalmannschaft– gackerten sie sich so in Rage, dass sich der damalige Coach Rudi Völler zu seiner berüchtigten Wutrede hinreißen ließ. Er bezichtigte seinen direkten Gegenüber Waldemar Hartmann – er war gerade noch dazu gekommen, den Rudi zu duzen – des Alkoholismus, schlug Delling vor, doch lieber „Wetten Dass…“ zu moderieren und bezeichnete Netzer als Standfußballer. Nach kurzem Erstaunen zog sich das Duo allerdings gewohnt redegewandt aus der Affäre.

Die folgende Erkenntnis darf nämlich bei aller Betonung des streitbaren Moderationsstils der beiden nicht unter den Tisch fallen: Netzer und Delling bedienen sich wohl der geschliffensten Sprache aller deutscher Sportmoderatoren. Der ehemalige Spielmacher von Borussia Mönchengladbach würde eher einen Befreiungsschlag ins Seitenaus schlagen, als auf sein typisches hoch gestochenes „In der Tat“ zu verzichten.

Bei der ARD-Berichterstattung von großen Fußballturnieren lange nicht wegzudenken: Gerhard Delling (l.) und Günter Netzer

Bei der WM-Berichterstattung für die ARD immer am Ball: Gerhard Delling (l.) und Günter Netzer

Die Rhetoriker des Sportfernsehens

Delling, der dem Rat Rudi Völlers glücklicherweise nie gefolgt ist und bei der ARD verweilte, lässt sich von den Hymnen, zu denen sich der Alte – früher häufiger, heute immer punktueller – aufzuschwingen vermag, nicht überraschen, sondern fängt sie stets mit aller Gewandtheit ab und setzt bisweilen sogar eine eigene Pointe hinzu. Im Mai 2008 erhielt das Duett aufgrund ihres „hohen sprachlichen Niveaus“ den Medienpreis für Sprachkultur. Schon im Jahr 2000 wurden Netzer und Delling vom Komitee des Grimme-Preises geehrt.

Die WM in Südafrika setzt nun also den Schlusspunkt unter die öffentliche Beziehung der beiden. Ohne übertreiben zu wollen, kann man wohl sagen, dass es eine geschichtsträchtige war. Wie unzertrennlich die Namen Günter Netzer und Gerhard Delling inzwischen sind, zeigt die Tatsache, dass der zweite Treffer, googelt man den Begriff „Delling“, der wikipedia-Eintrag von Günter Netzer ist. Stefan Raab war sogar schon einmal auf der Suche nach einem Spitznamen für das ARD-Duo – da dachte er noch lange nicht daran, später einmal selbst im Programm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt zu erscheinen. Gefunden hat er damals allerdings keinen bleibenden. Die zwei sind eben einfach unbeschreiblich.

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