„Im Namen des Volkes: Lesen Sie das!“

Zwei Jugendliche wurden vor kurzem in Dortmund zu einer Leseauflage verurteilt. Sie sollen während einer Nazi-Demo im September 2009 Steine auf Polizisten geworfen haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Trotzdem stellt sich die Frage: Kann das Lesen eines Buches jugendliche Straftäter wieder in geregelte Bahnen lenken?

September 2009. Während der Nazi-Demo kommt es in Dortmund nahe des Gerichtsplatzes zu Ausschreitungen: Linke Demonstranten liefern sich Verfolgungsjagden mit der Polizei, greifen die Staatsmacht mit Steinen und Latten an. Unter ihnen sollen auch Jan V. und Michael K. (beide Namen von der Redaktion geändert) gewesen sein. Vor kurzem hat das Jugendgericht V. und K. wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt. Die Strafe: Der Jüngere müsste – wenn das Urteil rechtskräftig würde – ein Buch lesen, der Ältere zusätzlich dazu einen Freizeitarrest absitzen.

Lesen als Strafe - zwei Dortmunder Jugendliche müssen sich mit einem historischen Werk auseinandersetzen. Foto: Wilhelmine Wulff  / www.pixelio.de. Teaserfoto: Thorben Wengert  / www.pixelio.de

Lesen als Strafe - zwei Dortmunder Jugendliche müssen sich mit einem historischen Werk auseinandersetzen. Foto: Wilhelmine Wulff / www.pixelio.de. Teaserfoto: Thorben Wengert / www.pixelio.de

Pädagogische Strafe

Ist Buchlesen eine gerechte Strafe für schweren Landfriedensbruch? „Mir schien das in dieser Sache gar nicht so schlecht zu sein“, sagt Dr. Gerhard Breuer, Pressesprecher des Amtsgerichts Dortmund und Jugendrichter in dem Prozess. „Der Jugendrichter soll erzieherisch wirken. Mir erschien die Leseauflage bei den linken Demonstranten sinnvoll, damit sie mal sehen, was so linker Tunnelblick auch anrichten kann“, sagt Breuer. Deswegen hat er ein Buch ausgewählt, das sich mit Linksextremismus auseinandersetzt. Auch Pädagogen glauben, dass eine solche Strafe wirken kann. „Das ist hier schon ein pädagogischer Gedanke, dass sich diese zwei Jugendlichen einfach auch mal intellektuell mit dem Thema Gewalt und Terror auseinandersetzen“, sagt Uwe Uhlendorff, Professor der TU Dortmund mit Schwerpunkt Sozialpädagogik.

Diese Voraussetzung erfüllt das betreffende Buch allemal: „Terror und Traum: Moskau 1937“ lautet der Titel, ein historisches Werk, das sich mit Massenverfolgungen und Massenmorden in der Zeit Stalins beschäftigt. Keine kleine Abendlektüre, sondern harter Tobak. „Wenn man erzieherisch auf jemanden einwirken will, ist das häufig viel brutaler, wenn man ihm sein einziges Freizeitvergnügen nimmt oder ihn zu 800 Seiten Buchlesen verurteilt“, sagt Breuer. „Das kann manchmal durchaus härter sein als ein Wochenendarrest oder eine Geldstrafe.“

Viele Einflussmöglichkeiten im Jugendrecht

Eine solche Leseauflage ist nur im Jugendstrafrecht möglich. Dort haben die Richter allgemein mehr Einflussmöglichkeiten als im Erwachsenenstrafrecht. Breuer hat zum Beispiel auch schon „Fußballfans dazu verurteilt, sich an den Wochenenden zu den jeweiligen Anstoßzeiten der entsprechenden Fußball Bundesliga-Spiele bei der Polizei zu melden“. Das ist wohl die einfachste Methode, sie vom Stadion fernzuhalten. Und in diesem Fall wahrscheinlich effektiver, als die Jugendlichen ein Wochenende in eine Zelle zu sperren.

Das deutsche Jugendstrafrecht lässt dem Richter viel Einflussmöglichkeiten, so z.B. auch die Leseauflage. Foto: Freelancer0111  / www.pixelio.de

Das deutsche Jugendstrafrecht lässt dem Richter viel Einflussmöglichkeiten, so z.B. auch die Leseauflage. Foto: Freelancer0111 / www.pixelio.de

Laut Breuer kommt es bei dem Erfolg solcher Auflagen aber sehr auf die Beschuldigten an. „Die meisten Angeklagten lesen sowieso kein Buch, da macht es auch keinen Sinn, eine Leseauflage zu erteilen.“ Die beiden angeklagten linken Demonstranten – übrigens ein Schüler und ein Student – seien aber wohl in der Lage, so ein Buch zu lesen. „Auch wenn das mit 800 Seiten wahrscheinlich eine ziemliche Qual werden wird.“

……………………………………………Landgericht entscheidet

Eigentlich wären die Jugendlichen mit diesem Urteil wohl ganz gut weggekommen. Immerhin hatte die Staatsanwaltschaft eine Jugendstrafe von jeweils sechs Monaten zur Bewährung gefordert. Aber sowohl Staatsanwaltschaft als auch einer der Angeklagten haben Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Deswegen muss es jetzt noch einmal durch das Landgericht überprüft werden.

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