Im Zeugnis nur der Durchschnitt

Das Praktikum ist vorbei – und eigentlich lief alles gut. Nur das Zeugnis ist leider nicht wie erwartet ausgefallen. Welche Rechte und Pflichten Praktikanten haben und wie sie sich gegen schlechte Zeugnisse wehren können, erklärt Ingelore Stein, Anwältin für Arbeitsrecht im pflichtlektüre-Interview.

Von Christina Schönberger

Anwältin Ingelore Stein

Ingelore Stein, Anwältin für Arbeitsrecht, kennt sich aus mit Praktikums-Zeugnissen. Foto: Lena Kalmer

Haben Sie unter Ihren Mandanten auch Studenten?

Studierende sind in der Regel nicht so klagefreudig. Die haben ja oft nur kleinere Jobs und kennen dadurch häufig auch gar nicht ihre Rechte. Deswegen setzen Sie sich auch seltener mit einem Anwalt auseinander. Wir vertreten gelegentlich Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis gekündigt worden ist, aber gerade im Arbeitsrecht haben wir eher wenige Studierende.

Sollte man sich denn auch als Student öfter gegen schlechte Zeugnisse wehren?

Wenn man einen Job hat, dann hat man Rechte und Pflichten. Und wenn in die Rechte eingegriffen worden ist, dann sollte man sich auch wehren. Ich habe das zum Beispiel bei meiner Tochter erlebt, die hat auch einen Nebenjob im Einzelhandel gehabt, da hat der Arbeitgeber um 20 Uhr die Stempeluhr ausgemacht und gesagt: „Ich zahle nur bis 20 Uhr.“ Tatsächlich war meine Tochter aber häufig bis 20:30 Uhr oder 20:45 Uhr da. Jetzt hatte sie aber zum Glück eine Rechtsanwältin zur Mama und ich habe dann hingeschrieben und gesagt: „So, die halbe Stunde, zumindest die halbe Stunde, hätten wir gerne.“ Und so etwas passiert ganz vielen. Von da aus – ja, da kann man sich wehren, wenn man will. Natürlich muss man sich überlegen, dass es oft eben nur ein Job ist, da macht man dann kein Drama draus. Ausbeutung muss man deshalb trotzdem nicht hinnehmen.

Das Gleiche gilt auch für Praktikumszeugnisse?

Ja. Beim Thema Praktikum ist es ja so, dass es dem beruflichen Werdegang dienen soll und von daher ist es ja auch ein bisschen wie ein Ausbildungszeugnis. Und wenn die Praktikumszeugnisse für die Zukunft relevant sind, ist es ja ganz erheblich, was drinsteht. Deshalb darf man sich gegen ein Praktikumszeugnis, das nicht richtig ist, genauso wehren, wie gegen jede andere Leistungsbeurteilung. Wenn man sich wehrt, kostet es natürlich Geld, und über die Kostenseite muss man sich auch Gedanken machen. Gegen ein falsches Zeugnis nach einem Langzeitpraktikum zum Beispiel, das für die Zukunft eine große Rolle spielt, sollte man sich unbedingt wehren.

Also nicht denken: Lieber ein schlechtes als gar kein Zeugnis?

Nein. Wenn es ein Praktikum unter drei Monaten war, würde ich mir einfach nur eine Praktikumsbestätigung geben lassen. Die ist tausend Mal wertvoller als ein schlechtes qualifiziertes Zeugnis. Denn ein potentieller Arbeitgeber sieht dann: „Oh, da hat sie auch schon mal gearbeitet. Das ist ja toll. Fertig.“

Wie kann man als Student im Ernstfall eine Klage überhaupt finanzieren?

Man braucht eine Rechtschutzversicherung, wenn man einen Anwalt beauftragt. Man kann sich aber zum Beispiel auch als Studierender schon gewerkschaftlich organisieren, wenn man in einem Arbeitsverhältnis ist. Gewerkschaften haben Rechtschutz und eigene Juristen. Man kann sich natürlich auch privat rechtschutzversichern oder ist, wenn man zuhause lebt, über die Familienversicherung der Eltern mitversichert.

Wenn ich finde, dass ein Zeugnis nicht gerechtfertigt ist, dann rufe ich Sie an und frage, ob Sie mir helfen können?

Nein, erst einmal nicht. Als erstes würde man den Weg des normalen Umgangs wählen. Man würde den Arbeitgeber aufsuchen und sagen: „Hör mal zu, das kann ich gar nicht verstehen, warum habe ich denn so ein Zeugnis gekriegt? Du weißt doch, dass das für meine Zukunft wichtig ist.“ Das geht aber nur, wenn man noch miteinander reden kann. Wenn ein schlechtes Zeugnis da ist, dann konnte man vermutlich nicht mehr miteinander reden. In dem Fall dann den Arbeitgeber anschreiben und sagen: „Hier, das Zeugnis entspricht nicht den Tatsachen und ich kann nicht verstehen, wieso die Bewertung so schlecht ist. Bitte geben Sie mir ein anderes Zeugnis.“ Und da würde ich dann auch schon einen Gegenentwurf mitschicken, im Zeitalter der Technik per E-Mail, mit der Bitte, das auf das Briefpapier des Arbeitgebers zu übernehmen. Dann hat der es leicht und muss nicht alles noch einmal schreiben. Viele Arbeitgeber wollen sich nur wenig Arbeit mit Praktikanten machen, die wollen häufig schon nichts bezahlen, und dann wollen sie erst recht keine Arbeit mit so etwas haben. Wenn man ein Zeugnis vorformuliert, bedeutet das eine Arbeitserleichterung und erhöht auch psychologisch die Bereitschaft, dass der Vorschlag auch übernommen wird.

Kurz gesagt?

Also, erster Schritt: miteinander reden. Zweiter Schritt, wenn man merkt, dass das Verhältnis nicht so gut ist: anschreiben. Dann, wenn das alles nicht fruchtet, ein zweites Anschreiben mit Fristsetzung und danach kann man sich überlegen, wenn nicht eine einfache Bescheinigung reicht, es über die Gewerkschaft oder über einen Anwalt zu versuchen, ein anständiges Zeugnis zu bekommen. So würde ich das machen.

Und wie sind dann die Aussichten auf Erfolg?

Das ist schwierig abzuschätzen, 90% der Fälle beim Arbeitsgericht werden mit Vergleichen abgeschlossen, bei Zeugnissen eigentlich nahezu 100%. Denn bei Zeugnisklagen ist es ja Quatsch, irgendetwas durchzusetzen.

Wenn Sie jemanden vertreten sollen, wie entscheiden Sie, ob der Vorwurf berechtigt ist?

Ich sag mal, das ist natürlich die Erfahrung im Laufe der Jahre mit Zeugnisklagen. Man kann dann schon sofort erkennen, inwieweit das Zeugnis von der Bewertung mehr eine 3, eine 4, eine 2 oder eine 1 ist. Das sieht man zum Beispiel an den Zeugnisfloskeln. Das Problem ist aber, dass ein Zeugnis zwar immer dem beruflichen Werdegang dienen soll und deshalb vom Prinzip her wohlwollend und fördernd formuliert sein muss. Aber es muss nicht gut oder sehr gut sein, sondern nur durchschnittlich.

Aber wenn ich mit einem durchschnittlichen Zeugnis nicht zufrieden bin?

Wichtig ist dabei die Frage nach den Beweisen. Alles Unterdurchschnittliche muss der Arbeitgeber, alles Überdurchschnittliche muss der Arbeitnehmer, also der Praktikant, beweisen. Und wenn man ein durchschnittliches Zeugnis hat, muss man beweisen können, dass man besser war. Das geht zum Beispiel, wenn man zwischendurch vor Zeugen gelobt worden ist, wie toll man ist, wie engagiert man ist und davon findet sich nichts im Zeugnis.

Fleiß und Pünktlichkeit spielen in Zeugnissen auch heute noch eine wichtige Rolle, meint Anwältin Ingelore Stein. Foto: Lena Kalmer

Fleiß und Pünktlichkeit spielen in Zeugnissen auch heute noch eine wichtige Rolle, meint Anwältin Ingelore Stein. Foto: Lena Kalmer

Welchen Anspruch habe ich überhaupt auf ein Zeugnis?

Ja, da gibt es in der Gewerbeordnung den Paragraph 109: Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben über Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. Daraus hat man dann auch abgeleitet, dass es wohlwollend formuliert sein und dem beruflichen Werdegang dienen muss. Man könnte sich jetzt noch darüber streiten, ob ein Praktikant ein Arbeitnehmer ist. Aber ich würde immer davon ausgehen, dass, wenn man eine berufliche Tätigkeit ausübt, das so ähnlich wie eine Ausbildung ist. Und im Berufsausbildungsgesetz steht, dass man natürlich einen Rechtsanspruch auf ein Zeugnis hat. Und nicht nur auf eine einfache Bestätigung. Ich würde mal sagen, wenn ein Praktikum länger als vier Wochen gedauert hat, dann nicht nur eine einfache Bescheinigung, sondern durchsetzen, dass man eine qualifizierte bekommt.

Muss ein Zeugnis eine bestimmte Struktur haben?

In der Regel ist es so, dass der Arbeitgeber erst einmal beschreibt, was ein Unternehmen macht. Dann schreibt er, was der Arbeitnehmer getan hat. Und dann kommt die Bewertung. Manchmal fließt die Bewertung aber auch schon in die Aufgabenbeschreibung ein.

Was muss überhaupt in einem Zeugnis stehen?

Ein Zeugnis muss vollständig und richtig sein, dazu gehört zum Beispiel, dass es ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler ist. Darauf hat man einen Rechtsanspruch. Der Arbeitgeber, beziehungsweise derjenige, bei dem man sein Praktikum gemacht hat, ist auch verpflichtet, alles vollständig aufzuführen, was man getan hat. Und wichtig ist, sich während seines Praktikums immer ein paar Stichpunkte zu machen. Was habe ich hier konkret an dieser Praktikumsstelle gemacht? Was hat mich vorwärts gebracht? Was habe ich schon gedurft? Welche Aufgaben habe ich schon bekommen? Und dann sollte man sich am Ende des Praktikums überlegen, was brauche ich wohl in der Zukunft von den ganzen Dingen, die ich gemacht habe? Dass man Kaffee gekocht hat natürlich nicht, aber wenn man schon wesentliche Aufgaben übertragen bekommen hat, die sollten rein. Diese Essenzen sind wichtig und da hat man einen Rechtsanspruch drauf. Wenn dann etwas fehlt, kann man das durch seine Mitschriften beweisen.

Und worauf sollte man sonst noch achten?

Das Zeugnis muss ohne Adresse des Empfängers sein, denn das Zeugnis hat mit der Adresse nichts zu tun. Dafür gibt es ein Anschreiben. Das Zeugnis darf auch nicht geknickt, nicht geheftet, nicht geklammert sein – nichts! Ein wunderschönes Exemplar, wie man auch sein Masterzeugnis kriegen würde. Ordentlich auf dem Briefkopf des Arbeitgebers, mit den Unterschriften der Befugten. Und auch noch wichtig ist, dass das Ausstellungsdatum mit dem Datum des letzten Praktikumstages identisch ist. Also, wenn das Praktikum am 31.03. geendet hat, muss das Ausstellungsdatum auch 31.03. sein. Maximal vielleicht 14 Tage später. Sobald es einen großen abweichenden Zeitraum zwischen der Beendigung des Praktikums und dem Ausstellungsdatum gibt, weiß ein potentieller Personalchef: „Die haben sich um das Zeugnis gestritten.“ Denn man hat als Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, dass die  Arbeitspapiere und das Zeugnis unmittelbar am Ende des Beschäftigungsverhältnisses übergeben werden.

Wissen das denn alle Unternehmen?

Kleine Unternehmen wissen es oft nicht und sind dann auch dankbar für solche Hinweise. Deswegen würde ich auch immer sagen, das erste, was man machen sollte ist, man geht noch einmal hin und sagt: „Oh, wissen Sie, ich kenne mich mit Zeugnissen nicht aus und ich habe mich mal umgehört im Bekanntenkreis und so weiter und jetzt habe ich ein Problem mit dem Datum. Klar, Sie hatten ja auch keine Zeit, ich auch nicht, ich habe mich nicht gekümmert, ist jetzt ein halbes Jahr her, aber können Sie mir bitte noch das Datum berichtigen?“ Und gucken Sie, noch ein paar Rechtschreibfehler, ich hab Ihnen das noch mal per Mail geschrieben.“ Dann würden die das doch auch berichtigen.

Stimmt es, dass Selbstverständlichkeiten wie zum Beispiel Pünktlichkeit nicht mit ins Zeugnis sollten?

Nein, es gibt immer noch viele Arbeitgeber, die darauf achten – Ehrlichkeit, Fleiß und Pünktlichkeit. Spätestens, wenn man mit Geld umgeht, will man die Ehrlichkeit, spätestens, wenn man innerhalb kürzester Zeit viel zu tun hat, braucht man den Fleiß, also heutzutage Engagement. Pünktlichkeit ist jedenfalls nicht negativ. Ich würde sagen, man erwartet es heute schon noch. In den meisten Zeugnissen, die ich gelesen habe, ist Pünktlichkeit immer noch drin. Etwas anderes ist es aber, wenn da nur steht: Sie war stets ehrlich, pünktlich, fleißig – und sonst nichts. Da fragt man sich, wo der Rest ist.

Sollte man sein Zeugnis selbst schreiben?

Ja klar, warum denn nicht? Ich finde, dass das sogar ein Vorteil ist, weil man dann die Gewähr hat, dass letztendlich alles reinkommt, was man selber für sich wichtig findet. Die Bewertung ist natürlich das Problem, gerade als junger Mensch überschätzt man seine Persönlichkeit nicht, sondern stapelt eher tief. Aber da sollte einfach ein Dritter die Bewertung lesen. Man sollte sich nicht unter Wert verkaufen. Also erst einmal in höchstem Maße loben, es geht ja schließlich um das spätere Leben. Kürzen kann man immer.

Wie sieht das mit den guten Wünschen für die Zukunft am Ende des Zeugnisses aus?

Wenn das am Ende nicht steht, also für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg und so weiter, dann hat man das Gefühl: So richtig mochten die sich wohl doch nicht. Man hat keinen Rechtsanspruch auf diesen letzten Satz, das ist Wohlwollen, ein netter Akt, weil das überhaupt nicht zum Zeugnis gehört. Denn es ist ja keine Bewertung, sondern etwas Persönliches. Und wenn das Persönliche fehlt, dann weiß man: Die haben sich nicht verstanden. Damit kann man einen rausknocken. Man kann jemanden ganz wunderbar bewerten und am Ende steht überhaupt nicht, was man ihm für die Zukunft wünscht. Dann weiß man – oh, irgendwas stimmte da doch nicht. Dieses für die Zukunft alles Gute wünschen, das ist eine übliche Floskel, wenn die fehlt – oh je, das ist dann nicht so günstig.

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