Crowdworking: Schnelles Geld oder riskantes Geschäft?

DSC_7390

Hinein in den Kiosk, das Zeitungsregal abfotografieren, ein paar Fragen beantworten und wieder raus. Minijobs im Netz dauern häufig nur ein paar Minuten, manchmal aber auch mehrere Tage. Jeder kann sie durchführen, wenn er schnell und talentiert genug ist. „Crowdworking“ nennt sich dieses Konzept. Doch ist das eine Bereicherung für die Arbeitswelt?

Alex ist 22 Jahre. Er hat schon für Coca-Cola, Total und Microsoft gearbeitet, erstellte Kampagnen für Greenpeace gegen Genfood, kreierte ein neues Flaschendesign für Wodka Gorbatschow und gestaltete Plakate für Unicef. Doch in all diesen Unternehmen ist er gänzlich unbekannt. Denn Alex ist Crowdworker. Er ist also Teil einer Masse, einer „Crowd“, die für Firmen Aufgaben erledigt.

Alex gibt es nicht wirklich. Doch genau so stellen sich die Unternehmen den perfekten Crowdworker vor: jung, kreativ und fleißig. Und am besten gibt es gleich mehrere davon. Für die Firmen ist Crowdworking ein Segen. Denn sie können die Kreativität zahlreicher Menschen nutzen. Die Idee ist einfach: Ein Unternehmen vergibt einen Auftrag nicht mehr an eine einzelne Person oder eine andere Firma, sondern wendet sich damit an die „Crowd“. Jeder, der will, kann den Auftrag bearbeiten. Doch nur die besten Ergebnisse werden auch bezahlt.

„Finde defekte Leuchtreklamen“

Die Arbeiten reichen von ganz einfach bis hochkomplex. Für das Fotografieren von Kassensystemen in Restaurants oder Bars gibt es drei Euro. Wer sich allerdings mit Verpackungsdesign auskennt, kann bis zu 13.000 Euro für ein Projekt verdienen. Was auf dem ersten Blick ganz profitabel klingt, ist in der Praxis aber oftmals frustrierend. Schließlich konkurrieren Crowdworker mit der ganzen Welt. Wer nicht gut genug ist, hat keine Chance. Er muss sich mit den kleinen Aufträgen zufriedengeben, die jeder kann.

Der Markt für Crowdworking ist noch im Wachsen. Nur eine Handvoll Plattformen haben sich bislang durchgesetzt. Auf dem Smartphone suchen die Crowdworker zum Beispiel mit der App „Appjobber“ nach Mini-Aufträgen. Das Programm zeigt auf einer Karte die noch verfügbaren Jobs in der Nähe an. Ist der Nutzer interessiert, kann er ihn mit einem Tipp annehmen. Darunter finden sich skurrile Fleißaufgaben wie „Finde defekte Leuchtreklamen“ (drei Euro pro Stück) oder „Finde Geschäftsneueröffnungen“ (2,50 Euro pro Stück). Die Nutzer müssen ein Belegfoto machen und ein bis zehn Fragen zum Job ausfüllen, dann bekommen sie das Geld.

placeit-3

Für Unternehmen ist die Aufteilung der Aufgaben sinnvoll: Sie sparen damit viel Zeit und Geld. „Prinzipiell nutzen Unternehmen AppJobber für all die Aufgaben, die sonst durch den Einsatz des eigenen Außendienstes oder durch den Einsatz von freien Mitarbeitern zu teuer oder logistisch zu komplex wären“, sagt Giuliana Ceresa von AppJobber aus Darmstadt. Beispielsweise wollen Hersteller prüfen, ob Ihre Produkte im Supermarkt wie vereinbart platziert werden oder die Außenwerbung dafür an der richtigen Stelle ist. Die Crowd kann die Aufgaben schnell und kostengünstig lösen.

Nicht mehr als ein paar Euro

AppJobber ist damit sicherlich die attraktivste, weil einfachste Möglichkeit, sich ein paar Münzen dazu zu verdienen. Rund 300.000 Leute nutzen die App mittlerweile. Reich wird man damit aber nicht. Bis zu 15 Euro gibt es für die Minijobs, bei kleinen Aufgaben wie das Fotografieren von Schildern ist aber meist nur 1 Euro drin. „Studenten können sich im Monat, dank AppJobber, ein paar nette Pizza-Abende mit Freunde gönnen“, meint Ceresa.

Wer mehr Geld verdienen will, braucht Fachkenntnisse, die er auf anderen Portalen anwenden kann. Zum Beispiel bei der Berliner Crowdworking-Plattform Jovoto. Hier kämpfen Designer, Architekten und Kommunikations-Experten um die begehrten Aufträge. Es gilt: Nur die Besten gewinnen. Die Deutsche Bank sucht auf der Plattform etwa ein neues Service-Konzept für ihre Kunden. Der Gewinn für den, der das überzeugendste Konzept vorlegt: 25.000 Euro. Eine französische Käserei hält Ausschau nach einem neuen Verpackungsdesign für die Marke Babybel. Die beste Einsendung erhält mehr als 4000 Euro.

Wie gut Jovoto funktioniert, zeigt das Beispiel Starbucks: Die Kaffeehaus-Kette war nicht zufrieden damit, dass die Plastik-Becher nach einmaliger Verwendung weggeworfen werden. Auf Jovoto gab Starbucks daher den Auftrag, das Problem zu lösen. Rund 15.000 Euro sollte der Sieger erhalten. Und die Resonanz war groß: Über 400 Vorschläge sandten die Nutzer ein. Gewonnen hat das Projekt „Karma Cup“. Die Idee: Jeder zehnte Kunde, der mit einem wiederverwendbaren Becher in den Laden kommt, kriegt den Kaffee umsonst. Zudem erhielten die Erfinder eines biologisch abbaubaren Bechers ein Preisgeld. Auch ein schwedisches Team wurde ausgezeichnet, das einen zusammenklappbaren Becher erfand.

Die bekanntesten Crowdworking-Portale

AppJobber

AppJobber muss der Nutzer als App kostenlos auf das Smartphone installieren (für iOS/für Android). Auf einer Karte zeigt das Programm die derzeit verfügbaren Jobs in der Nähe an. Zudem gibt es Aufgaben, die nicht ortsgebunden sind. Der Preis der Jobs ist im Vorfeld bereits bekannt.

Testbird

Bei Testbird können Nutzer gegen Geld Software, Apps oder Webseiten testen. Vergütet wird in den meisten Fällen, wenn die Tester Fehler gefunden haben und diesen als erstes melden. Auch einen Testbericht verlangen die meisten Unternehmen.

Streetspotr

Die App Streetspotr (für iOS/für Android) ist eine Alternative zu AppJobber. Auch hier können Nutzer ortsbasierte Aufgaben erledigen. Ist das Restaurant noch da? Wie sieht die Speisekarte aus? Belegfoto knipsen, Fragen beantworten und abschicken.

Jovoto

Jovoto ist gedacht für Designer, Architekten und Kommunikationsexperten. Unternehmen halten dort Ausschau nach neuen Konzepten zum Produktdesign oder Service. Die Nutzer können Ideen einreichen. Allerdings werden nur die besten Einsendungen vergütet.

Clickworker

Bei Clickworker geht es vorrangig um die Texterstellung. Unternehmen suchen Autoren, die Produkttexte, Glossars oder Ratgeber gegen ein bestimmtes Honorar schreiben. 

Die Beispiele zeigen: Wer gute Ideen hat, kommt beim Crowdworking schnell an viel Geld. Doch der Großteil der Teilnehmer geht leer aus. Von 12.000 Nutzern, die Ideen eingesendet haben, erhielten laut Jovoto nur 5000 ein Preisgeld. Der Rest verdiente nichts.

Großes Risiko, wenig Rechte

Dass das Crowdworking das Taschengeld nur selten übersteigt und ein festes Gehalt nicht sicher ist, sind die zentralen Probleme der neuen Arbeitsart. Die Selbstständigen tragen dabei das unternehmerische Risiko. Sie müssen darauf hoffen, dass den Unternehmen ihre Arbeit gefällt. Ansonsten gibt es kaum Geld. In den Vereinigten Staaten hat man für diese Wirtschaftsart sogar einen Begriff erfunden: die gig economy. Arbeitnehmer bekommen kein festes Gehalt mehr, sondern nur noch Gagen für lauter kurze Einsätze, die gigs.

Gewerkschaften sehen die Form der Arbeit kritisch. Denn auch viele Rechte der Arbeitnehmer entfallen, wenn sie nicht angestellt sind. Mindestlohn, Streikrecht, Urlaubsanspruch, Rente – all das gibt es nicht beim Crowdworking. Die Gewerkschaften Ver.di und IG Metall versuchen deshalb, gegen das Macht-Übergewicht der Arbeitgeber beim Crowdworking anzukämpfen. Ver.di dehnt etwa die politische Lobbyarbeit aus. Sie fordert, dass auch Arbeitgeber beim Crowdworking Beiträge in die Sozialkassen abführen müssen. Bislang ist dies nicht der Fall, da die Crowdworker keine Angestellten sind. IG Metall lässt die Nutzer auf der Webseite faircrowdwork.org Plattformen bewerten. Zudem bieten beide Gewerkschaften Beratungen und Ratgeber zum Crowdworking an. Dadurch wollen sie ein Gegengewicht zu den Arbeitgebern bilden.

Besserung in Sicht

Wie sich wenigstens das Problem mit der Bezahlung lösen lässt, zeigt das Berliner Startup Crowd Relations. Hierbei ist der Zugang zu den Ausschreibungen der Unternehmen beschränkt. Crowdworker können sich für ein Projekt bewerben. Jedoch dürfen nur die besten sechs Personen an dem Wettbewerb teilnehmen und Vorschläge einsenden. Damit steigt zum einen die Gewinnchance auf das Preisgeld. Zum anderen erhalten alle Teilnehmer auch ein festes Grundgehalt.

Die restlichen Richtlinien muss allerdings die Politik bestimmen. Bis Ende 2016 will das Arbeitsministerium die Kernfragen zum Crowdworking beantworten. Dabei geht es vor allem um die soziale Absicherung der Crowdworker. Erst dann wird der neue Arbeitszweig auch wirklich lukrativ für alle – für Unternehmen und Arbeitnehmer.

Titelbild: Robert Tusch, zweites Bild erstellt mit Placeit.net

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert