Venezuela versinkt im Chaos

12826390423_7b8172061e_o

Heute begeht Venezuela seinen Día de la Independencia – den Tag der Unabhängigkeit. Die Bilder aus den Straßen der Hauptstadt Caracas und weiteren Großstädten sind eines Feiertages aber nicht würdig. Tausende demonstrieren gegen leere Supermarktregale, ausfallende Elektrizität und fehlende Medizin. Das Volk scheint seinen Schuldigen gefunden zu haben: Staatspräsident Nicholás Maduro.

Zwei Venezolaner tragen einen Jungen durch die Stadt. 14 Jahre ist er erst alt. Aus einer Schusswunde am Kopf strömt Blut. Sein grauer Pullover ist damit verschmiert. Das Bewusstsein hat er verloren, noch schlägt sein Herz. Um ihn herum rufen Menschen unverständliche spanische Wortfetzen , weinen zum Teil. Später wird der Junge seiner Verletzung erliegen. Ein Polizist soll ihn mit einem Streifschuss getötet haben. Es ist die wohl hässlichste und traurigste Seite der Krise im lateinamerikanischen Küstenstaat. Dass der 14-Jährige Schüler starb, ist nun fast eineinhalb Jahre her. Und trotzdem erreichen uns noch immer neue Todesmeldungen von den Protesten.

Kollabiert das System weiter, kann das soziale Revolten bis zu einem Bürgerkrieg auslösen. Ein Chaos mit etlichen Toten würde ausbrechen. – Klaus Bodemer

„Venezuela ist bis an die Zähne hoch verschuldet“, sagt Professor Klaus Bodemer vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. Der südamerikanische Staat besitzt nach Saudi-Arabien zwar die größten Erdöl-Reserven weltweit, doch der Ölpreis brach zuletzt drastisch ein – die gesamte Volkswirtschaft wurde davon schwer getroffen. Der Erdölhandel macht 96 Prozent der Exporteinnahmen aus. Ein weiteres Problem: Die Tilgung der Staatsschulden muss Venezuela zu einem großen Teil durch Erdölexporte tätigen. Ist die Exportware kaum noch etwas wert, belastet das die Tilgung immens. Ein erfolgreiches Wirtschaften des Staatshaushaltes kann so nicht aussehen – die Rechnung geht für jeden Laien auf.

Durch die Krise sterben die Kleinsten

Venezuela besitzt zwar gewaltige Erdölreserven, ist ansonsten aber enorm auf Importe angewiesen. Nahezu alle Güter des täglichen Bedarfs müssen eingeführt werden, so Bodemer. Dafür fehlt mittlerweile aber schlichtweg das Geld. Lebensmittel und Hygieneartikel sind Mangelware. Besonders hart trifft es die Kranken. In den Hospitalen des Landes mangelt es an allem: Antibiotika, Salben, sogar Seife und Essen. Osleidy Camejo, Chirurg in der Hauptstadt Caracas, sagte der New York Times: „Der Tod von Babys ist unser täglich Brot“.

Mit der Knappheit an Waren steigen die Preise. Die Inflation in Venezuela ist völlig aus der Kontrolle geraten. Sie liegt 2016 im Vergleich zum Vorjahr bei fast 500 Prozent. Selbst der werthöchste Geldschein der venezolanischen Währung, 100 Bolivar, reicht nicht mal mehr für einen Schokoriegel aus. Immer wieder berichten Nachrichtenagenturen von Plünderungen in Supermärkten oder Lagerhallen. Die Kriminalitätsrate ist laut Bodemer in Venezuela die höchste weltweit – und die Menschen treibt es zum Protest auf die Straße. Die meisten sind sich sicher, wer ihnen all das eingebrockt.

Maduros Fortsetzung des Sozialismus des 20. Jahrhundert seines Vorgängers Chávez war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ihm fehlt jegliches Charisma, über das sein Vorgänger verfügte. – Klaus Bodemer

Staatspräsident Nicolás Maduro, seit 2013 im Amt, gilt als Ziehsohn des einstigen Volkshelden Hugo Chávez. Auch zu Chávez‘ Amtszeit soll Venezuela Schaden genommen haben. Doch der oft exzentrische, mittlerweile verstorbene Ex-Präsident wusste sein Volk zu überzeugen – im Gegensatz zu Maduro. Die venezolanische Opposition versucht Maduro loszuwerden, ganz rechtens. Die Verfassung sieht die Möglichkeit vor, den Präsidenten nach der Hälfte seiner Amtszeit abwählen zu können. Dieses blockiert der Präsident jedoch. „Maduro hat sich jegliche politische Gewalt zu Eigen gemacht – auch das Verfassungsgericht“, erklärt Bodemer diese Tatsache.

Die Situation in Venezuela erscheint ausweglos. Die Blockade des Referendums durch Maduro führt zu keiner Lösung, zumindest keiner langfristigen. Latein-Amerika Experte Bodemer hält daher das Worst-Case-Szenario der Krise für wahrscheinlich: der Ausbruch eines Bürgerkriegs.

Beitrag-/Teaserbild: Andrés E. Azpúrua/flickr.com/CC-BY NC-ND 2.0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert