Rechts neben dem Rechtsstaat

Promenade am Fluss Motlawa in Danzig Foto: Fabian

Promenade am Fluss Motlawa in Danzig Foto: Fabian

Seit Monaten steht die neue Regierung Polens für ihre Handhabung der Rechtsstaatlichkeit in der Kritik. Fabian aus Dortmund hat mit Erasmus das Wintersemester in Danzig studiert – und den Rechtsruck und die Fremdenfeindlichkeit im Land miterlebt.

Gleich am zweiten Abend in Danzig bekommt Fabian es am eigenen Leib zu spüren. Er erzählt, wie er in der Septembernacht allein von einem Club nach Hause geht. Er schlendert durch die Straßen der Altstadt. Der 23-Jährige studiert Wirtschaftswissenschaften an der TU Dortmund. Er ist für ein Semester als Erasmus-Student in der polnischen Stadt. Sie gefällt ihm, auf dem Weg zurück in die Wohnung schießt er noch einige Fotos. Dann hört er hinter sich einen Mann, der etwas auf Polnisch sagt. „Ich habe mir nichts dabei gedacht“, sagt Fabian. Er versteht kein Polnisch, mit den Einheimischen unterhält er sich auf Englisch. Ein Wort kann er allerdings deutlich und häufig aus den Ausführungen des Mannes heraushören: „Kurwa“ – zu Deutsch: „Verfluchte Scheiße!“ Fabian denkt sich immer noch nichts dabei. Schließlich dreht er sich doch um – und sieht, wie der Mann auf einmal auf ihn zurennt. „Daraufhin bin ich auch losgesprintet. Das ging nicht lange. Nur eine halbe Minute oder so. Dann ist er stehen geblieben und hat auf Englisch gerufen: , Sprichst du kein Polnisch?’ Aber ich bin einfach weiter gerannt“, erzählt Fabian. Erst, als er wieder den Schlüssel zu seiner Wohnung ins Schloss steckt, fühlt er sich sicher.

Eine Regierung rückt nach rechts

Fremdenfeindlichkeit ist etwas, das ihm häufig in Danzig begegnet ist wie Fabian sagt. Polen erlebt einen politischen Rechtsruck. Seit November 2015 ist in Polen eine neue Regierungspartei an der Macht: Die „Prawo i Sprawiedliwość“ („Recht und Gerechtigkeit“), kurz „PiS“ genannt. Die Partei gilt als konservativ und nationalistisch. Nach nur kurzer Zeit im Amt hat die PiS ein Gesetz verabschiedet, das die Arbeit des Verfassungsgerichtshofs erschwert. Um Entscheidungen zu fällen, braucht dieser jetzt eine Zweidrittel- statt einer einfachen Mehrheit. Experten sehen diese Entwicklung mit Sorge: „Die Ereignisse um den Gerichtshof haben der Demokratie geschadet, denn dessen Unabhängigkeit ist nicht mehr gewährleistet“, sagt Dr. Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt. Zudem hat die PiS die Kontrolle der Regierung über die Geheimdienste verstärkt. Nachdem die Generäle der vier Dienste zurücktraten, hat ein wegen Amtsmissbrauchs verurteilter PiS-Funktionär die Kontrolle über die Behörden übernommen. Er wurde kurzerhand von Präsident Andrzej Duda begnadigt. Er ist, wie sein deutscher Amtskollege, kein Regierungsmitglied.

Der Wunsch nach Machterhalt
Außerdem verabschiedete die PiS ein neues Mediengesetz, das die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien einschränkt. Laut Kaluza ist diese Einstellung gegenüber den Medien aber nichts, was die PiS erfunden hätte. Vielmehr sei das Gesetz „Ausdruck einer Mentalität, nach der der Wahlsieger staatlich kontrollierte Bereiche für sich beansprucht“. Den Wunsch nach Machterhalt hätten alle Parteien. Die PiS gehe diesem aber sehr skrupellos nach: Laut Kaluza sollen nun zunächst die Direktoren der öffentlich-rechtlichen Medien von der Regierung ausgetauscht und in einem zweiten Schritt Journalisten überprüft werden. Aus öffentlich-rechtlichen Medien werden Staatsmedien. Die in Polen recht einflussreichen privaten Medien sind davon zunächst allerdings nicht betroffen. Die Europäische Union sieht diese Schritte kritisch.

Die EU-Kommission hat eine Prüfung zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit Polens eingeleitet, im Ernstfall könnte Polen sein Stimmrecht in der Kommission verlieren. Die PiS wiederum will nicht, dass sich die EU in ihre Politik einmischt. Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo weist Vorwürfe aus dem Ausland als „Verleumdung“ zurück. Die PiS folge einer anderen „nationalen Erzählung“ als die EU-freundlichen Regierungen vor ihr, sagt Andrzej Kaluza. „Sie stellt das nationale Interesse Polens in den Mittelpunkt.“

Zwischen Skepsis und Verachtung

„Die Leute, die ein gewisses Maß an Bildung haben, sehen die Regierung derzeit sehr kritisch“, sagt Erasmus-Student Fabian. „Wenn du in einer Kneipe mit Polen ins Gespräch kommst – das ist schon heftig. Da kommt Alltagsrassismus durch und es werden Sachen gesagt wie: ,Wir müssen uns gegen den Islam verteidigen.’ Man merkt schon, dass die PiS irgendwo hier ihre Wähler haben muss.“ Freunde an der Uni sähen die Partei kritischer. Dort herrsche die Angst vor, die PiS könne im Alleingang den Staat umstrukturieren.

Obwohl Fabians Kommilitonen mit vielen Ansätzen der PiS nicht einverstanden sind – bei einem Thema sind sie fast einer Meinung mit ihrer Regierung: Flüchtlingspolitik. „Vor allem nach den Terroranschlägen in Paris kam wieder die Flüchtlingsdiskussion auf. Flüchtlinge will man eher nicht haben. Konkrete Begründungen können viele nicht nennen. Sie argumentieren damit, dass da viele Kriminelle unter den Flüchtlingen seien. Ich glaube, die Angst ist ein wichtiger Faktor“, sagt Fabian. Dann berichtet er von Anti-Islam-Demonstrationen in Danzig: „Da wird mit Bengalos, Polenböllern und Gesängen durch die Hauptstraße der Altstadt gezogen.“ Erklären kann sich Fabian diese ablehnende Haltung nicht. Einige Gesprächspartner sagen, sie sei vor allem der Geschichte geschuldet. Bis vor 25 Jahren war Polen kein autonomes Land sondern Teil der Sowjetunion und wurde auch davor schon von Deutschland und Sowjetunion besetzt. Andere nennen die wirtschaftliche Lage als Grund für die Unzufriedenheit.

Die wachsende Fremdenfeindlichkeit, von der Fabian erzählt, bestätigt auch Kaluza. Allerdings gebe es dieses Phänomen angesichts der Flüchtlingskrise überall in Europa. Das Problem sei, dass die Polen mit muslimischen Einwanderern bislang keine eigenen Erfahrungen gemacht hätten. Stattdessen würden sie ihre Informationen von Politikern und aus Medien beziehen. „Das Mobilisierungspotenzial der Einwanderungsgegner ist groß. Als Ursache werden vor allem mangelnde persönliche Erfahrungen mit Migranten und antiislamische Vorurteile genannt“, sagt der Experte. Davon unabhängig sei es allerdings nicht zu mehr Gewalttaten gegenüber Ausländern gekommen, die durch Rassismus motiviert waren.

Leerstehendes Gebäude in Gydnia, einer Hafenstadt im Norden Polens Foto: Fabian

Leerstehendes Gebäude in Gydnia, einer Hafenstadt im Norden Polens Foto: Fabian

Schuldzuweisungen und Fremdenhass

Bei einer Reise der Erasmus-Gruppe nach Warschau wird Fabian ein weiteres Mal Opfer von Fremdenfeindlichkeit. Mit einem niederländischen Freund und einem polnischen Jugendlichen startet er ein unverfängliches Gespräch. Als dieser dann fragt, woher denn die anderen beiden kommen, sagt Fabian, dass er Deutscher ist. Schnell kippt die Stimmung, der polnische Jugendliche ist aufgebracht. „Er hat mich schließlich beschuldigt, ich sei Schuld an der derzeitigen Misere mit der Flüchtlingskrise und am Zweiten Weltkrieg. Ich sei schuld, dass seine Verwandten im Krieg gefallen seien. Da habe ich ihm gesagt, dass ich ja zu dem Zeitpunkt noch nicht geboren war und ich nur die Verantwortung dafür übernehme, dass so etwas nie wieder passiert, aber nicht die Verantwortung für das, was passiert ist“, erzählt Fabian. Doch der junge Pole lässt nicht mit sich reden. Schließlich raten die Freunde Fabian, die Runde zu verlassen. „Du weißt nie, wie die reagieren“, sagt er.

Zunächst kann Fabian die Anschuldigungen nicht fassen. „Ich konnte das mit der Schuld an der Flüchtlingskrise und der Merkel-Politik noch ein bisschen nachvollziehen, weil ich ja auch wahlberechtigt bin“, sagt er. „Aber das mit dem Zweiten Weltkrieg hat mich echt geärgert.“ Fabian hat selbst noch kurz vor seinem Abflug nach Polen geholfen, nachts Tüten für Flüchtlinge zu packen, die mit dem Zug am Dortmunder Hauptbahnhof ankamen. Als dort Rechtsextreme aufmarschierten, nahm er an einer Gegendemonstration teil. Umso größer ist das Unverständnis des Dortmunders über die Anschuldigungen des Polen: „In der Situation habe ich das schon persönlich genommen. Das hat mich sehr geärgert.“

Kaluza hält das für eine Ausnahme. Tatsächlich stehe eine Minderheit den Deutschen ablehnend gegenüber, und auch da gebe es einen Zusammenhang zur neuen Regierungspartei: „Die bisherigen polnischen Regierungen stärkten im Konsens mit der deutschen Politik die Bedeutung Polens in der EU. Auch hier ist die Sicht der PiS eine andere. Sie ist in der Außenpolitik unerfahren und steht der EU, vor allem aber auch Deutschland, reserviert gegenüber. Gelegentlich bedient sie auch antideutsche Ressentiments.“ Diese hätten aber bisher nur wenig Anklang bei den Polen gefunden. Zu eng seien die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland.

Das Glück mit der Hautfarbe

Fabian ist zwei Mal glimpflich davon gekommen. Andere Erasmus-Studenten hatten dieses Glück nicht. „Fünf bis sechs Leute aus meiner Erasmus-Gruppe haben auch schon auf die Mütze bekommen. Teilweise aus richtig nichtigen Gründen. Da muss man aufpassen, viele Polen schlagen schnell zu.“ Fabian vermutet, dass sie vor allem dann schnell gereizt sind, wenn sie merken, dass man kein Polnisch spricht. Er erzählt von einem Freund, der auch aus Dortmund kommt und pakistanische Eltern hat: „Das sieht man ihm aufgrund seiner Hautfarbe auch an. Er wurde in Polen sogar schon von der Innenstadt bis zu seinem Studentenwohnheim verfolgt.“ So schlimm sei es auch anderen ergangen. Ein Inder sei auf dem Heimweg mit Pfefferspray angegriffen worden. „Das ist nochmal eine Spur heftiger, als das, was uns mit weißer Hautfarbe widerfährt“, sagt Fabian.

Seine Begeisterung für das Erasmus-Semester haben diese Erfahrungen nicht beeinträchtigt. Nach den Weihnachtsferien ist er wieder nach Danzig geflogen, um dort noch einige Prüfungen zu schreiben. „Die Momente und die Freundschaften, die ich geschlossen habe, sind viel größer, als diese Dumpfbacken, die mir die Freude an meinem Aufenthalt schmälern wollen“, sagt er.

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