Wie blinde Dozenten Augen öffnen

Birgit Drolshagen ist keine gewöhnliche Dozentin. Die 51-jährige ist Akademische Oberrätin der Fakultät Rehabilitationswissenschaften und sie ist blind. Seit ihrer Geburt war Birgit Drolshagen sehbehindert, mit 17 Jahren erblindete sie ganz. Im Interview mit pflichtlektüre.com erzählt die Rehabilitationswissenschaftlerin, wie Blindheit und Sehbehinderung den Uni-Alltag von Studierenden und Lehrenden verändern.

Von blinden Dozenten, wie Birgit Drolshagen, können Studierende viel lernen. Teaserbild: Uwe Bergeest, Foto: Lena Beneke

Von blinden Dozenten, wie Birgit Drolshagen, können Studierende viel lernen. Teaserbild: Uwe Bergeest/pixelio.de, Foto: Lena Beneke

pflichtlektüre: Als blinde Dozentin treffen Sie auf Herausforderungen, die für viele Kollegen nicht gelten. Welche Situationen sind im Berufsalltag für Sie besonders schwierig und wie gehen Sie damit um?

Birgit Drolshagen: Für mich bringt der Semesterbeginn Herausforderungen mit sich. Vor allem in größeren Seminaren ist es anfangs nicht einfach mit Studierenden in Kontakt zu kommen. Hier ist es wichtig, dass ich offen mit meiner Behinderung umgehe. Ich sage den Teilnehmern zu Beginn, dass ich blind bin. Dementsprechend ist der Unterricht stark auf Gespräche ausgelegt, schließlich kann ich die Reihenfolge der Meldungen von Studierenden nicht berücksichtigen. Desweiteren achte ich bei Referaten darauf, diese im Vorfeld zu bekommen, damit ich mich vorbereiten kann. Die meisten Studierenden berücksichtigen diesen Wunsch. Schließlich kann ich nicht, wie meine sehenden Kollegen unvorbereitet einfach einer Powerpoint-Präsentation folgen.

Wer unterstützt Sie, wenn Sie Hilfe brauchen?

Ich habe eine Arbeitsassistentin, mit der ich gemeinsam in Lehrveranstaltungen gehe. Wenn Präsentationen oder Tafelbilder erstellt werden müssen, macht sie das nach meinen Anweisungen. Hier im Lehrgebiet gibt es noch zwei weitere sehbehinderte Dozenten. Einen Kollegen, der ebenfalls mit Assistenz arbeitet und eine Kollegin, die dies nur manchmal in Anspruch nimmt.

Was können Sie als blinde Dozentin besser vermitteln als Kollegen ohne Sehbehinderung?

Bei mir kommen zwei Perspektiven zusammen. Auf der einen Seite gibt es die Sicht der Wissenschaft, auf der anderen Seite die der eigenen Behinderungserfahrung. Gerade im Fachbereich der Rehabilitationswissenschaft ist letztere sehr wichtig. Wenn ich über Themen wie Selbstbestimmung behinderter Menschen spreche, argumentiere ich aus der Perspektive der Wissenschaft sowie aus meiner Perspektive als behinderungserfahrene Person. Dementsprechend sind mir einige Themen wichtiger als nicht behinderten Dozenten. Ich gehe davon aus, dass das für die Studierenden häufig ein Gewinn ist.

Die Konfrontation mit Behinderung ist wichtig für Studierende, die später im Beruf damit umgehen müssen, das betrifft vor allem angehende Lehrer. Wo liegen die Vorteile für Studierende, die einen blinden Dozenten haben?

Viele Studierende kennen sehgeschädigte Menschen nur aus Praktika. Sie haben sogar während ihres Studiums noch relativ wenig Kontakt zu behinderten Menschen, deswegen kann es für sie eine wichtige Erfahrung sein mit blinden Dozenten zu kommunizieren. Erst so können Studierende ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Dinge in der Interaktion und Kommunikation mit blinden Menschen wichtig sind.

Gibt es Hemmungen seitens der Studierenden gegenüber Ihrer Sehschädigung?

Am Computer arbeitet Birgit Drolshagen mit der Braille-Zeile, die digitale Texte in Blindenschrift überträgt. Foto: Lena Beneke

Am Computer arbeitet Birgit Drolshagen mit der Braille-Zeile, die digitale Texte in Blindenschrift überträgt. Foto: Lena Beneke

Ich habe Unsicherheiten von Studierenden nie auf meine Behinderung bezogen. Wenn Hemmungen bestehen, liegt das meist daran, dass sie Schwierigkeiten haben mit Lehrenden zu kommunizieren. Es kommt allerdings vor, dass Studierende nach Lehrveranstaltungen schnell etwas klären wollen und sich zuerst an meine Assistentin wenden. Da diese dafür aber nicht zuständig ist, verweist sie alle Studierenden an mich und dann klappt das auch gut.

Thema Barrierefreiheit. Wie sieht das an der TU Dortmund aus?

Seminarräume sind nicht immer barrierefrei. Oft ist die Ausleuchtung der Räume nicht gut, so dass sehbehinderte Studierende aufgrund der Kontraste Probleme haben, etwas zu lesen. Es sind leider nur wenige Räume mit Braille beschriftet. Manche haben tastbare Zahlen, diese sind dann aber keine Braillezahlen, sondern die üblichen Zahlen bloß fühlbar dargestellt. Das führt dazu, dass sehgeschädigte Menschen Probleme haben Raumbezeichnungen zu lesen. Trotz dieser Defizite engagiert sich die TU stark: Das Leitsystem wird weiter ausgebaut und beim Bau neuer Gebäude wird auf Barrierefreiheit geachtet. Wir befinden uns daher durchaus auf einem hohen Niveau. Bundesweit gesehen ist die TU Dortmund mit ihren Angeboten für behinderte Studierende federführend.

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