Glauben auf Rezept

Fotos/Montage: Marc Patzwald

Fotos/Montage: Marc Patzwald

Glaube kann Berge versetzen, sagt man so schön. Aber kann er auch helfen, Krankheiten zu heilen? Glauben als wirksames Medikament, sozusagen. Eine schwierige Frage. Doch ob es jetzt der Glauben an einen helfenden Gott ist, oder eine Überzeugung, die so fest und stark ist, dass sie einen positiven Einfluss auf unseren Körper hat – der Glaube an sich schafft Willenskraft.

Diagnose: Krebs. Ein Schock. Verwirrung. Plötzlich ist all das, was immer ganz fern schien, so nahe. Und dann geht alles ganz schnell: Für Gabi B. beginnt ein langer Aufenthalt in einer Spezialklinik – der Tumor soll entfernt werden.

Immer wieder ist von wundersamen Heilungen zu hören. In der Bibel oder von ominösen selbsternannten Wunderheilern. Alles Schwachsinn, denkt manch einer wohl sofort. Und das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Nur durch den Glauben an Heilung wird man sicherlich nicht gesund. Dennoch entscheidet unser Glaube an die Wirksamkeit einer Therapie oder eines Medikaments maßgeblich darüber, ob es hilft oder nicht – Stichwort Placebo-Effekt.

Einziger Wirkstoff: Der Glaube an Heilung

Echt oder Placebo? Die wirkstofffreien Placebo-Pillen enthalten meist nur Zucker oder Stärke.

Echt oder Placebo? Die wirkstofffreien Placebo-Pillen enthalten meist nur Zucker oder Stärke. Alexandra H. / pixelio.de

So gingen Forscher der Frage nach: Wie viel Schmerz kann ein Mensch aushalten, wenn er glaubt, ein Schmerzmittel zu bekommen? „Diejenigen Probanden, die dachten sie bekämen ein starkes Schmerzmittel, konnten ihre Hände wesentlich länger in eiskaltem Wasser halten“, erklärt der Psychologe Rüdiger Zwerenz von der Universität Mainz. Doch statt eines Schmerzmittels hatten sie nur eine wirkungslose Substanz geschluckt – der einzige Wirkstoff in einem Placebo: der Glaube an Heilung.

Anders herum kann man durch das Nicht-Glauben an eine Therapie auch die Wirkung eines guten Medikaments zunichtemachen. „Wenn der Arzt dem Patienten ein Schmerzmedikament verschreibt, und nebenbei anmerkt: „Ich weiß aber nicht, ob das bei Ihnen so gut wirkt“, wird der Patient weniger Schmerzen aushalten als ein Patient, der fest an die Wirkung des Medikamentes glaubt“, so Zwerenz.

Menschen mit Spiritualität sind stärkere Kämpfer

Nach der Operation ist Gabi B. zwar schwach, aber guten Mutes. Trotz ihrer Schmerzen schäkert sie herum, und freut sich, den Tumor endlich los zu sein. Doch dann kommt die Nachricht: Der Krebs ist nicht vollständig entfernt. Und wieder geht es in den OP-Saal.

„Die Frage, ob der Glaube bei der Heilung von Krankheiten hilft, kann kein Mensch so einfach beantworten“, glaubt Gerhard Strittmatter, Leiter der Abteilung für Psychosoziale Onkologie an der Fachklinik Hornheide in der Nähe von Münster. Doch würden Studien aus den USA und Israel zeigen, dass Hautkrebs-Patienten mit einem festen Glauben – egal ob religiöser Art oder nicht – durchaus stärkere Bewältigungsstrategien haben. „Der Glaube ist eine starke Kraftquelle“, so Strittmatter, „Menschen mit einer bestimmten Form von Spiritualität können besser kämpfen“. Und werden sie dann selbst aktiv, bekämen sie auch von ihrem Umfeld intensivere Unterstützung.

Während des Klinikaufenthaltes bekommt Gabi B. immer wieder neue Zimmerpartnerinnen. Die eine ist optimistisch, sieht ihrem Schicksal tapfer entgegen. Frau Fröhlich heißt sie, sehr passend. Die nächste ist sehr niedergeschlagen, jammert viel und weint. Trotzdem glaubt Gabi B. auch weiterhin: Alles wird gut.

Was zählt, ist die Lebensqualität

Enorm wichtig zur Bewältigung der Krankheit sei es, so glaubt Strittmatter, sich einerseits die Gefährlichkeit etwa des Tumors vor Augen zu halten, andererseits aber auch seinen Optimismus nie zu verlieren. Es müsse eine Balance gefunden werden zwischen der Auseinandersetzung mit dem Tod und einer optimistischen, hoffnungsvollen Einstellung.

Nutze deine eigenen Kraftquellen - ob es die Natur ist oder der Glaube. Foto: Daniel Stricker / pixelio.de

Nutze deine eigenen Kraftquellen - ob es die Natur ist oder der Glaube. Foto: Daniel Stricker / pixelio.de

Denn entscheidend sei bei der Bewältigung einer Krankheit die Lebensqualität. Und ein Mensch voller Optimismus lebt einfach besser. Auch ein Mensch, dem Glaube etwas bedeutet, der betet und Gottesdienste besucht, fühlt sich dadurch besser. Und das sei entscheidend: „Wichtig ist es, seine Kraftquellen zu nutzen, ob es jetzt die Natur ist oder der Glaube“

Die Familie kommt so oft es geht zu Besuch, doch die Klinik ist weit entfernt von zu Hause. In den langen, nicht enden wollenden einsamen Stunden hadert Gabi B. auch mit Gott. Wieso lässt er mich so allein? Wo ist seine Hilfe, wenn ich sie brauche?

Glaube macht den Kranken das Leben leichter, doch Religion hilft nicht immer – ein angstmachendes Gottesbild verschlimmert die Situation sogar. Das zeigen auch die Forschungsergebnisse des Religionspsychologen Sebastian Murken von der Universität Trier. Er ging der Frage nach, wie der religiöse Glauben mit der Bewältigung von Lebenskrisen zusammenhängt. Anhand von Fragebögen und Interviews untersuchte er hierzu 200 Frauen, bei denen kurz zuvor Brustkrebs diagnostiziert wurde. Etwa drei Viertel dieser Frauen versuchten, die Krankheit mithilfe ihres Glaubens zu bewältigen – doch nicht alle hatten denselben Erfolg. Betrachteten die Patientinnen ihre Krankheit etwa als Strafe Gottes, hatten sie also ein negativ geprägtes Gottesbild, erschwerte das mitunter den Umgang mit der Krankheit.

Beten hilft, glaubt auch der Theologe und Psychologe Gerhard Strittmatter– „bei Menschen, die einen Zugang zu Religion und Spiritualität haben“. Die amerikanische Stressforscherin Esther Sternberg führt eine positive Wirkung des Betens darauf zurück, dass der Rückzug in die Kommunikation mit Gott die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol reduziere – und das stärke wiederum das Immunsystem.

Wunder gibt es immer wieder

Die Wunde ist nach den vielen Operationen sehr tief. Die Ärzte glauben nicht, dass sie von alleine heilt. Eine Transplantation soll folgen. Doch Gabi B. sträubt sich – nach den fünf Eingriffen nicht noch eine so komplizierte Operation. Sie will nach Hause, will ihren Geburtstag bei ihrer Familie feiern. Die Ärzte wollen sie nicht gehen lassen. Aber der Chefarzt sagt: „Wenn die Patientin den Eingriff nicht will, bringt es nichts. Es wird nicht funktionieren.“ Er schickt sie nach Hause.

Die Unterstützung durch die Familie ist für einen Kranken enorm wichtig. Bild: Wilhelmine Wulff / pixelio.de

Die Unterstützung durch die Familie ist für einen Kranken enorm wichtig. Bild: Wilhelmine Wulff / pixelio.de

Zurück zu den Wunderheilungen. Unter 60 000 Patienten gebe es ein Wunder, erzählt Strittmatter. Auch er habe einmal einen Fall von Spontanheilung erlebt, die er nicht erklären konnte. Diese Frau war zutiefst davon überzeugt, eine spirituelle Handlung habe sie vom Krebs geheilt. „Was es wirklich war, das weiß ich nicht. Aber sie war gesund, und hat vollkommen daran geglaubt.“

Prinzipiell glaubt der Psychologe: Was nicht von der Seele kommt, kann die Seele auch nicht heilen. Und ob der Glaube tatsächlich einen Einfluss auf die Überlebenszeit hat, das lasse sich einfach nicht beweisen. So zitiert er einen verstorbenen Kollegen: „Das Gebet kann den Zerfall des Fleisches nicht aufhalten.“

Spontanheilungen durch Lebensveränderung

Die ersten Wochen heilt die Wunde schlecht, wie von den Ärzten prophezeit. Doch Gabi B. ist optimistisch. Ich schaffe das, sagt sie sich immer und immer und immer wieder. Und auch ihre Familie ist voller Hoffnung.

Die Psychologin Doris Wolf führt solcherlei Spontanheilungen bei Krebskranken darauf zurück, dass die Patienten ihr Leben verändert haben, nachdem sie von ihrer Krankheit erfuhren. Sie schreibt auf ihrer Internetseite: „Sie veränderten ihre Ernährung, die Lebensgewohnheiten und die Lebensziele. Sie glaubten fest daran, die „Ausnahme der Regel“ zu sein und beteiligten sich voller Hoffnung an der Therapie. Der Glaube, dass sie Einflussmöglichkeiten haben und die Bereitschaft, sich voll für ihre Gesundung einzusetzen, hilft ihnen, ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren.“

Sechs Wochen, nachdem Gabi B. nach Hause kam, strahlt ihre Pflegerin nach dem Verbandswechsel. „Die Wunde heilt plötzlich in einem Affentempo“, sagt sie, „ich glaube, wir brauchen hier keinen weiteren Eingriff mehr“.

Und was hilft für alle?

Die vermeintlichen Heilerfolge des Glaubens sind schwer nachzuweisen. Denn es sei schwierig, handfeste Kriterien zu entwickeln, an denen man diesen Effekt durch Studien verlässlich bestätigen kann, so die Psychologin Barbara Imruck. „Es gibt sicherlich individuelle positive Phänomene. Aber die Frage muss ja sein: Was hilft für alle?“

Doch auch sie glaubt, dass eine positive, optimistische Lebensanschauung sehr wichtig ist zur Bewältigung von Krisen, wie etwa einer Krebserkrankung. „Und der Patient muss wissen, dass er auf Unterstützung zurückgreifen kann“ – ob es nun die Familie ist, die einem Kraft gibt, der Glaube an Gott oder eine innere feste Überzeugung.

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