Ziel Champs-Élysées – Le Tour de France 2014

König Fußball zieht derzeit die ganze Aufmerksamkeit der Sportwelt auf sich, doch aus dem Schatten der WM heraus rollt die 101. Ausgabe der Tour de France auf uns zu. Die diesjährige Tour zeichnet sich besonders durch viele Bergetappen und nur ein Zeitfahren aus – normalerweise geht es zwei bis vier Mal gegen die Uhr. Zum ersten Mal seit 2010 nimmt auch ein deutsches Team am größten Radrennen der Welt teil. Der Rennstall NetApp-Endura  aus Oberbayern tritt mit einem amerikanischen Sponsor und einer bunt gemischten Auswahl an Fahrern an, um die etablierten Teams zu ärgern. Zwar gehört das Team nicht zur Elite der Radsportwelt, hat sich aber durch eine Wildcard qualifiziert. Wir sprachen mit Team-Manager Ralph Denk über seine Ziele bei der Tour und die Situation des Radsports und stellen die Favoriten der Tour de France vor.

Der Tscheche Leo König belegte im letzten Jahr bei der Vuelta Platz 9. Foto: NetApp-Endura

Der Tscheche Leopold König belegte 2013 bei der Spanienrundfahrt Platz 9. Foto: NetApp-Endura/Teaserbild: Destinys Agent/Flickr

Herr Denk, was ist das wichtigste Ziel, dass sich das Team NetApp-Endura für die Tour gesetzt hat?
Als erstes Ziel haben wir ausgegeben, mit Leo König in die Top15 der Gesamtwertung zu fahren. Mit de la Cruz (ESP), Huzarski (POL), Machado (POR) und Mendes (POR) stellen wir ihm gleich vier Bergfahrer als Unterstützung zur Seite. Daneben wollen wir auch in den Kampf um einen Etappensieg eingreifen. Mit Barta (CZE) und Dempster (AUS) sowie unseren deutschen Routiniers Schillinger und Voss haben wir auch bei den profilierten Etappen sehr gute Optionen.

Wie ist das, mit einer Wildcard zur Tour zu fahren? Wird das Team voll auf Angriff gehen oder erst mal abtasten, um nicht unterzugehen?
Der Auftakt der diesjährigen Tour ist bereits sehr schwer. Deswegen ist von Anfang an extreme Konzentration gefragt. Wir hoffen natürlich, dass wir in der Gesamtwertung in den ersten fünf Tagen keine Zeit verlieren. Die Etappen bieten aber auch eine gute Chance für uns und daher werden wir bereits in der ersten Woche sehr offensiv fahren.

Sollen zur Präsentation des Teams vor allem Ausreißversuche herhalten?
Das werden wir von Fall zu Fall und nach Rennsituation entscheiden, wie wir unsere Ziele am besten erreichen. Die Top15 in der Gesamtwertung und ein Etappensieg stehen für uns im Vordergrund. Wir fahren auf jeden Fall mit dem nötigen Respekt, aber selbstbewusst zur Tour.

Die Favoriten auf den Gesamtsieg im Kurzpotrait
Business Paris - wer fährt ins gelbe Trikot?

Alberto Contador

(Foto: scarlatti2004/Flickr.com, Creative Commons)

Contador – der verbissene Perfektionist ist auch im Zeitfahren stark. Foto: scarlatti2004/Flickr

Der Spanier ist ein einzigartiger, umstrittener Fahrer und seit seiner Dopingsperre  sicher kein Sympathieträger mehr. Aber eigentlich müssten ihn Radsport-Fanatiker lieben: Er ist ein Allrounder vom alten Schlag, kein reiner Bergspezialist wie Iban Mayo oder so viele andere Pyrenäen-Götter aus dem baskischen Team Euskaltel, die meist steife Beine bekamen, wenn es mehr als 50 km flach gegen die Uhr ging.

Nein, er reiht sich vielmehr ein in die etwas eingestaubte Liste derer, die alles können, wenn sie denn wollen: Merckx, Indurain, Hinault. Alle großen Rundfahrten hat er gewonnen, die Tour de France, natürlich die Vuelta á España und auch den Giro d´Italia, den viele Experten für deutlich schwerer als die Tour halten. So jemand kann immer gewinnen, auch wenn ihm sein Alter sicherlich einen Strich durch die Rechnung machen könnte, genau wie im letzten Jahr. 

Chris Froome

Vorjahressieger Froome (Foto: hans905/Flickr, Creative Commons)

Froome gewann die Tour im letzten Jahr. (Foto: hans905/Flickr

 Stampfte im letzten Jahr bei seinem ersten Tour-Sieg alles in Grund und Boden und hat seitdem nichts Bewegendes mehr gefahren – der Brite scheint sich ganz auf die große Schleife konzentrieren zu wollen. Der in Nairobi geborene Radler gibt Paris-Roubaix als sein Lieblingsrennen an und hat daher wohl auch kein Problem mit den 20 Kilometern Kopfsteinpflaster, die diese Ausgabe der Tour de France zu bieten hat. 

Sein Team Sky arbeitet hochprofessionell, hat mit Rigoberto Urán (COL) aber einen irre ambitionierten Kletterer verloren, der verständlicherweise selbst auf Sieg fahren möchte. Aber die Strecke ist auf Froomes Seite. Der hat nämlich im letzten Jahr nicht nur am legendären Mont Ventoux die Bergankunft gewonnen, sondern regelmäßig mit angsteinflößender Lässigkeit das Peloton kontrolliert. Wer ihn schlagen will, muss ihn kaputt fahren, Nairo Quintana (COL) hätte das vielleicht gekonnt, fährt nach seinem Giro-Sieg aber nicht mehr mit. Ob ein Weg an Froome vorbei führt?

Rui Costa

Portugals Sportler des Jahres - Rui Costa (Foto: instants-cyclistes.fr/Flickr, Creative Commons)

Rui Costa könnte Chancen haben. Foto: instants-cyclistes.fr/Flickr

Bei den meisten stünde hier wohl Vincenzo Nibali, der sicherlich ein starkes Team hat, unter anderem mit dem Edelhelfer Jakob Fuglsang (DAN). Aber: Der Portugiese Rui Costa fährt eine wahnsinnig starke Saison – gewann unter anderem die Tour de Suisse, mit der sich schon Jan Ullrich stets für die Frankreich-Rundfahrt getestet hat. Schlug ganz nebenbei Cristiano Ronaldo bei der Wahl zu Portugals Sportler des Jahres -zwei Jahre in Folge.

Schon letztes Jahr gewann er zwei Bergetappen, musste sich aber im Gesamtklassement mit Platz 27 zufrieden geben, weil er bei den Zeitfahren versagte. Das fällt aber in diesem Jahr nicht so stark ins Gewicht. Außerdem hat er mit Damiano Cunego (ITA) eines dieser ewigen Talente des Radsports als Edelhelfer. Wenn es einen Überraschungssieger gibt, dann vermutlich ihn.

 Wie stark möchten Sie das Team in Zukunft zum Vorreiter für Deutschland machen?

Ich denke, dass wir in Deutschland bereits Vorreiter sind. Wir sind derzeit das einzige deutsche Profi-Team. Diese Wahrnehmung in Deutschland mag ein wenig unter unserer internationalen Ausrichtung leiden, aber da müssen wir die Wünsche unserer Haupt- Sponsoren respektieren.

Ralph Denk ist Teamchef des einzigen deutschen Profiradteams. Foto: NetApp-Endura

Ralph Denk ist Teamchef des einzigen deutschen Profiradteams. Foto: NetApp-Endura

Verstehen Sie sich überhaupt als deutsches Team oder ist das Selbstverständnis eher europäisch?
Wir sehen uns ganz klar als deutsches Team. Wir zahlen in Deutschland unsere Steuern, der Firmensitz ist in Deutschland und auch das Management ist deutsch. Zudem bilden die vier deutschen Fahrer die Mehrheit aller Nationalitäten im Team.

Was sagen Sie dazu, dass in Deutschland Radsport momentan nur auf dem Spartensender Eurosport angeboten wird?
Zunächst muss man dankbar sein, dass Eurosport so intensiv von der Tour berichtet. Und die steigenden Quoten bestätigen den Sender sicher in seiner Ausrichtung. Dass die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr live dabei sind, finden wir, wie viele Fans, natürlich schade. Denn Radsport ist der größte Breitensport in Deutschland, die deutschen Top-Profis der neuen Generation fahren an der Weltspitze und wir haben einen großen Pool an Talenten mit Potenzial. Das hätte sicher ein größeres Publikum verdient.

Wer gewinnt das Bergtrikot? Die größten Favoriten
Klettermaxe - die Experten für die steilsten Gipfel

Die Bergwertung ist eine Punktewertung, bei der die Fahrer, die als erstes an einem Gipfel ankommen, eine bestimmte Anzahl von Punkten erhalten. Je schwerer der Anstieg, desto höher die Punktzahl. Endet die Etappe auf einem Berg, werden die Punkte für diesen verdoppelt. 

Pierre Rolland

Bester Franzose derzeit - Pierre Roland (Foto: instants-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Der beste Franzose derzeit ist wohl Pierre Roland. Foto: instants-cyclistes.fr/Flickr

Der französische Radsport konnten sich in den letzten Jahrzehnten vor allem über ihren großen Kämpfer Richard Virenque viele Bergtrikots erarbeiten. Dessen letzter Triumph war allerdings bei der französischen Ausgabe des Dschungelcamps. Doch auch in den folgenden Jahren sorgten Fahrer wie Anthony Charteau oder eben Pierre Rolland für Stimmung in den Bergen.

Der 27-jährige aus Gien gewann sogar schon auf den legendären 21 Serpentinen von L´Alpe d´Huez und wird sicherlich auch im Gesamtklassement Chancen auf eine gute Platzierung haben, bei dieser bergintensiven Tour. Hat zudem mit Thomas Voeckler einen weiteren französischen Nationalhelden mit Aussichten auf Klettererfolge im Team.

Joaquim Rodriguez

Rodriguez ist trotz seines Alters noch topfit. Foto: brassynn/Flickr

Rodriguez ist trotz seines Alters noch topfit. Foto: brassynn/Flickr

Der Bergexperte aus dem Team Katusha wurde im letzten Jahr Gesamtdritter. Dennoch wird es der 35-jährige Spanier auch auf Grund seines fortgeschrittenen Alters möglicherweise nicht mehr voll und ganz auf das Gesamtklassement abgesehen haben.

Das macht ihn aber umso gefährlicher für die Bergwertung, da ihm die ganz großen Favoriten auf den Gesamtsieg standesgemäß den Vortritt lassen werden, wenn es um das Einheimsen von Punkten und Etappensiegen geht. Rodriguez ist ein spanischer Kletterer alter Schule mit unglaublich hoher Ausdauer und Geduld. 

Vincenzo Nibali

Nibali ist ein unberechenbarer Faktor. Foto: instants-cyclistes.fr/Flickr

Nibali ist ein unberechenbarer Faktor. Foto: instants-cyclistes.fr/Flickr

Der Italiener wird von vielen als ein Geheimfavorit auf das Treppchen gehandelt. Zumindest in der Bergwertung wird er auf jeden Fall mitmischen können, auch dank seiner Erfahrung beim sehr bergigen Giro d´Italia,

Er kam als etwas blasser Ersatz für den berüchtigten Alexander Winokurow (KAZ) zum kasachischen Team Astana und gewann seitdem die Vuelta und den Giro, die zwei größten Rundfahrten nach der Tour de France. Wenn sich an den großen Anstiegen die Spreu vom Weizen trennt, wird jeder Rennleiter diesen Mann im Blick haben. 

 

Was hat dazu geführt, dass Ihr Sponsor trotz des schlechten Images des Radsports in Deutschland das Team hierzulande angesiedelt hat?
Die Lizenzvergabe ist nicht vom Sponsor vorgegeben, sondern richtet sich nach der Betreibergesellschaft des Rennstalls. Meine Firma hat ihren Sitz in Bayern und von mir war es auch ganz klarer Wunsch, dass wir von hier aus das Team aufbauen.

Auf welche Weise möchte das Team NetApp-Endura in diesen schwierigen Zeiten für den Radsport den sauberen Sport bewahren?
Unser Team fährt gerade im fünften Jahr. Mit unseren Fahrern haben wir den einzigartigen Weg vom Amateur-Niveau bis zur Tour de France geschafft. Auf diesem Weg haben wir jedes Jahr eine neue Stufe erklommen und uns so Schritt für Schritt entwickelt. In all der Zeit gab es nicht einen Dopingfall, nicht einmal ein Gerücht, bei uns im Team. Neben harten Verträgen halte ich diese schrittweise Entwicklung für besonders wichtig. Darüber hinaus haben wir uns sehr früh dem Blutpass-Programm (regelmäßige Speicherung biologischer Daten, Anm. d. Red.) unterworfen und sind Mitglied der MPCC (Anti-Doping-Verband (s. Infokasten), Anm. d. Red.), womit wir uns für einen noch höheren Anti-Doping-Standard einsetzen.

MPCC - auf dem Weg zu einem sauberen Sport
MPCC

Die MPCC setzt sich für rigoroses Vorgehen gegen Dopingsünder ein.

Nirgendwo auf der Welt litt der Radsport so unter dem Doping-Stigma, wie in Deutschland. Schon seit 2012 zeigen ARD und ZDF keine Livebilder mehr von der Tour de France. Im Jahr 2007 gründete sich deshalb die „Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport“ (frz. Mouvement Pour Un Cyclisme Crédible). Damals waren auch noch die mittlerweile aufgelösten deutschen Teams T-Mobile und Gerolsteiner dabei. Auch NetApp-Endura ist Mitglied in dieser Vereinigung, die sich selbst harte Maßnahmen auferlegt. Dazu gehören der Verzicht darauf, mit ärztlichem Attest Mittel von der Dopingliste zu verwenden. Unter anderem dürfen auch keine Fahrer verpflichtet werden, die bereits eine Dopingsperre auferlegt bekommen haben. 

Die Teams verpflichten sich mit Eintritt in die MPCC zur Selbstkontrolle und müssen sich selbst bei einem durch Dopingtests festgestellten Regelverstoß suspendieren. Immer wieder fordert die MPCC auch von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA ein stärkeres Eingreifen bei Dopingvergehen. Mit Erfolg: Anfang des Jahres verlangte die Organisation den Verbot von Xenon als Mittel zur Leistungssteigerung. Die WADA hat diesen Stoff nun auf die Dopingliste gesetzt.

Glauben Sie, dass der Kampf gegen das Doping zur obersten Priorität der Radsportwelt geworden ist?
Der Radsport ist bereits seit Jahren absoluter Vorreiter unter allen Sportarten im Kampf gegen Doping. Es gibt keine andere Sportart, die so ein konsequentes Anti-Doping-Programm entwickelt hat, dem sich kein Athlet entziehen kann. Und wir als Team tragen, wie alle Profi-Teams, zum Erfolg dieses Programms bei. Ich glaube, dies zeigt die Priorität ganz klar.

Wer hat die schnellsten Beine im Kampf um Grün?
Flachlandspezialisten - die besten Sprinter der Welt

Das grüne Trikot geht an den besten Sprinter. Auf Flachetappen wird der Etappensieg meistens im Massensprint auf der Zielgeraden entschieden. Die besten Fahrer jeder Etappe erhalten je nach ihrer Platzierung Punkte – je flacher die Etappe, desto mehr Punkte gibt es. Auch bei Zwischensprints auf der Strecke kann man Punkte sammeln, diese sind in den letzten Jahren sehr wichtig geworden.  Auf Flachetappen haben sich schon immer viele Fahrer spezialisiert – das Publikum liebt seine meist sehr extrovertierten Sprintstars.

Peter Sagan

Sprinter mit Popstar-Aura: Peter Sagan (instant-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Sprinter mit Popstar-Aura: Peter Sagan (instant-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Der erst 24-jährige Slowake gewann in den letzten beiden Jahren das grüne Trikot und ist damit in diesem Jahr ein sicherer Tipp, wenn es um den stärksten Sprinter geht. Er ist ein außergewöhnlich vielseitiger Sprinter, der sich in jungen Jahren auch noch Hoffnungen auf eine gute Platzierung im Gesamtklassement machen konnte. Zwar gewinnt er nicht so viele Etappen, wie seine größten Rivalen Cavendish und Greipel, sammelt aber immer und überall Punkte und kommt besser über die Berge, als jeder andere Etappenjäger.

Mark Cavendish

Mark Cavendish (Foto: instant-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Auf der Zielgeraden ein Bulldozer (Foto: instant-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Gibt seit einigen Jahren schon den Ton in der Szene an und hat mit Erik Zabel (Rekord-Gewinner des grünen Trikots) den besten Lehrmeister, den man sich nur wünschen kann.

Mit einem ähnlichen Temperament wie der frühere Superstar Mario Cipollini (ITA) gesegnet, hat Cavendish deutlich mehr Disziplin und konnte so schon einmal die Punktewertung für sich entscheiden. Auch in diesem Jahr hat er Chancen, wenn er die Berge ohne zu großen Kraftverlust meistern kann.

 

Marcel Kittel

Marcel Kittel (instant-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Marcel Kittel (instant-cyclistes.fr/Flickr; Creative Commons)

Die deutsche Hoffnung bei der diesjährigen Tour – schließlich gewann er 2013 vier Etappen inklusive dem prestigeträchtigen Abschluss auf den Champs-Élysées in Paris. Der Thüringer schien sich allerdings wenig für die Punktewertung zu interessieren, sammelte keine Punkte bei wichtigen Zwischensprints und konzentrierte sich lediglich auf die Etappenjagd. Aber dem deutschen Radsport würde es unheimlich gut tun, wenn wieder ein deutscher Fahrer ein Wertungstrikot von der Tour mit nach Hause bringen könnte. Kittel ist in jedem Fall in der Lage dazu, wenn er es schafft, sich die drei Rennwochen intelligent einzuteilen.

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