40-Stunden-Woche, 50-Stunden-Woche, 60-Stunden-Woche? Niemals! Eine neue Umfrage will zeigen: Deutschlands Studenten nörgeln mehr, als sie wirklich arbeiten. Gerade mal 26 Stunden werden angeblich durchschnittlich pro Woche aufgewendet.
Es wurde gestreikt, gemeckert und reformiert. Deutschlands Studenten schienen kurz vor dem Burn-Out zu stehen. SPIEGEL ONLINE kommentiert eine neue Studie mit dem Namen ZEITLast jetzt aber unter der Überschrift „Bildung: Erschöpft vom Bummeln“. Nicht ganz grundlos. Wenn man den gerade veröffentlichten Zahlen glaubt, hält sich der Zeitaufwand doch sehr in Grenzen. Ein Viertel aller Befragten arbeite nicht einmal 20 Stunden pro Woche. Inklusive Jobben kommen so die wenigsten auf eine 40-Stunden-Woche. Denn auch der durchschnittliche Aufwand zum Jobben liegt laut der Studie bei 6,4 Stunden pro Woche. Pro Tag stünden so ca. 12 Stunden Freizeit täglich zur Verfügung.
So sind die Macher der Studie vorgegangen:
Bildungsforscher Rolf Schulmeister und sein Team haben sechs verschiedene Bachelor-Studiengänge untersucht: Kulturwissenschaften in Hildesheim, Medien-und Kommunikationswissenschaften in Hamburg, Sozial-und Organisationspädagogik in Hildesheim, Mechatronik in Ilmenau, Erziehungswissenschaften (Bachelor) in Mainz, Erziehungswissenschaften (Diplom) in Mainz. 121 Probanden haben dann ein ganzes Semester lang ein Web-Formular ausgefüllt, indem sie immer aktuell ihre jeweilige Tätigkeit angegeben haben, ob für die Uni oder privat.
Wo kommt der Stress bei 26 Stunden Arbeitszeit dann her?
Auf den ersten Blick scheint den Studenten von heute Freizeit einfach wichtig zu sein. Die Macher der Studie bestreiten allerdings gar nicht, dass Studenten tatsächlich gestresst sind. Woran kann das liegen? Schuld seien die „scheckigen Stundenpläne“: Pausen zwischen verschiedenen Veranstaltungen seien zu kurz, um sie tatsächlich sinnvoll mit einem Gang in die Bibliothek zu nutzen.
Das sagen die Leser:
Das Thema bewegt. Mittlerweile stehen 357 Kommentare unter dem Artikel. User „Zwiper“ schreibt: „Bei uns in Kassel am Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung sieht es anders aus und da wird auch mal bis nachts um 3 Uhr gearbeitet.“ „Ecua“ hingegen kommentiert: „Ein Absinken der tatsächlichen Leistungsbereitschaft ist eindeutig festzustellen. Mit allen Studenten und Absolventen der letzten Jahre und Jahrzehnte steht man immer mehr gestressten Menschen gegenüber, die trotz nicht mal durchschnittlicher Leistung total geschafft sind.“
Das sagen andere Studien:
Die Sozialerhebung des Studentenwerks liefert andere Zahlen. Durchschnittlich 36 Stunden verbringen die Studenten demnach mit Lehrveranstaltungen und Selbststudium, zusammen mit dem Jobben 44 Stunden. Diese Ergebnisse basieren auf den Angaben von 16.370 Befragten. Die Macher der ZEITLast-Studie argumentieren allerdings, dass bei diesen Studien beachtet werden müsse, dass Studenten nur aus ihrer Erinnerung antworten.
Das sagen Studenten an der RUB:
Sind Deutschlands Studenten zu Nörglern und Faulenzer geworden. Haben sie wirklich zwölf Stunden Freizeit täglich? Pflichtlektuere.com hat an der Ruhr-Uni Bochum drei Studenten nach ihrem typischen Tagesablauf gefragt:
Nicola A., 22 Jahre, sechstes Semester, Germanistik und Medienwissenschaften

Nicola A.: "In den ersten zwei Semestern hatte ich alleine 26 Wochenstunden an der Uni." Bilder: Gerstlauer
7:30 Uhr: Aufstehen, Aufwachphase, E-Mails und Haushalt
10-14: Vorlesungen und Seminare an der Uni
15-16:30: Vorbereitung und Nachbereitung
16.30-17.30: Berufsvorbereitung, Surfen in Jobbörsen, etc.
Jobben: zwei Tage am Wochenende, insgesamt 16-20 Stunden
letzte Semesterferien: sechs Wochen Praktikum
Dominic M., 24 Jahre, viertes Semester, Geschichte und Theaterwissenschaften
a) Anfang vom Semester
9.30 Uhr: Aufstehen
10-12 und 14-16 : Uni
b) gegen Ende vom Semester, in stressigen Zeiten
7.30 Uhr: Aufstehen
8-12 und 14-18: Seminar
18.30-22: Recherche in der Bibliothek
22-2: Recherche zu Hausaufgaben und Referaten zusammenschreiben
Jobben: Null Stunden, letzte Semesterferien: Entspannung
Tanja K., 20 Jahre, zweites Semester, Jura
6.15 Uhr: Aufstehen
8.15-17.45: Vorlesungen und Seminare (bis auf einen Tag ohne Unterbrechung)
18-20 Uhr: mit Freunden in der Bibliothek lernen
Arbeit: „schaffe ich nicht mehr“
letzte Semesterferien: 35 Stunden pro Woche in einer Kanzlei gearbeitet
Und was folgt jetzt daraus?
Einige Studenten, wie Tanja, sind definitiv ausgelastet mit sicherlich mehr als 26 Stunden pro Woche. Aber gerade das Beispiel von Dominic zeigt ein Phänomen, das Bildungsforscher Rolf Schulmeister „Bulimie-Lernen“ nennt. Eine hohe Belastung in Prüfungsphasen bzw. generell gegen Ende des Semesters. Das Erlernte wird dann einfach nur noch „ausgekotzt“. Außerdem müssen die Studierenden zwischen vielen verschiedenen Themen switchen. An der TU Ilmenau haben die Verantwortlichen jetzt auf dieses Phänomen reagiert. Im nächsten Semester wird eine Gruppe von 30 bis 40 Mechatronik-Studenten eine ganz neue Art von Studieren kennenlernen: Block-Veranstaltungen. Ein bewährtes Prinzip aus Skandinavien. Drei Tage die Woche werden sie fünf Wochen lang eine einzige Veranstaltung besuchen. Dazu gehören dann täglich Vorlesungen, Übungen, Gruppenarbeiten und Selbstlernphasen. Damit wird ein thematischer Schwerpunkt gesetzt. „Die Studenten brauchen einfach Zeit, um sich in ein Thema reinzudenken“, sagt Diplom-Ingenieurin Katja Hoffmann de Linares, die das Projekt ZEITLast in Ilmenau begleitet. Ob’s was bringt, wird sich zeigen: Auch in diesem Semester werden die „Probanden“ ein Webformular mit ihrer Arbeitszeit ausfüllen, die sie dann hoffentlich effektiver nutzen können.