Oliver Uschmann und der Reiz des Ruhrpotts

Für ihn gab es im Studium nicht nur Bücher und Scheine. Der Autor und Journalist Oliver Uschmann erzählt im ersten Teil unserer Serie „Vom Studenten zum Prominenten“ von den stillen Örtchen der RUB, besonderen Begegnungen und dem Reiz des Ruhrgebiets.

Bekannt ist Oliver Uschmann vor allem für seine Romane über eine Männer-WG. Foto: Sylvia Witt

Bekannt ist Oliver Uschmann vor allem für seine Romane über eine Männer-WG. Foto/Teaserfoto: Sylvia Witt

Was ist die schönste Erinnerung an Ihre Studienzeit?

Der botanische Garten der Ruhr-Uni. Ein zauberhafter, verwunschener Ort. Er liegt zwischen den Betongiganten, die über ihm aufragen, und dem Lottental, durch das man bis zum Kemnader See hinabsteigen kann. Ich wandelte dort zur Jahrtausendwende mit meiner Freundin. Im Tropenhaus war sie kurz abgelenkt, als mich ein Elf am Ärmel zupfte. Er lugte hinter einem großen Blatt hervor. „Du wirst sie eines Tages heiraten“, flüsterte er, „in Australien. Da wird es genauso warm sein wie hier drin. Ihr werdet gemeinsam eine Romanwelt rund um eine WG entwerfen, die Du bald erst mit Deinem besten Freund gründest. Und ihr werdet ein Häuschen auf dem Land haben. Da wird es so aussehen wie da draußen im Garten. Sehr gepflegt.“ Ich glaubte ihm damals nicht. Wegen Australien, meine ich, und wegen der Gartenpflege. Immerhin hatten meine Frau und ich uns in der Revoluzzerszene kennen gelernt. Da pflegt man keine Gärten. Doch der Elf behielt Recht. Neulich haben wir das Pampasgras hochgebunden und die Topfpflanzen zum Winterschutz in putzige Jute verpackt. Währenddessen riefen über uns die Wildgänse auf dem Weg nach Süden. Geheiratet haben wir in Palm Cove, Nordqueensland, in einer Lagune mit Krokodilbestand.

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Und welche ist Ihre schlimmste?

Die Toiletten der Ruhr-Uni. Es gibt eine Wurst im Herrenklo von GBCAF 05 Süd, die schwimmt da seit 1998. Ich glaube, es ist die zweite Kabine. Jedes Jahr, wenn ich in meiner heutigen Rolle als Dozent wiederkehre, schaue ich nach. Wobei ich das alles nicht schlimm finde. Im Gegenteil. Auf www.hartmut-und-ich.de lasse ich meine Romanfigur in ein paar Exklusiv-Stories eine Kampagne namens „ZüRUB in die Zukunft“ starten, um die Uni in den Zustand vor Reformen und Renovierungen zu versetzen. Den Zustand finsterer Flure, endloser Büchersuche mittels Zettelkasten, Plakatschlachten an den Litfasssäulen und wild gestreuter Pamphlete, die niemand versteht. Der Campus als Labyrinth, in dem Spiersträucher aus Rissen in alten Betonbecken wachsen, die mal dekorative Wassertrassen waren. Dieser düstere Charme hat mich immer fasziniert. Es gibt Klänge, die es nur an der Ruhr-Uni gibt. Das „Palonk! Palonk!“ der Bodenplatten, die nie sauber aufliegen. Oder das dunkle, beständige Brummen in manchen Fluren. Ich lebte in einem Geisterhaus. Und irgendwann kurz vor der Schließung hatte ich in einer Lesenische der Bibliothek plötzlich die Weltanschauung Nietzsches verstanden. Da bebte die Erde, auch wenn alles ruhig blieb. Unzerstörbare Würste im Klo gehörten einfach dazu.


Was ist das Besondere am Studieren im Ruhrpott?

Zu meiner Zeit waren es die Möglichkeiten. Man konnte Lesungen oder Konzerte besuchen oder sogar selber veranstalten. Es gab Theater, Politik, Revolution, Kunst. Stammtische in Studierendenkneipen. In einem Moment debattierte man sich die Birne heiß, im nächsten spielte man Tennis auf den uralten Plätzen hinter den Gebäuden. Allein diese Plätze, das war ja kein Tennis, wie man es im ZDF sieht, mit weißen Höschen und Softdrinks in der Sonne. Das war brüchiger, körniger Tartan, glitschig vom Herbstlaub, finster und lebensgefährlich. Der ganze Ruhrpott ist so. Am Tage so rustikal wie eine Blutgrätsche von Christoph Dabrowski. Am Abend so melancholisch wie die „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff.

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Was sollte man in seiner Studienzeit auf jeden Fall gemacht haben?

Sich trotz aller Anforderungen ausführlich mit fachfremden Kuriositäten und der Suche nach der Weltformel beschäftigen. In einem Wohnheimzimmer wohnen, dessen Bad eine einzige Gussform aus Plastik ist. In einer WG leben und später darüber schreiben. Seine zukünftige Frau kennen lernen und auf die Elfen hören. Ach ja, und, gerade als Mann: auf Vorrat saufen. Wenn man zwischen dem 20. und 23. Lebensjahr genug Sprit für das ganze Leben getankt hat, klaut einem der Mist später nicht so viel wertvolle Zeit.


Welche Tipps geben Sie uns Studenten?

Der Scheindruck ist nur ein Scheindruck. Kein Mensch interessiert sich dafür, ob sie pünktlich ihren Abschluss gemacht haben. Viel wichtiger ist, wie manisch, verrückt, besessen oder originell sie in dem sind, was sie tun. Und ob sie schon praktische Erfahrungen haben. Nebenher, seit der Kindheit, immer. Machen Sie Ihre Berufung zu Ihrem Beruf. Klappt das nicht sofort, gehen sie zum Broterwerb etwas Simples arbeiten und basteln sie den Rest des Tages an den Projekten, an die sie glauben.

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Von 1998 bis 2003 studierte Oliver Uschmann Germanistik und Anglistik an der Ruhr-Universität Bochum. Noch immer ist der Autor und Journalist ab und zu an der RUB – mittlerweile als Dozent.


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