Clever kyrillisch lesen

Ein Beitrag von Lara Enste

Eine Sprache völlig neu zu lernen, ist das eine. Eine Schrift noch dazu – und alles dann während des Bachelors völlig flüssig beherrschen – das andere. An der RUB müssen die Studenten der Slavistik aber genau das: Russisch sprechen, kyrillische Schrift lesen, alles in sechs Semestern. Ein hilfreiches Werkzeug fürs Lernen ist ein neues eLearning-Programm: „Russisch HQ“ zum Lesetraining. Das ist so gut, dass sogar die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Moskau Hausaufgaben darin bekommen.

HQ steht dabei für „High Quality“ – und die verspricht Dr. Klaus Waschik, Projektleiter in Bochum: „Jedem, der sich pro Tag eine Stunde hinsetzt, garantiere ich: Er wird in anderthalb Jahren perfekt Russisch lesen und verstehen können.“ Tatsächlich ist das Programm thematisch und von den Einheiten her auf drei Semester abgestimmt. 450 Texte in 15 Einheiten stehen zum Üben bereit – von russischer Geschichte über Wirtschaft, Kultur oder Film bis hin zu Architektur oder Philosphie. Darunter viele Originaltexte, die sich jeder Student nach dem Schwierigkeitsgrad aussuchen kann.

Klaus Waschik hat zwar russische Wörterbücher - empfiehlt seinen Studenten aber "Russisch HQ" um den Wortschatz zu vergrößern. Foto: Lara Enste

Klaus Waschik hat zwar russische Wörterbücher - empfiehlt seinen Studenten aber "Russisch HQ" um den Wortschatz zu vergrößern. Foto: Lara Enste

Das Programm liegt fest auf einem Server und die Studenten müssen nichts herunterladen, es wird einfach im Browser gestartet. Dann geht’s los: Über das Menü sucht man sich einen Text. Gibt’s eine schwierige Vokabel, kommt man mit einem Klick zum Wörterbuch. Und wer lieber sein Hörverstehen testet oder sich auf dem Sofa zurücklehnen will, bekommt Puschkin und Co. sogar vorgelesen. „Das ist eine wichtige Funktion, weil die Betonung im Russischen manchmal sehr entscheidend für das Verständnis ist“, erklärt Waschik, der auch am Lotman-Insitut für Russische Kultur an der Ruhr-Uni in Bochum lehrt.

Nicht vor schwierigen Wörtern weglaufen

„Lesen HQ“, das interaktive Basisprogramm, entwickelten Slavisten und Programmierer seit 2009 in Russland, Frankreich, Österreich und in Bochum. Bisher gibt es „Russisch HQ“ und „Deutsch HQ“ – den Zwilling für Russen, die Deutsch lernen möchten. Im Programm gibt es viele Originaltexte aus Literatur oder Medien. „Lehrbuchtexe sind oft grottenlangweilig und machen wenig Spaß“, sagt Klaus Waschik. So lernt man gleichzeitig auch viel über Kultur und Politik des Landes – Original-Texte zu lesen hieße, „nicht im Trockendock“ zu arbeiten. Neben der Lesekompetenz gibt es also mit jeder Lektion auch eine Portion Wissen über das Land.

Russisch HQ ist direkt mit dem Browser zu öffnen. So können Studenten überall lesen und lernen. Foto: Lara Enste

Russisch HQ ist direkt mit dem Browser zu öffnen. So können Studenten überall lesen und lernen. Foto: Lara Enste

Lesen sei das mit das Wichtigste beim Sprachlernen, sagt Waschik, denn: „Beim Sprechen kann ich vor schwierigen Wörtern weglaufen. Ich sage nur das, was ich ausdrücken kann. Beim Lesen werde ich konfrontiert mit allem, was ich nicht kann.“ Genauso aber funktioniere Sprachenlernen. Entscheidend ist dabei das individuelle Lernen. Deshalb hat „RussischHQ“ auch eine Wörterbuch-Funktion, die sich den Lernstand des Nutzers merkt. Heißt: Alle Wörter, die ich in einem Text anklicke, werden automatisch in meine Lernliste aufgenommen. Dann kann ich mir zum Beispiel auch meinen individuell bearbeiteten Text mit Vokabelliste ausdrucken, um ihn mit in die Bahn zu nehmen.

Texte, Übungen, Vokabellisten – vom Anfänger bis zum Dostojewski-Leser

Das Menü des Programms ist schlicht und mehr übersichtlich als schön, zeigt aber ganz klar den Lernstand an: Pro Einheit gibt es Schlüssel-, Basis- und zusätzliche Texte. Danach folgen Übungen. Eine kleine Ampel an den Aufgaben zeigt den Status an: Was ist bearbeitet, was vom Tutor korrigiert, was abgeschlossen? Mit den Übungen zum Leseverständnis wird das Wissen aus dem Text überprüft, mal durch Multiple Choice, mal durch die „klassischen Hausaufgaben“ wie Texzusammenfassungen. Immer dabei: ein grünes Fenster, darin der schemenhafte eTutor. Dahinter steckt aber wirklich ein Tutor, der über eine Art Chat-Funktion erreichbar ist. Direkt im bearbeiteten Text kann man an markierten Stellen eine Frage posten, die dann den Tutoren erreicht.

Momentan hat Russisch HQ noch drei Schwierigkeitsstufen, die den Sprachniveaus B1, B2 und C1 entsprechen. Einfachere Texte sollen noch hinzukommen. „Uns ging es erstmal darum, Leuten zu helfen, die sich nach den Grundlagen fragen: „Wie komme ich jetzt von hier dahin, Dostojewski im Original zu lesen?'“, erklärt Waschik.

Die Benutzeroberfläche ist schlicht gehalten. Funktionen - hier das Vorlesen lassen - waren den Entwicklern wichtiger.

Die Benutzeroberfläche ist schlicht gehalten. Funktionen - hier das Vorlesen lassen - waren den Entwicklern wichtiger.

Seminare im virtuellen (Russisch-)Klassenzimmer

Nutzen kann diese Funktionen und das Programm jeder der 270 Slavistik-Student an der Ruhr-Uni, aber auch an verschiedenen anderen Unis. Lerngruppen gibt es zum Beispiel in Innsbruck, Berlin, Leipzig und Moskau. Dabei ist meist Vorraussetzung, dass auch ein Sprachkurs belegt wird: Zum völligen Eigenstudium braucht es enorm viel Selbstdisziplin. Prinzipiell ist das aber möglich. Im Moment wird das so genannte „Blended Learning“ am häufigsten benutzt: Ein Mix aus einem Kurs mit Anwesenheitspflicht und Online-Einheiten. Dann gibt es reguläre Hausaufgaben im Programm, die sich jeder flexibel einteilen kann. Aber auch mal wirkliches gemeinsames Arbeiten im virtuellen Klassenraum. Der Tutor ist dann als Ansprechpartner online.

Seit 1988 arbeitet Waschik schon an computerbasierten Lernprogrammen, er hat quasi schon daran getüftelt, als es noch kaum PCs gab. Ihm war immer wichtig, welche Chancen solche individuellen Programme bieten. Denn: Mit einem Lese-Programm sei das ausgelagert, was am Sprachenlernen überhaupt nur ausgelagert werden kann, sagt Waschik: „So kann die ganze Kurszeit wirklich für Sprechen und Hören benutzt werden. In der Gruppe zu lesen ist Blödsinn und hat beinahe null Lerneffekt.“

Botschaftsmitarbeiter brauchen auch Ausdauer beim Lesenüben

Wer Russisch im Alltag spricht, aber für Fachaufsäze oder komplexere Texte mehr Übung braucht, der kann das Programm auch benutzen. Über Vorträge in der deutschen Botschaft in Moskau bekam Klaus Waschik so 20 ganz besondere Schüler: Die Mitarbeiter der Botschaft lernen innerhalb der nächsten Monate mit „Russisch HQ“. Gerade für sie seien die Originaltexte gut – und auch für sie gibt es die Möglichkeit der Nachricht an den Tutor und regelmäßige Versammlungen im virtuellen Klassenzimmer.

Trotz allem ist auch Klaus Waschik klar, dass das regelmäßige Lesen schwierig ist, ob mit Programm oder ohne: „Das gilt für den Studenten wie für den Botschaftsmitarbeiter“. Jeder müsse sehr diszipliniert sein – und sehr realistische Ansprüche an sich selbst haben. Danach könne man einen Arbeitsplan erstellen und dann möglichst jeden Tag ein bisschen machen. Denn: „Lesen ist Ausdauersport.“

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