Echte Quartiersliebe

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Lokal, kreativ, lebendig. So lautet der Slogan der Urbanisten seit ihrer Gründung vor vier Jahren. Ihr Ziel: Die Kulturvielfalt im Ruhrgebiet mit der Entwicklung der Städte verbinden, auf Leerstände aufmerksam machen und den urbanen Raum verschönern. Ich habe einen Nachmittag im Urbanisten-Hauptquartier auf der Rheinischen Straße verbracht, hinter die Kulissen des Vereins geguckt und ein Salatblatt gegessen, dass mit Fischkot gedüngt war.

Jan Bunse ist 28 Jahre alt, studiert Raumplanung an der TU Dortmund und ist seit drei Jahren Urbanist. Ich treffe ihn an einem Nachmittag im Mai im Büro der Urbanisten, einem ehemaligen Ladenlokal, umfunktioniert zum Hauptquartier der Vereinsmitglieder. Hier planen sie ihre Projekte, sitzen im Sommer zusammen im Garten und arbeiten an neuen Ideen für Veranstaltungen oder Aktionen.         

Logo der Urbanisten

Als ich den hellen Raum betrete, sitzen etwa zehn Leute an einem großen Holztisch, essen genüsslich Döner und grüßen mit vollen Mündern. „Im Moment verschönert ein Teil von uns einen Spielplatz im Viertel. Die Klettergerüste werden gestrichen, die Hausfassaden drum herum gestaltet und verschiedene Beete angelegt. Jetzt gerade ist Mittagspause angesagt.“, erklärt Jan und geht mit mir ein Zimmer weiter, das sowohl die Küche als auch Büro zu sein scheint. Hier und da stehen kleine Pflänzchen herum, an einer Wand steht ein Gewächshaus in Miniaturgröße, das von einer Wärmelampe bestrahlt wird. An allen Gegenständen kleben gelbe Aufkleber mit dem Logo der Urbanisten und leuchten einem regelrecht entgegen. Ich fühle mich wohl und Jan beginnt zu erzählen:

Fast eine Stunde unterhalten wir uns über die Urbanisten, Jan’s Motivation im Verein mitzuarbeiten und seine Einstellung zum richtigen Leben in einer großen Stadt wie Dortmund. Ich frage ihn was ihn hier besonders stört. Für die Antwort muss er nicht lange überlegen: „Mich nervt total die Abhängigkeit vom Auto! Das ist sowas, wo man denkt das könnte man überhaupt nicht verändern, aber in einigen Straßen steckt soviel ästhetisches Potential und man sieht nur eine einzige große Blechwüste. Die Gesellschaft könnte sich besser entwickeln, wenn sich mehr im öffentlichen Raum abspielen würde. „Ich denke an meinen heißgeliebten roten Micra auf der anderen Straßenseite und bekomme ein schlechtes Gewissen. 

Urbane Gärten mitten in der StadtEfeu

Die Handlungsfelder der Urbanisten reichen von ihrem Kernpunkt Stadtgestaltung, über die Kunst und Kulturszene, bis hin zur Verbesserung von gesellschaftlichem Engagement in allen Teilen der Bevölkerung. Aus diesen Bereichen sind in den letzten Jahren viele große und kleine Projekte entstanden, die nicht nur, aber auch über die Nutzung des Internets verbreitet und erweitert wurden. 

Ein Beispiel von vielen ist das Projekt „Urbane Oasen“, das 2012 mit der Gründung eines Gemeinschaftsgartens im Unionviertel begann und sich mittlerweile zu einer Netzwerkplattform entwickelt hat, auf der sich alle Urban-Gardening-Projekte vorstellen und austauschen können. Hierbei geht es vor allem ums Verschönern und Begrünen von Stadtgebieten, aber auch um den Anbau von eigenen Lebensmitteln in der Stadt. Doch auch der sei nicht immer ganz problemlos, erklärt mir Jan: „Es ist schön und gut Kräuter und Gemüse in die Erde zu pflanzen, aber häufig sind die Böden im Ruhrgebiet kontaminiert oder durch Altlasten, wie zum Beispiel aus der Stahlproduktion, verseucht.“

Logo der Urbanisten

Die effiziente Lösung: Aquaponik 

Die neue Herausforderung war also schnell gefunden: Nahrungsmittelproduktion in der Stadt effizienter gestalten. Nach einigen Wochen fing ein Team der Urbanisten unter der Leitung von Chemieingenieur und Hobbygärtner Rolf Meinecke an, auf dem Union Gewerbehof Schutt zur Seite zu räumen. Sie errichteten ein 15m2 großes Gewächshaus und konstruierten in ihm eine sogenannte Aquaponikanlage.

Aquaponik setzt sich aus den Worten Aquakultur und Hydroponik zusammen. Unter Aquakultur ist eine einfache Fischzucht zu verstehen, die im Aquaponiksystem die erste wichtige Komponente darstellt. Als Hyroponik bezeichnet man die Aufzucht von Pflanzen in Substrat, also nicht in der Erde, sondern zum Beispiel in Blähton. Verbindet man nun diese beiden Systeme miteinander, entsteht ein Kreislauf:  Das Wasser mit den Ausscheidungen der Fische läuft durch das Substrat in dem die Gemüsepflanzen oder Kräuter stehen. Es dient als eine Art Biofilter und wandelt das Ammonium im Kot der Fische in, für die Pflanzen verwertbare, Nährstoffe um. Diese können die Pflanzen dann aufnehmen und reinigen so wieder das Wasser für die Fische.

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Hier erklärt der Urbanist Jan Bunse den Aquaponik-Kreislauf anhand der Abbildung.

Das Prinzip von Aquaponik ist quelloffen, das heißt jeder kann im Internet hunderte, wenn nicht tausende, von Bauanleitungen für Aquaponikanalgen finden. Rolf, Jan und ihr Team machten sich also Anfang 2013 an die Planung des Eigenbaus, probierten viel herum, testeten den Mechanismus auf kleinem Raum und trauten sich schließlich ans Großformat. Heute bewohnen 18 Spiegelkarpfen das Wasserbecken im Gewächshaus und sorgen dafür, dass Tomaten, Rucola, Chili und Co. in ihren Pflanzbeeten schnell wachsen. Das tun sie auch und bereits die erste Erntesaison im Herbst 2013 war ein voller Erfolg. 

Pflanzen-und-HandEin Schnäppchen war die Anlage allerdings nicht: „Wir haben den ganzen Spaß privat finanziert und mittlerweile stecken mehrere tausend Euro in dem Gewächshaus“, erzählt Jan und zuckt die Schultern. Der Spaß scheint es ihm definitiv wert gewesen zu sein. Trotzdem: Eine Anlage dieser Größe rechnet sich nur, wenn man den Anbau über ein oder zwei Jahrzehnte betreibt oder Kunden hat, die bereit sind einen höheren Preis für die Produkte zu bezahlen.

Doch auch aus günstigeren Materialien und ohne kostspielige Messelektronik lässt sich ein Aquaponiksystem bauen und genau das macht für die Urbanisten den Reiz aus: „Wir können einfach sagen, wir benutzen recycelte Materialien und gehen in Leerstände oder auf Dächer, in vernachlässigte Räume oder auf Restflächen und da machen wir dann Nahrungsmittelproduktion.“ 

Der Geschmackstest

Ist ja alles schön und gut, denke ich mir während ich weiterhin vor Jan sitze und krampfhaft versuche begeistert zu lächeln, aber die Sache mit dem Fischkot ist mir irgendwie noch nicht so ganz geheuer. Allem Anschein nach ist mir mein kleines Gesichtsschauspiel nicht besonders gut gelungen, denn als könnte er meine Gedanken lesen, erklärt Jan:

Und um die Zweifel bis auf das letzte Fünkchen aus meinem Gesicht zu verbannen, läuft Jan mit mir ins Gewächshaus. Ich bin beeindruckt von den kleinen Pflanzen, die allesamt kerngesund aussehen und in fast grellem Grün leuchten. Unscheinbarer sind dagegen die Fische: Sie haben sich in der hintersten Ecke ihres Beckens verkrochen und lassen sich noch nicht einmal mit leckeren Soldatenfliegenlarven aus ihrem Versteck locken. Egal. Mich interessiert sowieso erstmal wie das Gemüse schmeckt. Unsicher beiße ich eine kleine Ecke vom Rucolablatt ab, das Jan mir von dem Pflänzchen abgerissen hat. Und was soll ich sagen, er hatte vollkommen recht! Es schmeckt echt viel intensiver als herkömmlicher Supermarkt-Rucola und ist außerdem irgendwie fester. Und so sehr ich mich auch anstrengte ihn zumindest zu erahnen: Keine Spur von Exkrementen-Beigeschmack.

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Als ich am frühen Abend wieder im Auto sitze und auf der A43 im Stau stehe, beschließe ich, dass ich mir unbedingt endlich mal eine schöne Pflanze für mein Zimmer kaufen muss. Am besten fahre ich gleich wenn ich zuhause bin noch mal los. Mit dem Fahrrad.

Logo der Urbanisten

Fotos | Mona Ameziane
Zeichnung | Pierre Pauma 

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