Diagnose Demenz – Wenn die Puzzleteile fehlen

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Manfred Sporea und Marianne Bettenhausen haben Spaß am Programm der Betreuungsgruppe. Foto: Jil Frangenberg, Susanne Hoffmann – Fotomontage

Jetzt weiß ich schon nicht mehr, was Sie gefragt haben!“ Wenn das Vergessen Einzug in den Alltag erhält, geraten die Puzzleteile des Lebens durcheinander oder verschwinden ganz aus dem Gedächtnis. Für Demenzkranke ist die Realität oft verschwommen, für Angehörige ist ihre Pflege eine Herausforderung. Betroffene und ihre Partner erzählen. 

Ein junger Mann auf einem Foto im Familienalbum. Sympathisch sieht er aus, findet Marianne Bettenhausen. Aber ob dieser Mann wirklich ihr Sohn ist – sicher ist sich die 83-Jährige nicht.

Seine Enkel kennt Manfred Sporea noch genau, doch das Alter hat ihn verändert. Sein Humor ist zwar immer noch in Hochform, ein lockerer Spruch liegt ihm in jeder Situation auf den Lippen. Dass es oftmals derselbe ist, merkt er nicht.

Manfred und Marianne verbindet eines: Ihr Gehirn arbeitet nicht mehr so wie früher. Sie leben mit der Diagnose Demenz – jeder auf eine andere Art.

Marianne Bettenhausen: „Es hilft nicht, wenn man traurig ist“

Quelle: Jil Frangenberg

Marianne Bettenhausen ist oft nachdenklich. Foto: Jil Frangenberg

An das Alter ihrer Kinder kann Marianne Bettenhausen sich nur schwer erinnern. Das Geburtsjahr hat sie im Gedächtnis, doch das Rechnen fällt ihr schwer. Edmund Bettenhausen versucht seiner Frau zu helfen. Immer wieder gehen sie zusammen durch, was Mariannes Leben ausmacht. Sie wiederholen einfache Fakten: von den Namen der Enkeltöchter bis hin zur zuletzt gegessenen Mahlzeit.

Marianne runzelt die Stirn, das Erinnern strengt sie an. Immer wieder schweift  ihr Blick ab, sie sieht in die Luft, als könnte sie dort die Puzzleteile finden, die ihrem Gedächtnis fehlen. Manchmal fehlen nur wenige Teile, an anderen Tagen passt gar nichts zusammen.

Auf der Suche nach Antworten entfällt ihr oft die Frage. Dann erzählt sie zum fünften Mal vom Zahnarztbesuch in der vergangenen Woche.

Seit der Diagnose Demenz vor sieben Jahren hat sich der Alltag des Ehepaars komplett verändert. Denn  die Leistung von Mariannes Gehirn lässt stetig nach. Ein Schlaganfall soll die vaskuläre Demenz ausgelöst haben. Der Grund für diese Demenzform sind Durchblutungsstörungen im Gehirn. Etwa 15 Prozent aller Betroffenen leiden an vaskulärer Demenz.  

Fakten zur Demenz

Demenz bezeichnet eine Gruppe von Krankheitsbildern, bei denen die geistigen Leistungen nachlassen und alltägliche Fähigkeiten verloren gehen. In Deutschland sind rund 1,3 Millionen Menschen betroffen. Die Tendenz ist wegen des demographischen Wandels steigend.

Es gibt verschiedene Demenzformen mit unterschiedlichen  Ursachen. Die Bekannteste ist die Alzheimer-Demenz, von der zwei Drittel der Erkrankten betroffen sind. Dabei führen Ablagerungen im Gehirn dazu, dass Nervenzellen absterben.

Die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, steigt mit dem Alter stark an. Frauen sind wegen ihrer höheren Lebenserwartung deshalb häufiger betroffen. 
Ein Heilmittel für Demenz gibt es nicht. Der Zustand der Betroffenen verschlechtert sich im Laufe der Krankheit. 

Anders als bei den meisten Erkrankten ist Marianne ihr Zustand trotz des fortgeschrittenen Stadiums bewusst. Sie schätzt die Hilfe ihres Mannes, diese anzunehmen fällt ihr dennoch schwer. Früher traf sie die meisten Entscheidungen. „Jetzt haben wir die Rollen getauscht“, sagt ihr Mann.  Er hat den Haushalt übernommen und pflegt seine Frau jeden Tag: ein 24-Stunden Job. Mit 87 Jahren stößt er dabei selbst an seine eigenen Grenzen.

Marianne Bettenhausen erklärt, warum es nicht hilft, traurig zu sein: 

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Manfred Sporea: „Krank war ich noch nie richtig“ 

„Die Kinder von heute sind ganz schön auf Zack“, meint Manfred Sporea. „Opa, das stimmt doch gar nicht, was du da erzählst“, sagen seine Enkel. Sie signalisieren ihm die Anzeichen seiner

Quelle: Susanne Hoffmann

Manfred Sporea wirkt auf den ersten Blick kerngesund. Foto: Susanne Hoffmann

Krankheit, die er selbst nicht sehen will oder kann. Für ihn ist die Generation seiner Enkel einfach etwas frech. Von einer Diagnose will er nichts wissen. Wenn man alt werde, sei man eben nicht mehr so fit im Kopf wie früher.

Manfred versteht es, sein Vergessen zu überspielen. Er ist ein Lebemann, ein Witzbold und ein Charmeur. Körperlich fit und mit wacher Miene gelingt es ihm perfekten Smalltalk zu führen, an seine Grenzen stößt er aber schnell. In solchen Fällen beantwortet er Fragen gern mit Gegenfragen. So braucht er sein Alter oder die Dauer seiner Ehe nicht mehr zu kennen. „Was schätzen Sie denn?“, fragt er dann verschmitzt.

Hinter dieser Fassade verbirgt sich ein Mann, der seit fünf Jahren an Alzheimer-Demenz erkrankt ist. „An manchen Tagen ist er ganz durcheinander. Aber er ist nicht bösartig, sondern lieb“, erzählt seine Ehefrau Anneliese Sporea. Trotzdem muss sie Manfred ständig betreuen, um Unfälle im Haushalt zu vermeiden. Dass ihr Mann sie braucht, ist ihr bewusst. Seitdem sie wegen einer neuen Hüfte mehrere Wochen in Kur war, hat er Verlustängste. „Du holst mich doch wieder ab?“, fragt er, wenn sie ihn zur Betreuungsgruppe bringt. Manfred weiß sehr wohl, dass etwas mit ihm nicht stimmt, aber für ihn ist Verdrängung der einzige Ausweg.

Anneliese Sporen erzählt, wie Manfreds Krankheit sie verändert hat: 

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Der etwas andere Seniorentreff

Manfred Sporea und Marianne Bettenhausen kennen sich. Beide besuchen eine Betreuungsgruppe für Demenzerkrankte der Caritas in der Datteln. Auf den ersten Blick, wirkt die Gruppe wie ein gewöhnlicher Seniorentreff. Gemeinsames Singen, Spielen und Essen stehen auf der Tagesordnung. Beim zweiten Hinsehen bemerkt man, dass Vielen die Orientierung fehlt. Sie stellen immer wieder die gleichen Fragen. Die Kommunikation läuft hier ganz anders. „Welche Schuhgröße haben Sie, Frau Bettenhausen?“, fragt eine ehrenamtliche Helferin der Caritas. „Ich glaube ich habe so vier Paar Schuhe“, antwortet Marianne.

Quelle: Christian Klein

Mit Tüchern in der Hand bewegen sich die Gruppenmitglieder zur Musik. Foto: Christian Klein

„Egal was gesagt oder gefragt wird, alles ist richtig, was die Demenzerkrankten sagen“, das ist die Philosophie von Ingrid Töpper. Die Beraterin der Caritas sitzt im Kreis der Gruppe und schaut sich um. Sie kennt hier jedes Einzelschicksal und jeden Angehörigen hinter den Betroffenen. „Ein Demenzkranker ist nicht dumm, aber vergesslich“, betont Ingrid Töpper. Gerade deshalb sei es wichtig, dass Angehörige die Erkrankten an die Hand nehmen.

Wer einen Demenzkranken pflegt, ist sich dieser Rolle bewusst. Umso wichtiger sind Momente der Entlastung, in denen die Angehörigen erledigen, was sie während der Pflege nicht schaffen. Manchmal brauchen sie auch einfach Zeit für sich. Die Betreuungsgruppe hilft aber nicht nur den Angehörigen. Für die Erkrankten bietet sie Raum für Zuwendung und Wertschätzung. Viele Betroffene ziehen sich nämlich aus ihrem sozialen Leben zurück. Die Scham lässt sie vorsichtiger werden, sie fürchten überfordert zu sein. In der Gruppe aber erleben sie, dass sie trotz ihrer Krankheit akzeptiert werden.

Ingrid Töpper erklärt, wie unterschiedlich Angehörige und Betroffene mit der Diagnose umgehen: 

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„Das wird kein Zuckerlecken“

Anneliese Sporea ist eine starke Frau, die ihr Lächeln trotz der Krankheit ihres Mannes behalten hat. Die Demenz hat ihren Mann verändert und damit Einfluss auf das ganze Leben des Ehepaars genommen. Obwohl es immer schwieriger wird, hat sie sich an die neue Situation gewöhnt. Auch wenn die Familie hinter ihr steht, weiß sie nicht, wie lange sie Manfred noch zuhause pflegen kann. „Ich werde damit schon fertig“, sagt sie heute.

Edmund Bettenhausen sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen im Wohnzimmersessel. Diesen starken Mann kann man gar nicht in Verbindung bringen mit dem harten Alltag, den er beschreibt. Und obwohl er weiß, dass die geistigen Qualitäten seiner Frau abnehmen, hat er keine Ängste vor der Zukunft: „Ich habe mich darauf eingestellt, dass das kein Zuckerlecken wird.“ Mit seinen 87 Jahren hofft Edmund Bettenhausen nur Eines: Dass es ihn nicht umhaut.

Von Jil Frangenberg und Susanne Hoffmann

Teaserbild: Kevin Dooley / flickr.com

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