Ein Tag irgendwo zwischen Himmel und Erde

Pflichtlektüre-Reporterin Nadja Bobrova hat beim Wochenende der offenen Ateliers im Dortmunder Norden einen Blick hinter die Fassaden der Nordstadt-Häuser gewagt. Ein persönlicher Bericht der Kunst-Tour.

Hinter den Häuserfassaden in der Nordstadt steckt Kunst. Ateliers und  Wohnungen sind voll davon. (Foto: Nadja Bobrova)

Hinter den Häuserfassaden in der Nordstadt steckt Kunst. Ateliers und Wohnungen sind voll davon. (Foto: Nadja Bobrova)

Dreckige Straßen mit prolligen Autos. Dazwischen spielen kleine Jungs Fußball. Gemüsehändler. Geschäftige Hausfrauen. Wo soll denn hier bitte Kunst stecken? Ich steige aus der Bahn, atme Nordstadtluft ein und klügele mit dem Stadtplan in der Hand noch schnell meine Route für den Tag aus. Jeder kann an diesem Wochenende, so wie ich, hinter die Nordstadtfassaden blicken und für ein paar Stunden in die Welt der Künstler dort eintauchen.

Ich entscheide mich mit meiner Atelier-Tour im Depot an der Immermannstraße zu beginnen. Backsteinfassaden und Kopfsteinpflaster prägen das Bild. Viele Künstler haben hier ihre Arbeitsoase und dementsprechend viel gibt es zu sehen: Fotografie, Malerei, Skulpturen und die außergewöhnlichsten Installationen. Mein Blick bleibt an einem Bild haften, bei dem es mir zunächst große Anstrengung kostet zu erkennen, was es darstellen soll: Eine Fotografie, Asphalt, Federn… Erst nach Minuten kann ich es erkennen: Eine zermatschte Taube! Die Gedärme auf dem Boden verschmiert. Die Flügel liegen abgerissen, weg vom Rumpf, daneben. Ein kurzer Schauer läuft mir über den Rücken und der Ekel packt mich. Aber ich kann meinen Blick nicht abwenden und bleibe noch einige Momente vor diesem Bild stehen. Bei näherer Betrachtung entdecke ich eine gewisse  Ästhetik daran. Es ist vielleicht die Farbkomposition, vielleicht die Blöße des toten Vogels, die mich fesselt. Es symbolisiert das Sterben des alten Ruhrgebiets, für das die Taube sonst stellvertretend steht, erklärt der Werbefotograf Jan Schmitz, der das Foto im Rahmen des Projektes RuhrPost2010 gemacht hat. Bei solchen Motiven dient mir die Kamera als ein Distanzobjekt und ich sehe sie aus einer neuen Perspektive.

Eine besondere Art der Ästhetik stellt der Künstler Jan Schmitz im Depot vor. (Foto: Nadja Bobrova)

Eine besondere Art der Ästhetik stellt der Künstler Jan Schmitz im Depot vor. (Foto: Nadja Bobrova)

Neue Sichtweisen

Neue, kindliche Perspektiven begegnen mir auch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Münsterstraße. Eine junge Blondine öffnet mir die Tür. Sie begrüßt mich herzlich, lädt hinein. Auf mich warten weiße, kahle Wände, bedeckt mit Fotografie aller Art. Aber es fühlt sich heimisch an. Die Künstlerin Nina Ebbinghaus ist eine Fotografie-Studentin an der FH-Dortmund.“Meine Suppe ess´ ich nicht“ heißt eine fünfteilige Serie ihrer Werke. Es geht um Lebensmittel, die Kinder nicht gern essen.  Die Studentin gestalte daraus kindliche Bilder auf Tellern und möchte mit ihrer „Food-Kunst“ gern das Bewusstsein für Ernährung stärken. Ich schaue mir die Fotos genauer an: Leber. Spinat. Broccoli. Dabei kann sich auch einem Erwachsenen noch der Magen umdrehen.

Abstrakte Kunst in Nordstadts Hinterhof

Mich zieht es weiter in einen Hinterhof der Kielstraße. Dort ist die Künstlerloge. Etwas kalt ist es hier, aber umso wärmer empfängt mich der junge Künstler Johannes Lührs. Mir stechen drei Bilder direkt hinter seiner Schulter ins Auge. Bei genauerem Hinsehen sind es drei Leinwände mit hässlichen Grimassen. Grün, blau und braun dominieren die Bilder. Der Künstler sieht meinen skeptischen Blick:“Diese Serie habe ich zusammen mit dem Künstler Kai Fischer angefertigt. Wir haben es uns als ein Interaktion vorgestellt, kein Wort haben wir währenddessen gesprochen. Wir haben es einfach immer weiter vervollständigt.“

Nina Ebbinghaus stellt kindliche Bilder aus Essenssachen, die Kinder nicht gerne essen dar. (Foto: Nadja Bobrova)

Nina Ebbinghaus stellt kindliche Bilder aus Essenssachen, die Kinder nicht gerne essen dar. (foto: Nadja Bobrova)

Ich schaue mich weiter um und entdecke Zeichnungen. Bei Johannes Lührs‘ Kunst geht es weniger um das Medium an sich, sondern um die Zerlegung in Einzelteile. So langsam komme ich dahinter, was die Bilder darstellen sollen. Gesichter, Körperteile, Gegenstände, bei allem versucht er die kleinsten Details auseinanderzunehmen und sie dann wieder zu einem neuen Gebilde zusammenzufügen. So entstehen dann Bilder, bei dessen Betrachtung man mal den Kopf neigt oder sich sogar ein wenig winden muss. Umso spannender ist dann dabei die Erkenntnis.

Johannes Lührs ist müde, das sehe ich ihm an. Seine leichten Augenringe verraten mir seinen Wunsch nach etwas Ruhe. Fünf Stunden Schlaf, die letzte Woche! Auch Kunst kann mal anstrengend sein, entschuldigt er sich und während er das tut merke ich meine eigene Müdigkeit. Auf dem Heimweg, wieder zurück in der Bahn, fange ich an dieses Stadtviertel zu verstehen. Die dreckigen Straßen, die Autos, die Fußballjungen einerseits und die Künstler, die fern vom Rummel unter ihren Atelierfenstern ihre Werke schaffen andererseits zwei Parallelwelten, die so unterschiedlich sind, wie Himmel und Erde. Doch gerade das ist das Spannende an ihnen.

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