Mörderischer Advent

Wenn alles glitzert, leuchtet und blinkt, die Luft nach Apfel, Nuss und Mandelkern riecht, ist klar: bald ist Weihnachten. In Filmen, Geschichten und der Werbung kommen immer wieder die gleichen Elemente vor. Blinkende Sterne, schneebedeckte Straßen, Häuser und Tannenwipfel und der Duft von Zimt, Äpfeln und Lebkuchen – all das sind Symbole für das Weihnachtsfest. Sie sollen einstimmen, auf das Fest der Liebe. Eine heile Welt, in der es nur Harmonie, zumindest aber immer ein Happy End gibt.

Anders im Adventsgedicht von Loriot. Zwar finden sich auch hier die typisch weihnachtlichen Stilmittel, wie blinkende Sterne und ein verschneiter Wald, doch schon im vierten Vers wird klar dass dieses Gedicht anders ist. Trotz des typischen Rhythmus und des klassischen Reimschemas nimmt die Geschichte kein gutes Ende. Mit subtiler Ironie verpackt der Humorist Horrorszenarien und mörderische Ausschweifungen in eine liebliche Szenerie rund um das Försterhaus. In diesem bringt die Försterin am Nikolausabend ihren Mann um, unbemerkt vom Rest der Welt.

Loriot, mit bürgerlichem Namen kurz Vicco von Bülow, war als deutscher Humorist, Karikaturist, Autor, Regisseur und Schauspieler bekannt. Von Bülow entstammte einem alten mecklenburgischen Adelsgeschlecht und starb im August 2011 im Alter von 87 Jahren. Besonders bekannt sind das Adventsgedicht, die Filme „Ödipussi“, „Pappa ante Portas“ und „Weihnachten bei Hoppenstedts“. In vielen seiner Sketche und Filme spielte die deutsche Schauspielerin Evelyn Hamann die weibliche Hauptrolle.

Loriot Adventsgedicht

In Loriots Adventsgedicht geht es dem Förster an den Kragen. Foto: Klaas Hartz/pixelio Teaser: Kai Niemeyer/pixelio

ADVENT

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflöcklein leis herniedersinken.

Auf Edeltännleins grünem Wipfel
häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.

Und dort vom Fenster her durchbricht
den dunklen Tann ein warmes Licht.

Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
die Försterin im Herrenzimmer.

In dieser wunderschönen Nacht
hat sie den Förster umgebracht.

Er war ihr bei des Heimes Pflege
seit langer Zeit schon im Wege.

So kam sie mit sich überein:
am Niklasabend muss es sein.

Und als das Rehlein ging zur Ruh‘,
das Häslein tat die Augen zu,
erlegte sie direkt von vorn
den Gatten über Kimme und Korn.

Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase
zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase
und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sternlein traulich funkeln.

Und in der guten Stube drinnen
da läuft des Försters Blut von hinnen.

Nun muss die Försterin sich eilen,
den Gatten sauber zu zerteilen.
Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.

Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied
(was der Gemahl bisher vermied)-,
behält ein Teil Filet zurück
als festtägliches Bratenstück
und packt zum Schluss, es geht auf vier
die Reste in Geschenkpapier.

Da tönt’s von fern wie Silberschellen,
im Dorfe hört man Hunde bellen.

Wer ist’s, der in so tiefer Nacht
im Schnee noch seine Runden macht ?

Knecht Ruprecht kommt mit goldenem Schlitten
auf einem Hirsch herangeritten !

„He, gute Frau, habt ihr noch Sachen,
die armen Menschen Freude machen ?“

Des Försters Haus ist tief verschneit,
doch seine Frau steht schon bereit:
„Die sechs Pakete, heil’ger Mann,
’s ist alles, was ich geben kann.“

Die Silberschellen klingen leise,
Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.

Im Förstershaus die Kerze brennt,
ein Sternlein blinkt – es ist Advent.

aus: LORIOTs HEILE WELT, Diogenes

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