Science Slam – Kann Wissenschaft cool sein?

Weiße Kittel, Hornbrillen, Tafeln voller Formeln: Eigentlich ist Wissenschaft ziemlich uncool. Der erste Dortmunder Science Slam am Dienstagabend sollte das Gegenteil beweisen. Vier junge Wissenschaftler hatten jeweils zehn Minuten Zeit, ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren und dabei das Publikum zu überzeugen.

Normalerweise geht es im domicil ziemlich ruhig zu. Aus den Boxen kommen entspannte Jazz-Töne, auf den gepolsterten Ledersesseln wippen die Gäste mit dem Fuß im Takt. Heute aber geht die Lounge-Musik im Gemurmel der Menschen unter. Rund 400 Besucher sind zum ersten Dortmunder Science-Slam gekommen, gerechnet hatten die Organisatoren mit höchstens der Hälfte. Der Raum ist rappelvoll. Das Publikum reicht optisch vom Typ Dekan bis zum gestandenen Wacken-Jünger. Die gewöhnliche Zielgruppe von wissenschaftlichen Vortragsreihen sieht anders aus. Science Slam, das bedeutet Lässigkeit statt Laborkittel.

Nicht gegebene Tore und der Videobeweis: Metin Tolan bei seinem Plädoyer gegen technische Hilfsmittel im Fußball.

Nicht gegebene Tore und der Videobeweis: Metin Tolan bei seinem Plädoyer gegen technische Hilfsmittel im Fußball. Foto: Moritz Tschermak

Fußball-Physik vom Wissenschafts-Profi

Metin Tolan passt in dieses Bild. In Jeans, Jackett und rotem Wollpullover steht er am Rednerpult, das Mikrofon hat er sich in die Brusttasche gesteckt. Er sieht nicht aus wie der Prototyp eines Physik-Professors. Tolan spricht über Fußball und nicht gegebene Tore. Sein Plädoyer gegen technische Hilfsmittel läuft außer Konkurrenz. Er ist an diesem Abend der Star-Gast, ein Wissenschafts-Profi, dem es immer wieder gelingt, die Zuhörer mit Thesen, Formeln und Theorien zu unterhalten.

Grafiken und Zeitlupen sollen die Fragen, wie lange der Aufprall eines Balles dauert (eine Hundertstelsekunde), welche Zeitspanne das menschliche Auge braucht, um einen Seheindruck zu verarbeiten (eine Zehntelsekunde) klären und ob ein Schiedsrichter dann überhaupt noch bei jeder kritischen Torszene die richtige Entscheidung treffen kann. Nein, kann er nicht, so das Fazit des Physikers. Doch der Videobeweis kann es ebenso wenig. Denn Perspektive und Verzerrung liefern uns ein täuschendes Bild. Die Zuhörer sind überzeugt. Und unterhalten hat Metin Tolan sie auch noch. So funktioniert Science Slam.

Martin Wundram gibt Einblicke in die Welt der IT-Forensik.

Martin Wundram gibt Einblicke in die Welt der IT-Forensik. Foto: Moritz Tschermak

Foto: Moritz Tschermak Den Pornos auf der Spur

Der eigentliche Wettbewerb beginnt mit Martin Wundram. Sein Vortrag mit dem etwas irreführenden Titel „Digitale Darmspiegelung“ hat nichts mit Kameras und Körperöffnungen zu tun. Stattdessen gibt der Informatiker aus Köln Einblicke in die Welt der Computer-Forensik: Spurensuche, Beweissicherung, Täterüberführung. Ein bisschen klingt das wie eine neue „CSI“-Folge, ist in Wirklichkeit aber nicht ganz so spannend.

An einem USB-Stick zeigt Wundram, wie einfach es ist, gelöschte Daten wiederherzustellen. Auch die Frage, ob jemand Porno-Seiten im Internet besucht hat, lässt sich mit zwei Klicks beantworten. Insgesamt ein solider Vortrag. Doch wirklich neu ist das alles nicht. Und nicht jeder kann etwas damit anfangen. Dann bekommt Wundram auch noch technische Schwierigkeiten. Gerade er als Informatiker. Einige Zuschauer wippen ungeduldig hin und her.

Gibt es einen Wettbewerb der Religionen? Markus Hero liefert Antworten.

Gibt es einen Wettbewerb der Religionen? Markus Hero liefert Antworten. Foto: Moritz Tschermak

Religionen im Wettstreit?

Markus Hero bekommt anschließend mehr Aufmerksamkeit vom Publikum. Sein Vortrag soll eine  Antwort darauf geben, ob es einen Wettbewerb der Religionen gibt. „Und wenn ja“, fragt er, „was hat das für Konsequenzen?“ Gilt der ökonomische Grundsatz, dass der Wettbewerb das Geschäft belebe?

Hero hat auf dem Gebiet selbst geforscht. Er ist Religionswissenschaftler an der Ruhr-Uni in Bochum. Mit bunten Landkarten zeigt er, welche Religionen in welchen Teilen Nordrhein-Westfalens wie stark vertreten sind. Er zeigt, dass in den Städten eine größere Religionsvielfalt vorherrscht als in den ländlichen Gebieten. Dass dies aber nicht automatisch das Geschäft ankurbelt, beweist die nächste Grafik: In den Regionen mit starkem Wettbewerb gehören vergleichsweise wenige Menschen einer Glaubensrichtung an. Heros Erklärung: „Mit Religion verhält es sich wie mit den meisten schönen Dingen – wenn man zu viel Auswahl hat, kann man sich nicht entscheiden und bleibt lieber abstinent.“

Von der Bühne ins Fernsehen: Thomas Zeume spricht über "Ommas" 80sten.

Von der Bühne ins Fernsehen: Thomas Zeume spricht über "Ommas" 80sten. Foto: Moritz Tschermak

„Omma, ich schreib‘ dir ’ne App für dein iPhone“

Thomas Zeume beschäftigen dagegen etwas simplere Fragen. Der Geburtstag seiner Oma ist es, der ihm Kopfzerbrechen bereitet. Der Knackpunkt auf Omas Party: die Sitzordnung. „Vor zwei Jahren“, erzählt der Informatiker aus Dortmund, „feierte meine Oma ihren 78.. Das Problem war: Tante Gerda wollte nicht neben Onkel Fritz sitzen.“ Für den mathematisch veranlagten Enkel keine Herausforderung. Eine Formel = Problem gelöst.

„Im Jahr darauf gab es allerdings eine neue Schwierigkeit: Die BVB-Fans der Familie wollten nicht gegenüber den Schalke-Fans sitzen.“ Gerda und Fritz, BVB und Schalke – auch keine große Sache für den Informatiker: „Alles klar, Omma, ich schreib dir ’ne App für dein iPhone“.

Das wirkt. Zum ersten Mal bricht das Publikum in Gelächter aus. Jetzt hat der Dortmunder die Zuhörer am Haken. Er wirkt selbstsicher. Und fährt fort: „Doch je mehr Bedingungen hinzukommen, desto schwieriger wird es selbst für einen Informatiker oder Computerprogramme, das Problem mit der Sitzplatzordnung zu lösen.“ Thomas Zeume aber kennt einen alten Mathematiker-Trick: „Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, finde ein anderes Problem – ganz egal, aus welchem Themengebiet – Hauptsache ist: es generiert Geld.“ Das Publikum grinst. „Finde also ein Problem, das Geld generiert, aber die gleiche Theorie erfordert wie dein eigentliches Problem – so einfach ist das“. Wie das in der Praxis funktioniert – diese Erklärung bleibt Zeume den Zuhörern schuldig. Die Zeit ist um.

Die Praxis-Gespräche brachten ihm den Sieg: Slam-Sieger Tim Peters.

Die Praxis-Gespräche brachten ihm den Sieg: Slam-Sieger Tim Peters. Foto Moritz Tschermak

Undercover in der Praxis

Die letzten zehn Minuten gehören dem Bochumer Tim Peters. Der studierte Germanist und Politikwissenschaftler wollte ursprünglich mal Journalist werden. Der Zufall trieb ihn dann aber doch in die Medizin. Genauer: in den Bereich der Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Um diese Abläufe näher zu erforschen, suchte Peters nach einer Möglichkeit, authentische Praxis-Gespräche einzufangen. Seine Idee: Schauspieler tarnen sich als Patienten und nehmen die Dialoge mit dem Arzt heimlich auf. Die dabei entstandenen Aufzeichnungen dienen ihm heute als Anschauungsmaterial für seinen Slam-Beitrag: Göttersprache – der Arzt und sein Patient.

Während seines Vortrags erzählt Peters von den Problemen bei der Undercover-Recherche („Wo verstecken wir das Mikrofon?“) und wie kurios sich manche Ärzte verhalten haben. Im Saal wird es merklich unruhig. Eine Mischung aus Staunen und Begeisterung. Peters schildert die skurrilsten Fälle, vom unaufgeforderten Einrenken des Nackens bis hin zum gescheiterten Flirt-Versuch.

Damit hat er den Sieg in der Tasche. Mit dem lautesten Applaus und deutlicher Mehrheit kürt ihn das Publikum zum ersten Dortmunder Science-Slam-Sieger.

Von Moritz Tschermak und Mats Schönauer