Der Stolz der Obdachlosen

Nachts schlendert Udo T. meist allein durch die Stadt – bis es hell wird und die Geschäfte öffnen. Dort wärmt er sich ein wenig auf von den frostigen Temperaturen. „Bewegen ist wichtig“, erklärt er. „Damit ich bei den Minusgraden nicht erfriere.“ Nach zwei oder drei Nächten ohne Schlaf geht er zur Diakonie, wo Feldbetten der Bundeswehr stehen. Dort ruht er sich tagsüber aus – und streift nachts weiter durch die klirrende Kälte.

Endstation Straße? Udo T. ist seit sechs Wochen obdachlos. Alle Fotos: Caroline Biallas

Endstation Straße? Udo T. ist seit sechs Wochen obdachlos. Alle Fotos: Caroline Biallas

Seit sechs Wochen ist Udo T. obdachlos. Als er eines Morgens zur Arbeit kommt, kann er gleich wieder gehen: Die Firma ist insolvent, der Chef hat sich ins Ausland abgesetzt, am Handy ertönt die Mailbox. Von heute auf morgen sind sieben Mitarbeiter arbeitslos – er ist einer davon. Das Ende des Jobs, der Beginn der Obdachlosigkeit: Denn auch die Betriebswohnung verliert der 50-Jährige. Zwar ermittelt die Polizei inzwischen, doch das nützt Udo T. nicht viel: Die zwei Monatsgehälter wurden ihm nicht gezahlt, sein Arbeitslosengeld bekommt er erst nach acht Wochen.

Bis dahin verdient sich Udo T. seinen Lebensunterhalt durch Betteln. Er spricht die Leute direkt an, fragt nach etwas Kleingeld. Wenn er zwischen 10 und 15 Euro zusammen hat, hört er auf. Einmal am Tag einen heißen Kaffee und ein belegtes Brötchen, mehr braucht er nicht. Nach 30 Jahren, in denen er immer regelmäßiges Einkommen gehabt habe, sei die Bettelei hart. „Da ist der Stolz ganz schön angeknackst“, sagt er, meint dann aber schnell: „Trotzdem verliere ich meinen Anstand nicht.“

Betteln für eine Tasse Kaffee und ein Brötchen: Wenn er 15 Euro für den Tag hat, hört Udo T. auf.

Betteln für eine Tasse Kaffee und ein Brötchen: Wenn er 15 Euro für den Tag hat, hört Udo T. auf.

Sucht, gepaart mit psychischen Krankheiten

171 Obdachlose hat das nordrhein-westfälische Statistikamt für Information und Technik im Sommer 2009 in Dortmund gezählt. Damit ist die Anzahl zwar stetig zurückgegangen – 2001 waren es noch 493 und im Jahr 2005 insgesamt 302 Personen – dafür haben sich die Probleme der Betroffenen verändert. Das hat Jörn-Peter Hülter, Einrichtungsleiter der Männerübernachtungsstelle in der Dortmunder Unionstraße, beobachten können: „Es kommen immer jüngere Leute zu uns, die oft unter so genannten Doppeldiagnosen leiden – also Sucht verbunden mit psychischen Krankheiten.“

Seit 1986 gibt es die Männerübernachtungsstelle, die früher komplett in Obhut der Stadt war, seit 2006 mit der „European Homecare“ jedoch einen eigenen Betreiber hat. Zur Zeit nutzen rund 40 Obdachlose die Einrichtung. Um aufgenommen zu werden, ist kein aufwendiges Antragsverfahren notwendig – die Leute klingeln, bekommen ein Dach über den Kopf, werden aber am nächsten Tag direkt zum Sozialamt geschickt, um Hartz IV-Leistungen zu beziehen und sich zu versichern. „Oft haben sich diese Leute komplett dem System entzogen – leben nur noch auf der Straße, quasi von der Hand in den Mund, und haben dann noch nicht mal Geld für eine Krankenversicherung“, schildert Hülter.

Jörn-Peter Hülter zeigt ein typisches Vier-Bett-Zimmer der Unionstraße.

Jörn-Peter Hülter zeigt ein typisches Vier-Bett-Zimmer der Unionstraße.

Stolz ist einer der Hauptgründe, warum viele Menschen in Notlagen keine Hilfe annehmen. „Einige nehmen lieber den Erfrierungstod in Kauf, als hier herzukommen“, sagt Hülter. Zudem halte sich hartnäckig das Gerücht, dass in der Einrichtung geklaut werde. „Völliger Blödsinn“, ergänzt er. „Es gibt abschließbare Spinde und Schließfächer, die 24 Stunden lang bewacht werden.“ Deswegen – gerade in den eiskalten Winternächten – sein Leben zu riskieren, sei einfach nur dumm.

Nur wer ganz am Boden liegt, nimmt Hilfe an

Viele müssen daher erst richtig am Nullpunkt angekommen sein, um überhaupt Hilfe zuzulassen. Donald K. ist jemand, dem es so ging, der nicht mehr weiterwusste. Der 55-jährige Dortmunder mit dem dichten, rotgrauen Bart und der dicken Wollmütze könnte drei Din-A4-Seiten mit seinem Lebenslauf füllen, so viel hat er erlebt. Die Kurzfassung: nach dem Hauptschulabschluss Mittlere Reife, dann Ausbildung zum Werkzeugmacher, drei Jahre Bundeswehr, elf Jahre Montage, eigene Diskothek eröffnet, danach im Kessel eines Kernkraftwerkes gearbeitet, zwei Jahre lang seinen kranken Vater gepflegt. Als dieser stirbt, will er das Erbe in einen Kiosk investieren – gerät dabei jedoch an die falsche Geschäftspartnerin: Diese stellt ihm zunächst eine Betriebswohnung zur Verfügung, lässt dann jedoch das Schloss ausbauen, so dass Donald K. nicht mehr hineinkommt.

Jörn-Peter Hülter (l.) und Donald Kruck beim Aufräumen.

Jörn-Peter Hülter (l.) und Donald K. beim Aufräumen.

Weil ihm das Sozialamt zunächst nicht geglaubt und die Klage sich zu lange hingezogen habe, sei er in die Übernachtungsstelle in der Unionstraße gekommen, erzählt Donald K. „Hier ist es warm, ich muss nicht draußen schlafen, es gibt Duschen – dafür bin ich dankbar.“ Auch für ihn sei dieser Schritt sehr schwer gewesen: „Weil ich das nicht kannte, weil’s mir immer gut gegangen ist.“ Aber jetzt habe er mal gelernt, wie das Leben aussehen kann, wenn man ganz am Boden liegt, was bestimmt nicht verkehrt gewesen sei, sagt der 55-Jährige.

Udo T. hingegen wehrt sich strikt gegen jede Form von Unterstützung, seine Würde ist ihm wichtiger. In der Übernachtungsstelle ekelt er sich vor benutzten Matratzen, seine Angehörigen in Iserlohn ahnen nichts von seiner Misere. „Keiner weiß davon“, murmelt er, rührt den Löffel in der Kaffeetasse herum und meint dann: „Vielleicht ist das falscher Stolz. Aber ich will es da alleine rausschaffen.“

Bis dahin zieht er – die graue Kapuze tief ins Gesicht gezogen – weiter durch Dortmunds Innenstadt, um vorbeilaufende Passanten nach Kleingeld zu fragen. Höflich ist Udo T. dabei immer: Er schaut den Menschen dabei in die Augen, schildert bei Nachfrage kurz seine Lage, bedankt sich dann anständig.
Aber er fragt nicht jeden.

1 Comment

  • Stefan Lau sagt:

    Hallo,
    ich möchte bei FB eine Seite machen wo ich zum Tag der Obdachlosen aufrufe mit dem Zweck, dass an diesem Tag jeder etwas gutes für Obdachlose tut. Ihnen zu Essen gibt oder mit ihnen redet.
    Für das Profil brauche ich noch ein gutes ansprechendes Foto. Ihc möchte sie fragen ob sie meine Aktion unterstzen und mir die Rechte für die Veröffentlichung einräumen.
    Gerne erwähne ich ihren Namen als Fotografin. Es handelt sich um das erste Foto oben.
    Mit freundlichen Grüßen
    Stefan Lau
    vrishabba@gmx.de

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